Digitale Zwillinge für eine nachhaltige Infrastruktur – Vereinigung der physischen und virtuellen Welt

Es gibt Verbindungen zwischen dem Metaversum und der digitalen Zwillingstechnologie. Digitale Zwillinge, in Kombination mit 3D-Modellierung, dem Metaversum und dem Internet der Dinge ermöglichen zukünftige technische Fortschritte. Unternehmen wie Siemens, Bentley und Nvidia arbeiten daran, ein industrielles Metaversum zu schaffen.

Lori Hufford, Vice President Application Integration, Bentley Systems im Interview zum Thema Metaversum und digitale Zwillingstechnologie. Digitale Zwillinge für Infrastruktur gestatten die Synchronisierung der Arbeit, bieten einen besseren Überblick und die Nutzung der richtigen Daten zur richtigen Zeit.


Was bedeutet Metaversum für Sie?

Digitale Zwillinge für Infrastruktur sind die Bausteine der virtuellen Welt. Sie ermöglichen die Interaktion und Zusammenarbeit von Arbeitsgruppen bei der Suche nach Lösungen für eine umweltfreundlichere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Infrastruktur. Das Metaversum ist zwar noch nicht komplett ausgereift, aber die wichtigsten Elemente sind bereits vorhanden: 

  • Eine immersive Nutzererfahrung mit 3D-Geodaten.
  • Interaktion mit Echtzeitdaten.
  • Verhinderung von Abweichungen bei den Daten, sodass sie in technischen Abläufen verwendet werden können.
  • Persistente Daten zur Nachverfolgung von Änderungen, mit der Möglichkeit, sie rückgängig zu machen oder weiterzuverfolgen, um Vorhersagen zu treffen und zu optimieren.
  • Inhalte, die nicht an eine Plattform gebunden sind und problemlos von einer Plattform zur nächsten übertragen werden können.
  • Unterstützung der kollaborativen Interaktion zwischen mehreren Anwendern.

 

Lori Hufford,
Vice President Application Integration,
Bentley Systems



Mit welchen Schwierigkeiten oder Hindernissen kämpft man derzeit bei konkreten Vorhaben?

Der Entwurf, Bau und Betrieb von Infrastrukturen wird immer komplexer. Das Problem wird durch den Fachkräftemangel noch verschärft. Es gibt nicht genügend Fachkräfte, um neue Aufgaben zu übernehmen. Das führt dazu, dass viele Unternehmen neue Projekte ablehnen, aus Mangel an Ressourcen.


Kann das Metaversum helfen, Schwierigkeiten und Hindernisse beispielsweise bei der Planung von Projekten zu überwinden?

Zur Bewältigung von Hindernissen und Schwierigkeiten bei Projekten ist eine ganzheitlichere Sicht auf die Infrastrukturdaten und die Sicherstellung der Datenmobilität während des gesamten Lebenszyklus der Infrastruktur erforderlich. Unternehmen müssen den gesamten Entwurf visualisieren, analysieren und simulieren. Dazu werden Daten aus den technischen Dateien herausgenommen und digitale Zwillinge für Infrastruktur synchronisiert. 


Wie sieht das konkret in der Praxis aus?

Ein gutes Beispiel ist die von WSB entwickelte Initiative des Verkehrsministeriums von Minnesota (MnDOT) in den USA zur Umgestaltung des Highwayabschnitts in Elk River (TH 169). Das Unternehmen plante die gemeinsame Nutzung komplexer 3D-Modelle durch die Teams für Entwurf, Bau und Anlagenverwaltung. Die Aktualisierung des Entwurfsmodells mit Baudaten und die Integration der Informationen in die Anlagenverwaltungssysteme erwiesen sich als Herausforderung. Mit OpenRoads und iTwin importierte WSB Daten von MnDOT und anderen Anlagenverwaltungssystemen in die Entwurfsmodelle und integrierte sie in die Daten zum Bauablauf. Der Konzeptnachweis zeigt den Wert eines digitalen Zwillings, der in Echtzeit Einblicke in die Leistung von zwölf MnDOT-Anlagenklassen bietet. Dies erleichtert die Instandhaltung während des gesamten Lebenszyklus und ermöglicht Einsparungen in Millionenhöhe bei der Projektplanung durch die Ermittlung des Anlagenbedarfs.


Welchen Herausforderungen muss man sich bei der konkreten Umsetzung stellen? Wo liegen die größten Hürden bei der Umsetzung solcher Projekte?

Viele Unternehmen arbeiten daran, die Lücke zwischen technologischen Fortschritten und den Möglichkeiten zu ihrer Nutzung zu schließen. Wie bei jeder Technologie ist die Umsetzung der Schlüssel. Die Entwicklung digitaler Zwillinge für Infrastruktur, sei es beim Entwurf, Bau oder Betrieb, und die Sicherstellung ihrer Synchronisierung bilden die Grundlage für die Nutzung von Vorteilen in größerem Maßstab. Digitale Zwillinge für Infrastruktur müssen 3D-Grafiken mit millimetergenauer Detailtreue enthalten, aber auch umfangreiche, abgestimmte und strukturierte BIM-Daten und Realitätskontext aus der Drohnenfotogrammetrie. Außerdem müssen digitale Zwillinge für Infrastruktur mit Bedingungen aus der realen Welt in Echtzeit ergänzt werden, zum Beispiel mit Sensordaten aus dem Internet der Dinge (IoT). Veränderungen müssen zudem nachverfolgbar und visualisierbar sein.


Mit welchen Mitteln lässt sich der Einsatz metaverser Technologien beschleunigen, welche Voraussetzungen müssen hierfür in technischer sowie in finanzieller Hinsicht vorliegen?

Aus gutem Grund gibt es bei den Arbeitsabläufen für Infrastrukturprojekte eine Vielzahl von Normen wie die ISO 19650. Die zuverlässige Synchronisierung von digitalen Zwillingen für Infrastruktur als Teil dieser bestehenden Arbeitsabläufe ist der schnellste Weg, um die Lücke zwischen der Entwicklung der Technologie und der Fähigkeit eines Unternehmens, diese zu nutzen, zu schließen. Wir arbeiten daran, diese bestehenden dateibasierten Arbeitsabläufe mit datenzentrierten Arbeitsabläufen zu ergänzen.


Wer sind die richtigen Ansprechpartner für das Metaversum auf Unternehmensseite?

Partnerschaften zwischen den Bereichen IT, Ingenieurwesen und digitale Transformation können die Einführung und Umsetzung erleichtern. 


Gibt es Synergieeffekte hinsichtlich metaverser Technologien und bereits vorhandener Technologie?

Bentley Systems arbeitet mit Ingenieur- und Planungsbüros zusammen, um deren bestehende dateibasierte Arbeitsabläufe durch datenzentrierte Arbeitsabläufe zu ergänzen, die digitale Zwillinge für Infrastruktur mit ProjectWise, powered by iTwin, nutzen. So muss man nicht ganz von vorne anfangen, sondern kann die Arbeit, die ohnehin geleistet wird, noch besser nutzen.


In welchen Bereichen kann das Metaversum wirklich nutzbringend eingesetzt werden und warum ist das der Fall?

Ein früher Anwender von LumenRT for NVIDIA Omniverse ist Brigantium Engineering, ein Unternehmen für Ingenieur- und Beratungsdienstleistungen. Das Unternehmen ist am ITER-Projekt in Südfrankreich beteiligt, bei dem 35 Nationen zusammenarbeiten, um den weltweit größten Tokamak und die erste Fusionsanlage zu bauen, die einen positiven Nettoenergieertrag über das Plasma erzeugt. Obwohl die offizielle Sprache des ITER-Projekts Englisch ist, werden im Hauptsitz mehr als 45 Sprachen gesprochen. Außerdem sind nicht alle Beteiligten mit der Interpretation von 2D-Zeichnungen und Gantt-Diagrammen vertraut, was die Koordinierung noch erschwert.

Um diese Sprach- und Kommunikationsbarrieren zu überwinden, nutzt Brigantium LumenRT for NVIDIA Omniverse für die Erstellung eines interaktiven 4D-Modells, das von allen Beteiligten intuitiv verstanden wird und die Kommunikation erheblich verbessert und vereinfacht. Brigantium geht davon aus, dass mit dem größeren Engagement und Feedback der Anwender eine verbesserte abteilungsübergreifende Kommunikation, schnellere Ausführungszeiten, weniger Fehler und Zeitverluste erreicht werden, was insgesamt eine Effizienzsteigerung von bis zu 80 % für das Team bedeutet.


Was können Sie unseren Lesern zu der neu eingeführten Software LumenRT for NVIDIA Omniverse sagen? Was kann diese Software und was macht sie so besonders? Wo wird diese Software hauptsächlich eingesetzt?

LumenRT for NVIDIA Omniverse ist die erste Engineering-Softwareanwendung auf dem Markt, die auf NVIDIA Omniverse basiert, einer Plattform zum Erstellen und Betreiben industrieller Anwendungen im Metaversum. Die Integration von NVIDIA Omniverse und iTwin von Bentley ermöglicht immersive 3D-/4D-Erlebnisse in Echtzeit, um die Visualisierung und Simulation von digitalen Zwillingen für Infrastruktur zu verbessern [1]. Die kombinierten Fähigkeiten bieten neue Möglichkeiten und unglaubliche Ergebnisse für einige der größten und komplexesten Infrastrukturprojekte der Welt.


Wo sehen Sie den Umgang mit dem Metaversum in drei bis fünf Jahren? Was würden Sie sich wünschen?

Sicherlich wird es eine Weiterentwicklung der Kommunikation geben: von Menschen zu Menschen, von Menschen zu Anlagen, von Anlagen zu Menschen und sogar von Anlagen zu Anlagen. 

Mit einem vollständig immersiven digitalen Zwilling können Wartungsteams zum Beispiel die Reparatur einer Maschine digital durchspielen, bevor sie vor Ort tätig werden, wodurch Risiken und der Bedarf an Nacharbeiten reduziert werden. Wenn das Team schließlich am Einsatzort ist, haben die Teammitglieder das Gefühl, bereits dort gewesen zu sein. Mit erweiterter Realität haben sie Zugang zu relevanten Daten, wann und wo sie diese benötigen. 

Die Entwicklung von Produkten mit Technologie für das Metaversum macht sie leichter zugänglich, und ihre Vorteile werden weiter ausgebaut. Doch bei jeder Weiterentwicklung von Technologie müssen auch Menschen und Prozesse berücksichtigt werden. Wenn die Nutzer dort anknüpfen können, wo sie gerade stehen und ihre derzeitigen Arbeitsabläufe mit Technologie für das Metaversum ergänzen, dann können die Vorteile schneller genutzt werden.

 


[1] https://de.bentley.com/software/infrastructure-digital-twins/

 

Illustration: © Zay Nyi Nyi | Dreamstime.com