ESG in der Lieferkette: Daten teilen und Partner finden

Illustration: Absmeier Riki32

Eine gut durchdachte und gut gemanagte Lieferkette unterscheidet führende Unternehmen wie Walmart oder Schneider Electric von Unternehmen, die um ihre Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. Doch wenn etwas schief geht – von Covid-19-Unterbrechungen bis hin zu Menschenrechtsskandalen – kann die Lieferkette im Handumdrehen Werte vernichten. Das Online-Modeunternehmen Boohoo verlor innerhalb von zwei Tagen 1,5 Milliarden Pfund an Wert, nachdem 2020 in den Medien berichtet wurde, dass einige Arbeiter in einer Fabrik, die Teil der Lieferkette des Unternehmens war, weniger als die Hälfte des Mindestlohns erhielten.

 

Nun steht das EU-Gesetz zur Sorgfaltspflicht vor der Tür – das etwas sperrig Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) heißt. Es wird die meisten Unternehmen dazu zwingen, zu prüfen, ob ihre Zulieferer Kinder- oder Sklavenarbeit einsetzen oder die Umwelt gefährden. »Wir können nicht länger die Augen davor verschließen, was in unseren Wertschöpfungsketten passiert«, so Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz.

 

Eine weltweite Umfrage von Infosys unter mehr als 2.500 Geschäftsführern und Managern – elf Prozent davon aus Unternehmen mit Sitz in Deutschland – ergab, dass viele Firmen noch nicht einmal die grundlegendsten Schritte unternommen haben, um ESG-Prinzipien in ihrer Lieferkette zu verankern.

 

Integration von ESG in die Lieferkette

Die ESG-Entwicklung eines Unternehmens muss im eigenen Haus beginnen, kann und sollte aber nicht dort enden. Fast alle Organisationen wollen, dass ihre Lieferkette ihrem Beispiel folgt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es geht beispielsweise darum, Treibhausgasemissionen zu senken, die Arbeiter besser zu behandeln oder die Umweltverschmutzung zu reduzieren. In der von Infosys durchgeführten Umfrage gaben 99 Prozent der Befragten an, dass sie ihre Lieferketten-Partner an ESG-Zielen ausrichten wollen – oft auch auf Druck von Regulierungsbehörden, Kunden oder Investoren. Ein Teil deutscher Unternehmen (39 Prozent) gibt an, dass sie ihre Partner oder Lieferanten bereits auf der Grundlage von ESG-Auswirkungen auswählen, nur ein Prozentpunkt weniger als Firmen insgesamt.

 

Die meisten befragten Firmen bemühen sich bereits, ihre ESG-Werte in die Lieferkette zu integrieren. In vielen Bereichen sind die deutschen Unternehmen ihren globalen Konkurrenten bei diesem Thema voraus. Fast drei Viertel (74 Prozent) der Befragten in Deutschland geben an, dass ihre Organisation ESG-Erwartungen oder -Anforderungen an ihre Partner stellt. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) erhalten bereits ESG-Daten von den Partnern innerhalb ihrer Lieferkette.

 

Insgesamt deuten diese Daten darauf hin, dass viele Unternehmen ihre Lieferketten überarbeiten. Auch hier hat Deutschland die Nase im internationalen Vergleich vorn. Dennoch hat etwa ein Viertel der Firmen immer noch nicht die grundlegendsten Schritte (Festlegung von Erwartungen oder Anforderungen) unternommen. Diese sind notwendig, um ESG-Ziele mit ihrer Lieferkette in Einklang zu bringen. Einig sind sich alle Unternehmen, dass dies eine Priorität ist.

 

Zwei Drittel der deutschen Unternehmen teilen ESG-Daten mit den Beteiligten innerhalb ihrer Lieferkette, was deutlich über dem Prozentsatz der Firmen insgesamt liegt (58 Prozent). Für Organisationen, die ihre Daten nicht teilen, entsteht dadurch ein Einwegspiegel. Dieser bietet keine wirkliche Transparenz. Daten müssen in alle Richtungen fließen – nur so lässt sich eine Lieferkette schaffen, die vollständig mit den ESG-Zielen übereinstimmt. Transparenz innerhalb der gesamten Lieferkette kann jedes Unternehmen entlang des Weges stärker und wertvoller machen – vorausgesetzt, jede Firma hat starke ESG-Referenzen.

 

Teilen Unternehmen keine Daten miteinander, sind alle Bemühungen eher isoliert als integriert – und erzielen weder die erwünschten Ergebnisse noch einen entsprechenden Mehrwert. Mit dieser problematischen Dynamik haben Organisationen bereits bei ihren Bemühungen hinsichtlich eines technologischen Wandels oder ihren Versuchen, die Vorteile ihrer internen Daten voll auszuschöpfen, gerungen.

 

Eine deutlich kleinere Gruppe von Unternehmen ergreift bereits Maßnahmen auf Basis von Informationen über ihre Lieferkette. Aber nur ein Drittel deutscher Firmen verhandelt Verträge auf der Grundlage von ESG-Daten neu. Das ist weniger häufig als bei Organisationen insgesamt (37 Prozent). In diesem Bereich sind deutsche Unternehmen also nicht führend. Obwohl Firmen in Deutschland eher Daten sammeln und weitergeben als ihre Konkurrenten weltweit, handeln sie seltener.

 

ESG-freundliche Partner in der Lieferkette: leichter zu finden, aber kostspielig

Unternehmen wollen auf jeden Fall mit Lieferketten-Partner zusammenarbeiten, die im ESG-Bereich bereits sehr aktiv sind und sich durch ein hohes Maß Engagement auszeichnen – auch wenn sie vielleicht noch nicht alles Notwendige tun. Der Prozess, Partner innerhalb der Lieferkette zu identifizieren, die ihre ESG-Initiativen ergänzen, ist jedoch nicht so einfach.

 

Die Mehrheit der Befragten (58 Prozent) gibt an, dass es nicht schwierig ist, Partner in der Lieferkette zu finden, die gute ESG-Empfehlungen aussprechen – ein höherer Prozentsatz als der weltweite Durchschnitt von 50 Prozent. Aber diese guten Übereinstimmungen haben für deutsche Unternehmen ihren Preis. Kaum mehr als die Hälfte (51 Prozent) gibt an, dass Partner mit guten ESG-Eigenschaften kosteneffizient sind. Das ist deutlich weniger als in der Infosys Stichprobe insgesamt (60 Prozent).

 

Insgesamt geben deutsche Unternehmen an, dass es ihnen leichter fällt, ESG-orientierte Partner in der Lieferkette zu finden als ihre globalen Konkurrenten. Diese Partner sind aber weniger kosteneffizient. Nur jeder Fünfte gibt an, dass ESG-bewusste Lieferkettenpartner die perfekte Kombination bieten: sowohl leicht zu finden als auch kosteneffizient. Der Prozentsatz in Deutschland ist etwas niedriger als in der Gesamtstichprobe (22 Prozent).

 

Es ist bereits schwierig, Lieferketten zu managen, noch komplexer ist es, sie vollständig mit den sich häufig ändernden ESG-Zielen in Einklang zu bringen. Unsere Untersuchung zeigt jedoch, dass Firmen diese Schritte unternehmen wollen und müssen, da die Lieferketten immer stärker unter die Lupe genommen werden. Was jetzt fehlt, ist die Umsetzung dieser Bestrebungen.

 

Deutsche Unternehmen teilen und empfangen bereits mehr Daten in ihren Lieferketten als der weltweite Durchschnitt, was ihnen einen Vorteil verschafft. Jetzt müssen sie allerdings schnell entscheiden, wie sie diese Daten am besten nutzen können. Sie sollten entscheiden, sie nun eigene Fähigkeiten entwickeln oder externe Hilfe in Anspruch nehmen. Bei der Auswahl ihrer Partner sollten Daten eine wesentliche Rolle spielen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie die Gelegenheit verpassen, ESG in ihren Lieferketten zu berücksichtigen, und dass sie gegenüber der globalen Konkurrenz an Boden verlieren.

Mohit Joshi, President, Infosys