Der Weg zur agilen Organisation: Das Erfolgsrezept der Zukunft

Illustration: ArtTower

Es gibt Unternehmen, die sind erfolgreicher als andere. Sie gewinnen mehr Kunden, bieten innovativere Dienstleistungen oder Produkte, kommen mit veränderten Umwelt- und Marktbedingungen besser zurecht und beschäftigen motiviertere Mitarbeiter. Eines dieser erfolgreichen Unternehmen ist Microsoft. Gründer Bill Gates sagte einmal: »Um heute erfolgreich zu sein, muss man anpassungsfähig sein und ständig neu denken, neu beleben, reagieren und sich neu erfinden wollen.« Ein Fachbegriff fasst diese Art des Denkens zusammen: Agilität.

 

Es gibt immer wieder neue Herausforderungen, denen Unternehmen entgegentreten müssen. Projekte schlagen durch unklare Anforderungen fehl, Veränderungen des Marktes werden nicht rechtzeitig erkannt und Innovationschancen verpasst. Den Umgang mit der Beschleunigung, Komplexität und unkalkulierbaren Risiken handhaben Organisationen in unterschiedlichster Weise. Viele Unternehmen sind geprägt von traditionellen Organisationsformen in denen Macht, Ordnung und starre Strukturen das tägliche Geschäft bestimmen. Diese Organisationen sind hierarchisch aufgebaut, stark auf die Führungsebene fokussiert und beschäftigen sich viel mit sich selbst. In der Vergangenheit waren sie mit diesen starren aber durchaus stabilen Strukturen einer reinen Top-down-Führung erfolgreich. So musste der ehemalige Nokia CEO kurz vor der Übernahme durch Microsoft erkennen: »…we didn’t do anything wrong, but somehow, we lost«. Heute, in einer komplexen, sich schnell verändernden Welt mit immer mehr neuen, aufstrebenden Unternehmen und breiteren Kundenanforderungen, braucht es neue Organisationsformen, die den Weg in eine erfolgreiche Zukunft sichern.

 

Agilis (lat.) = gewandt, wendig, flink

Agile Organisationen reagieren auf Markt-, Umwelt- und Kundenanforderungen flexibel und schnell. Sie sind geprägt von Selbstverantwortung, Ergebnisorientierung und fachlicher Exzellenz. Das zeigt auch die Übersetzung des Begriffs »Agil«, der von dem lateinischen »agilis« abgeleitet wird und so viel wie gewandt, wendig oder flink bedeutet.

Insgesamt gibt es sechs Grundvoraussetzungen, die ein Unternehmen erfüllen muss, um sich als »agil« bezeichnen zu können. Die wohl wichtigste ist die Kundenzentrierung. Das ganze Unternehmen orientiert sich am Kunden und betrachtet ihn als Arbeitgeber. Es fokussiert sich darauf, eine positive Wertschöpfung für den Kunden zu schaffen und genau das zu tun, was der Kunde nachfragt. Entscheidend ist dabei die agile Führung, welche die klassischen, hierarchischen Strukturen ablöst und die Arbeit in gleichberechtigten Teams ermöglicht. Dabei ist der Wandel von Kontrolle und Anordnung hin zum Impulsgeben ausschlaggebend. Eine weitere Voraussetzung ist die Arbeit mit agilen Methoden, wie Scrum, DevOps oder Design Thinking. Agile Methoden und agiles Arbeiten unterstützen bei der Transformation des Unternehmens und befähigen gleichzeitig die Mitarbeiter zu mehr Verantwortung. Ein weiterer Punkt, den agile Organisationen verinnerlichen müssen, ist die kontinuierliche Verbesserung. Durch Inspect and Adapt als Grundhaltung wird das Risiko minimiert, Fehler durch das gesamte Projekt mitzutragen. Eine offene und transparente Feedbackkultur sorgt dabei für eine frühzeitige Fehlererkennung und die Möglichkeit, Anpassungen vorzunehmen, um das Ziel schnellstmöglich zu erreichen. Kultur und Mindset sind weitere Grundvoraussetzungen für eine agile Organisation. Agilität ist dann gegeben, wenn das Verständnis und die Bereitschaft zum Wandel auf allen Ebenen etabliert sind, eine Vertrauenskultur gelebt wird und Transparenz, sowie Kundenorientierung im Mittelpunkt eines jeden Mitarbeiters stehen. Abgeschlossen ist dieser Prozess jedoch nie. Agilität hat einen Anfang aber kein Ende. Ein Unternehmen lernt unentwegt und die Anforderungen verändern sich ständig. Der Grad der Agilität kann sich diesen Anforderungen anpassen und die Organisation kann in einem kontinuierlichen Lernprozess verschiedene Reifegrade erreichen.

 

Der Weg zu mehr »Beweglichkeit«

Der Weg zur agilen Organisation ist eine Herausforderung – aber für jedes Unternehmen möglich. Agile Organisationen haben nur dann Bestand, wenn man ein geeignetes Umfeld für agiles Arbeiten schafft und eine agile Kultur, sowie ein agiles Mindset nachhaltig darin etabliert. Ist dies geschehen, so wird der erzielte Erfolg dafür sorgen, dass die agile Kultur von den Mitarbeitern gelebt wird und somit Bestand hat. Erfahrungsmäßig stellt der Wandel zu einer agilen Organisation die größten Herausforderungen für die Führungsebene dar. Agilität einzuführen ist eine Herzensangelegenheit und fordert neue soziale und personelle Kompetenzen der Führungskräfte. Den Anfang macht die Veränderung des gelebten Führungsverständnisses. Agilität fordert ein neues Führungsverhalten vom Vordenker und Kontrolleur hin zum Visionär und Impulsgeber. Es gilt, einen äußeren Rahmen zu setzen, in dem auf einer hohen Vertrauensbasis Lösungen und Resultate selbstständig erarbeitet werden können. Die Selbstverwaltung der Teams steht im Vordergrund, weshalb auch Selbstführung vor Mitarbeiterführung geht. Die Vorgabe von konkreten Zielen und Zeitplänen ist weniger wichtig, als die Schaffung von Freiräumen und die Fähigkeit, Komplexität der Projekte durch eine lösungsorientierte und flexible Arbeitsweise zu reduzieren. Die Zusammensetzung der crossfunktionalen Teams aus unterschiedlichen Mitarbeitertypen, Talenten und Know-how-Trägern entwickelt eine eigene Dynamik und erhöht die Produktivität. Somit verlagern sich die Aufgaben eines Managers von Führen und Kontrolle hin zur Unterstützung und Förderung autarker Teams, damit diese ihre Arbeit möglichst gut durchführen können.

 

Um erfolgreich eine agile Transformation zu durchlaufen bedarf es mehrerer Schritte:

 

  1. Strategie: Wandel von der effizienzgetriebenen, an Kostenminimierung und Absatzsteigerung ausgerichteten Strategie hin zu dynamischen, marktgetriebenen Prozessen mit starker Kundenorientierung.
  2. Struktur: Wandel von einer hierarchischen Pyramide mit wenigen Verantwortungs- und Machtträgern hin zur netzwerkorientierten Struktur mit gleichberechtigten Teams und einer gelebten Top-down-down-up-Kultur.
  3. Business: Wandel von der Wasserfallmethodik mit fixem Scope bei variablem Kosten- und Zeitbedarf hin zu agilen Methoden, um ein Ziel mit optimalem Business Value mittels fixierter Kosten- und Zeitbedarfe zu erreichen.
  4. Führung: Wandel von der Top-down-Führung zum agilen Leadership Management, das Räume freigibt, Vertrauen ins Team hat, Kreativität fördert, Entscheidungen dezentralisiert und ein agiles Mindset vorweist.
  5. Kultur: Wandel von Befehl und Kontrolle mit klaren Anordnungen und Vorgaben hin zur Vertrauenskultur mit Freiräumen, Vertrauensübergabe und neuer Verantwortung.

 

Starre Strukturen und Denkweisen

Der Wandel hin zur Agilität hat Hürden und kann durch Einzelne verhindert werden, die ihre Macht nicht abgeben und sich mit den neuen Strukturen nicht abfinden können. Das Problem an der klassischen Struktur ist jedoch, dass die zur Macht befugte Person eine Richtung ohne Details vorgibt, denn ab einer bestimmten Ebene beschäftigt sich die Führung nicht mehr mit den Details. Gerade vielen westlichen Unternehmen geht es wirtschaftlich so gut, dass Veränderungsprozesse durch Machtträger gestoppt werden, die bereits alles erreicht, ihre Position gesichert und keinerlei Notwendigkeit oder Risikobereitschaft für Umgestaltungen haben. Die Erkenntnis schlechthin, dass es Zeit für den Wandel ist, um auch zukünftig erfolgreich zu sein, ist elementar. Dabei wissen Unternehmen und Führungskräfte anfangs oft nicht, wie sie den Wandel genau vornehmen sollen. Das eigene Wachsen zu einer agilen Organisation ist keine Sache von ein paar Tagen, sondern entwickelt sich als Lernprozess stetig weiter. Gewohnte und bislang erfolgreiche Pfade müssen verlassen und die alten Strukturen aufgebrochen werden. Mitarbeiter müssen zu mehr Verantwortung befähigt und die intrinsische Motivation gefördert werden. Führungskräfte müssen jederzeit eine wirtschaftliche Sichtweise einnehmen, systemisches Denken anwenden und Entscheidungen dezentralisieren. Dr. Markus Reimer bringt die Herausforderungen für die Führungskräfte eines Unternehmens im agilen Wandel auf den Punkt: »Wenn Führungskräfte einerseits eine agile Organisation haben und andererseits in dieser die volle Kontrolle behalten wollen, dann ist das so, als wünschte man sich einen eisigkalten sonnigen Regentag.«

 

Leuchtturmprojekte helfen agil zu werden

Um die Hürden im Wandel zu einer agilen Organisation zu überwinden, ist es für Unternehmen ratsam, sich für den Anfang Unterstützung zu holen. Der gesamte Wandel muss top-down organisiert werden und bedarf des Rückhalts der gesamten Unternehmensführung. Eine Führungskraft muss die Organisation immer wieder anschieben, einbinden, prüfen und in einem fortwährenden Prozess die Dynamik halten. Alle Unternehmensbereiche müssen auf den gleichen Kenntnisstand gebracht und kontinuierlich zu den Hauptthemen der Agilität fortgebildet werden. Besonders gut für den Start eignen sich die sogenannten Leuchtturmprojekte, bei denen Erfahrungen gesammelt, Erkenntnisse geteilt und positive Ergebnisse marketingtechnisch genutzt werden können. Externe Unterstützer können bei vielen Aufgaben helfen und anfängliche Unsicherheiten nehmen. Dabei beginnt das Coaching beim Management, welches zuerst überzeugt und durch Trainings oder Workshops sensibilisiert wird. Spezialisierte Berater können bei den ersten Leuchtturmprojekten passende Rollen, wie etwa die des Scrum Masters übernehmen und damit Erfahrung, Dynamik sowie Sicherheit ins Team bringen. Mit speziell ausgebildeten Coaches, welche helfen, das »einfache agile Regelwerk« in die schwierige Praxis umzusetzen, lassen sich agile Vorgehensweisen in Unternehmen etablieren.

Eine erfolgreiche Transformation ist dann umgesetzt, wenn eine agile Kultur durch Verankerung in Führung und Organisation gefestigt ist. Der Wandel zu einer agilen Organisation ist ein nie abgeschlossener Prozess, bei dem das Unternehmen kontinuierlich lernt und die Segel immer wieder neu setzt – oder wie Bill Gates sagen würde: »Wir überschätzen immer die Veränderungen, die in den nächsten zwei Jahren stattfinden werden und unterschätzen die Veränderungen, die in den nächsten zehn Jahren stattfinden werden. Lasse Dich nicht zur Untätigkeit verführen.«

Gerd Kanzleiter, IT-Management, CONSILIO GmbH

www.consilio-gmbh.de

 

 

 

Dieser Beitrag ist der vierte einer sechsteiligen Artikelserie.
Zu allen Beiträgen gelangen Sie hier.