Besonders knifflige Lieferketten bei personalisierten Therapien: Supply Chains der besonderen Art nötig

Zell- und Gentherapien sind ein neuartiger, teilweise stark personalisierter Ansatz in der modernen Medizin. Dabei gibt es besondere Anforderungen durch die hier verwendeten Medikamente an die Lieferketten. Diese Ansprüche an ein zugrundeliegendes IT-System können unter Verwendung moderner Technologien wie Edge- und Confidential Computing sowie Blockchains adressiert werden.

 

Neuartige Therapieformen bringen Patienten mit schweren und seltenen Krankheiten Hoffnung auf Heilung: Personalisierte Zell- und Gentherapien sind individuell auf die Patienten zugeschnitten. Kernstück dieser Therapien sind Medikamente (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP), die speziell für den einzelnen Patienten hergestellt werden. Dazu wird, stark vereinfacht dargestellt, dem oder der Erkrankten Zellmaterial entnommen, zur Produktionsstätte des Medikamentenherstellers transportiert, für die Herstellung des Wirkstoffs modifiziert, und schließlich zur Verabreichung an den Patienten zum Krankenhaus zurücktransportiert. 

Komplexe Anforderungen an die Lieferkette. Aus einer Supply-Chain-Perspektive stellen Zell- und Gentherapien besonders knifflige Anforderungen: Im Vergleich zu herkömmlichen Pharma-Lieferketten startet die Lieferkette hier bereits im Krankenhaus, was bestehende Lieferprozesse der Pharmaunternehmen oft nicht abdecken. In Bezug auf Patientendaten und Identität des Patienten braucht es eine sensible Handhabung unter Berücksichtigung marktspezifischer Datenschutzregulierungen. Und schließlich darf das Material in keinem Fall vertauscht werden. Deswegen findet aktuell ein Paradigmenwechsel der Geschäftsprozesse in den Bereichen Lieferkette und Logistik statt – unterstützt von spezialisierten und sicheren IT-Systemen.

Kleine Losgrößen nach Bestellung produzieren und vertreiben. Im Gegensatz zu One-fits-many-Behandlungen wird bei Zell- und Gentherapien ein einzelnes Medikament produziert. Aus Sicht der Lieferkette ist das ein Wechsel von traditionellen Make-to-Stock-Produktionsmodellen zu aufwendigen Make-to-Order-Modellen mit kleinen Losgrößen. 

 

Abbildung 1: Im Unterschied zur herkömmlichen Pharma-Lieferkette gibt es bei Zell- und Gentherapien viele neue Beteiligte.

 

Gleichzeitig entfällt die Möglichkeit, durch Automatisierung effizienter zu werden oder die Produktion flexibel zu skalieren – dazu ist der Anteil an manuellen Prozessschritten bei Zell- und Gentherapien zu hoch. Diese Produktionskapazitäten lassen sich nicht beliebig erweitern oder bei Bedarf wieder reduzieren.

Transparenz zwischen Beteiligten herstellen. Die Lieferkette eines personalisierten Medikamentes erstreckt sich vom Krankenhaus (Materialentnahme), über einen spezialisierten Logistik-Dienstleister bis zum Pharmaunternehmen oder einer zwischengeschalteten Contract Manufacturing Organization (CMO, Produktion des Produkts) – und zurück. Die Aktivitäten aller Beteiligten müssen zuverlässig und transparent orchestriert werden. Schließlich wirkt sich eine mögliche Verzögerung auf weitere Beteiligte aus: Dauert beispielsweise der Transport des entnommenen Zellmaterials zum Pharmaunternehmen länger, müssen dort der Reinraum, ein Raum, in dem die Konzentration luftgetragener Teilchen, Partikel oder Keime sehr geringgehalten wird und das ausgebildete Personal umgeplant werden. Transparenz ist hier das Zauberwort – unter Einhaltung des Datenschutzes.

Chain of Identity und Chain of Custody nachweisen. Die Chain of Identity (CoI) und die Chain of Custody (CoC) spielen für Zell- und Gentherapien mit sensiblem Material und einem sehr hohen Grad an Personalisierung eine große Rolle: 

  • CoI stellt die 1:1-Beziehung zwischen Patienten und Medikament sicher, die sich mit einer durchgängig genutzten CoI ID während der gesamten Lieferkette erreichen lässt. Manipulationssichere Audit-Trails auf Blockchain-Basis sind zu diesem Zwecke bereits im Einsatz.
  • CoC dokumentiert standardisiert alle Prozessschritte, die zur Herstellung des pharmazeutischen Endprodukts durchlaufen werden: von der Blutentnahme des Patienten über die Logistikschritte und das Chargenprotokoll bis hin zur Medikamenten-Infusion. Damit wird einer falschen Handhabung des Materials oder Medikaments vorgebeugt (zum Beispiel Einhaltung der korrekten Temperatur beim Transport), durch die das   Medikament an Wirksamkeit verlieren könnte.

GXP-Compliance einhalten. Lebende Zellen, Rohstoffe für die Produktion und andere Zwischenprodukte sind von qualitativen und quantitativen Qualitätsschwankungen betroffen, mit Auswirkungen auf die Wirksamkeit der gesamten Therapie. Daher müssen bei allen Herstellungs- und Vertriebsschritten strenge Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen gemäß den GxP-Richtlinien eingehalten und dokumentiert werden.

 

Abbildung 2: Der Prozess einer personalisierten Therapie mit seinen vielen Einzelschritten am Beispiel autologer Zelltherapien.

 

Blockchain-basierte Orchestrierung für die Supply Chain. Ein Orchestrierungssystem wie Hypertrust X-Chain nutzt die Blockchain-Technologie bereits in klinischen Studien für personalisierte Medikamente, um den unveränderlichen Prüfpfad und die Transparenz über alle Schritte in der Lieferkette sicherzustellen. Die eindeutige ID der entnommenen Probe wird (neben anderen Daten) auf der Blockchain persistiert. 

In einer dezentralen Deployment-Option arbeiten die verschiedenen Beteiligten im Prozess mit vertrauenswürdigen lokal installierten Anwendungen. Spezialisierte SGX Hardware ist die technische Plattform für Confidential Computing, die beispielsweise den Datenschutz für die Datenverarbeitung vor Ort sichert. Mit hardwarebasierter Speicherverschlüsselung bleiben spezifischer Anwendungscode und Daten im Speicher isoliert.

Mehr als 1.400 personalisierte Zell- und Gentherapien sind derzeit in den verschiedenen Phasen der klinischen Studien (Quelle: »Cell Therapy Development« by Robert Levine, Cancer Research Institute [1]). Diese beeindruckende Zahl spiegelt die Hoffnung wider, die in die neuen Therapien gesetzt wird. Spätestens nach den Zulassungen müssen Pharma-Unternehmen jedoch Geschäftslogiken für die neuartigen Supply Chains entwickeln und in ihren IT-Landschaften abbilden, damit Patienten in Zukunft optimal von den neuen Therapiemöglichkeiten profitieren können.

 


Andreas Göbel,
Geschäftsführer Hypertrust Patient Data Care,
Spin-off der CAMELOT Gruppe

 

[1] https://www.cancerresearch.org/en-us/blog/june-2021/io-cell-therapy-development-in-2020-pandemic

 

Illustrationen: © Yurchanka Siarhei, Martial Red/shutterstock.com