Atomausstieg und Reduzierung fossiler Brennstoffe auf der einen Seite, steigender Strombedarf durch Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen auf der anderen: Deutschlands Stromnetz ist der aktuelle Dreh- und Angelpunkt großer gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Entscheidungen. Ist die Energieversorgung den riesigen Herausforderungen langfristig gewachsen?
Auch wenn Heraklit im antiken Griechenland mit seinem berühmten Aphorismus »Panta Rhei« – zu Deutsch »Alles fließt« – nicht unbedingt die Notwendigkeit der Sicherung des Stromflusses in der Bundesrepublik Deutschland gemeint haben mag, so behält das Sprichwort doch seinen wahren Kern. Alles muss fließen, am besten durch die Leitungen der Energieversorger zu Privathaushalten, Industrie und öffentlichen Einrichtungen. Auch die Tatsache, dass Energieverbrauch und -bedarf vor allem durch immer mehr Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen in neue Höhen steigen, lässt sich mit Heraklits Gleichnis beschreiben: Alles ist in Bewegung, nichts steht still. Vom griechischen Philosophen in die Gegenwart. Deutschland erlebt derzeit eine Zäsur in der Energieerzeugung und -versorgung, die nicht nur die Politik vor völlig neue Herausforderungen stellt. Die zentrale Frage dabei: Gelingt die Verkehrs- und Energiewende, ohne dass das deutsche Stromnetz in die Knie geht?
Zunächst die gute Nachricht: Kurzfristig besteht kein Grund zur Sorge, ganz im Gegenteil. Deutschland verfügt aktuell über genügend Reserven und produziert ausreichend Energie, um seinen Bedarf zu decken. Gleichzeitig ist der Anstieg an Elektrofahrzeugen gut kalkulierbar und wird in absehbarer Zukunft keine Dynamik entwickeln, die die Stromversorgung gefährden könnte – auch wenn der Trend bei den Neuzulassungen ganz klar in Richtung Plug-in-Hybride und reine Elektroautos geht. Das erwartete moderate Wachstum der elektrisch betriebenen Fahrzeuge bietet also genügend Handlungsspielraum, um die Energieversorgung für die steigenden Anforderungen fit zu machen. Und hier beginnt das Aber. Denn gelingt die Verkehrswende auf lange Sicht, wird die hohe Zahl der E-Autos auf deutschen Straßen zu einer Herausforderung. Jedenfalls dann, wenn alle involvierten Parteien in Sachen Innovationen auf der Stelle treten.
Worauf wird es also ankommen? Immer mehr dezentrale Möglichkeiten der Energieerzeugung und -speicherung, etwa durch Photovoltaik-Anlagen, setzen ein Smart Grid voraus, das es den Stromversorgern ermöglicht, über ein dynamisches Lastmanagement Schwankungen auszugleichen und Lastspitzen entgegenzuwirken. Neben der hohen Zahl an Elektrofahrzeugen liegen Studien zufolge die größten Risiken nämlich in den gleichzeitigen Ladevorgängen, die zu einer wirklichen Gefahr für das Netz werden können. Alles fließt also, aber bitte nicht zur gleichen Zeit. Um Lastspitzen zu entzerren und gleichmäßig zu verteilen, eignen sich beispielsweise verschiedene Tarifmodelle, die zu unüblichen Ladezeiten einen günstigeren Strompreis anbieten. Für eine nahtlose Kommunikation und ein funktionierendes, flexibles Smart Grid benötigen wir daher dringend branchenweite Standards und offene Protokolle, sowohl bei den Energieversorgern und Elektrofahrzeugen als auch bei den Verbrauchern. So wird aus dem traditionellen Stromnetz ein steuerbares Daten- und Energienetz, das eine stabile Versorgung sichert. Und dafür sorgt, dass alles fließt.
Rolf Bienert, Managing und Technical Director bei der OpenADR Alliance
Wie kann das Stromnetz die Herausforderungen der Zukunft meistern?
Das deutsche Stromnetz steht vor großen Herausforderungen. Die Energiewende erfordert einen Umbau des Netzes, um die steigende Einspeisung von erneuerbaren Energien zu integrieren. Gleichzeitig muss das Netz stabil, sicher und wirtschaftlich bleiben. Wie kann das gelingen?
In diesem Beitrag möchte ich einige mögliche Lösungsansätze vorstellen, die das deutsche Stromnetz fit für die Zukunft machen können. Dabei geht es um technische, regulatorische und gesellschaftliche Aspekte, die alle zusammenwirken müssen.
Technische Lösungen: Smart Grids, Speicher und Flexibilität
Eine technische Lösung für die Herausforderungen des Stromnetzes sind Smart Grids, also intelligente Netze, die Erzeugung, Verbrauch und Speicherung von Strom optimal aufeinander abstimmen. Smart Grids können zum Beispiel durch digitale Mess- und Steuerungstechnik, Kommunikationsnetze und künstliche Intelligenz realisiert werden. Sie ermöglichen eine bessere Integration von erneuerbaren Energien, die oft fluktuierend und dezentral sind, sowie eine höhere Effizienz und Versorgungssicherheit.
Eine weitere technische Lösung sind Speicher, die überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen aufnehmen und bei Bedarf wieder abgeben können. Speicher können verschiedene Formen haben, wie zum Beispiel Batterien, Wasserstoff oder Pumpspeicherkraftwerke. Sie helfen, die Schwankungen im Stromnetz auszugleichen und die Netzstabilität zu erhöhen.
Eine dritte technische Lösung ist die Flexibilisierung des Stromverbrauchs, also die Anpassung des Verbrauchs an das Angebot von Strom. Dies kann zum Beispiel durch variable Stromtarife, Lastmanagement oder Demand Response erreicht werden. Flexibilität kann dazu beitragen, Engpässe im Netz zu vermeiden und die Kosten für den Netzausbau zu senken.
Regulatorische Lösungen: Anreize, Regeln und Kooperation
Neben technischen Lösungen braucht das deutsche Stromnetz auch regulatorische Lösungen, also Anreize, Regeln und Kooperationen, die den Umbau des Netzes fördern und erleichtern. Ein Beispiel dafür sind Anreizregulierungen, die den Netzbetreibern finanzielle Anreize geben, das Netz effizienter zu betreiben und auszubauen. Ein anderes Beispiel sind Netzentgelte, die die Kosten für die Nutzung des Netzes widerspiegeln und einen fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Akteuren ermöglichen.
Ein weiteres regulatorisches Instrument sind Netzkodizes, also verbindliche technische Regeln für den Betrieb des Netzes. Diese sollen sicherstellen, dass das Netz harmonisiert, interoperabel und sicher ist. Ein wichtiger Netzkodex ist zum Beispiel der Network Code on Electricity Balancing, der die Regeln für den Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch im europäischen Stromnetz festlegt.
Ein letztes regulatorisches Instrument sind Kooperationen zwischen den verschiedenen Akteuren im Stromnetz, wie zum Beispiel zwischen Netzbetreibern, Erzeugern, Verbrauchern und Behörden. Diese sollen einen Austausch von Informationen, Erfahrungen und Best Practices ermöglichen und gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen finden.
Gesellschaftliche Lösungen: Akzeptanz, Partizipation und Bildung
Schließlich braucht das deutsche Stromnetz auch gesellschaftliche Lösungen, also Akzeptanz, Partizipation und Bildung der Bürgerinnen und Bürger für den Umbau des Netzes. Ein Beispiel dafür ist die Beteiligung der Öffentlichkeit an Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Netzausbau. Diese soll Transparenz schaffen, Vertrauen aufbauen und Konflikte vermeiden oder lösen.
Ein anderes Beispiel ist die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende durch Eigenverbrauch oder Bürgerenergiegenossenschaften. Diese soll Eigenverantwortung fördern, Identifikation schaffen und soziale Vorteile bringen.
Ein drittes Beispiel ist die Bildung der Bürgerinnen und Bürger über das Stromnetz und seine Herausforderungen. Diese soll Wissen vermitteln, Interesse wecken und Kompetenzen stärken.
Fazit
Das deutsche Stromnetz steht vor großen Herausforderungen, die nur durch einen ganzheitlichen Ansatz bewältigt werden können. Dieser Ansatz muss technische, regulatorische und gesellschaftliche Lösungen umfassen, die alle zusammenwirken müssen. Nur so kann das deutsche Stromnetz die Herausforderungen der Zukunft meistern und eine sichere, saubere und kostengünstige Stromversorgung gewährleisten.
Genki Absmeier