Der digitale Strukturwandel der Industrie wird ohne den Einkauf nicht erfolgreich sein. Allerdings gehen die Meinungen über dessen Rolle weit auseinander. Sie reichen von »aktiver Treiber« bis »lediglich Unterstützer«. Deshalb muss sich der Einkauf stärker in die Diskussion um Industrie 4.0 einschalten. Als Innovationsscout und Experte für Technologie und Management findet er dann auch Gehör.
Das sind zentrale Ergebnisse der Studie »Digitalisierung des Einkaufs – Einkauf 4.0«, die das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) am Freitag in Frankfurt veröffentlicht haben. Zwischen August 2015 und April 2016 waren insgesamt 25 Einkaufsleiter und CPOs namhafter Industrieunternehmen sowie Vertreter von zwei Hochschulen befragt worden [1].
Internet der Dinge und Industrie 4.0
»Das Internet der Dinge bietet dem Einkauf enorme Chancen. Er kann als zentrale Schnittstelle zu internen und externen Partnern in der Wertschöpfungskette Industrie 4.0 den Weg ebnen«, sagte Prof. Dr. Michael Henke, Institutsleiter des Fraunhofer IML, am Freitag vor Journalisten in Frankfurt. Das Neue daran sei die digitale Vernetzung von Technologien und Menschen über Unternehmensgrenzen hinweg. Und genau hier würde der Einkauf zum Schrittmacher dieses Prozesses. Seine Erfahrung helfe ihm, die neue Qualität in der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Firmen erfolgreich durchzusetzen.
»Industrie 4.0 richtet sich vor allem an den Einkauf und die Lieferkette. Wenn von Digital Revolution die Rede ist, kreist die Debatte aber fast nur um Fragen der Produktion«, erläuterte BME-Hauptgeschäftsführer Dr. Christoph Feldmann am Freitag im Pressegespräch. Das sei aber ein klarer Trugschluss. Der Einkauf verweigere sich nicht der Digitalisierung der Wirtschaft, sondern treibe sie voran. Ohne Procurement und Supply Chain werde Industrie 4.0 in Deutschland nicht stattfinden. Die vierte industrielle Revolution biete dem Einkauf die einmalige Chance, der Forderung nach seiner strategischen Rolle gerecht zu werden.
Weitere zentrale Umfrage-Ergebnisse:
- Eine starke interne und externe Vernetzung ist das Maß aller Dinge, wenn Industrie 4.0 erfolgreich entwickelt werden soll. Während die Vernetzung im eigenen Unternehmen alle Abteilungen gleichermaßen betrifft, ist insbesondere der Einkauf bei der externen Vernetzung gefordert. Der Austausch von Know-how mit anderen Unternehmen und Organisationen macht es erst möglich, von den Vorteilen der Digitalisierung zu profitieren. Der Einkauf ist Treiber der externen Vernetzung und trägt hier die volle Verantwortung. Ihm kommt bei der Umsetzung von Industrie 4.0 eine entscheidende Rolle zu: Er muss die Innovationen und Technologien ins Unternehmen bringen, damit es die vierte industrielle Revolution erfolgreich meistern kann.
- Der Einkauf muss künftig in Echtzeit reagieren können. Das geht nur, wenn er zuvor seine Prozesse weitestgehend digitalisiert hat. Der Einkauf muss ein zunehmend digitalisiertes Beschaffungsportfolio managen. Nicht nur die Prozesse des Einkaufs, sondern auch die zu beschaffenden Produkte unterliegen dem Wandel der Digitalisierung.
- Operative Einkaufsprozesse können nahezu komplett digitalisiert werden. Sie müssen nicht durch einen Mitarbeiter abgewickelt werden; das übernehmen neue Technologien und E-Lösungen. Der strategische Einkauf steuert und überwacht diese Prozesse dann nur noch. Damit ist der operative Einkäufer ein Auslaufmodell.
- Die Anforderungen und Erwartungen an den strategischen Einkauf wachsen und damit die Forderung nach einem erhöhten Wertbeitrag.
- Das Berufsbild des Einkäufers wandelt sich grundlegend. Seine traditionelle Rolle ist passé. Er wird zum digitalen Schnittstellenmanager nach innen und außen.
- Technologien schaffen viele neue Möglichkeiten für Unternehmen, ersetzen allerdings keine persönlichen Beziehungen. Besonders im Einkauf bleiben persönliche Kontakte zu Lieferanten und internen Kunden eine wichtige Basis.
- Der Einkauf trägt nicht die Gesamtverantwortung für die Umsetzung von Industrie 4.0 – dennoch spielt er dabei eine entscheidende Rolle.
Die aktuelle Studie ist Ausgangspunkt für weitergehende, detaillierte Untersuchungen zum Thema Einkauf 4.0. Dazu haben BME und Fraunhofer IML einen Think Tank als Erfahrungs- und Ideengeber gegründet. Aufgabe dieses Expertenkreises ist es, Erfahrungswerte aus der bisherigen Praxis zusammenzutragen sowie die mit der fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft verbundenen Anforderungen an den Einkauf zu ermitteln.