Experten-Interview: Worauf sollte man bei der Auswahl eines ERP-Systems achten?

Experte für Enterprise-Resource-Planning-Systeme. © Michael Zettl, Vorstand dc AG

 

In wirtschaftlich fordernden Zeiten muss Ordnung bei Finanzströmen, Lagerhaltung oder der Personalplanung einfach sein. Dank der Cloud-Technologie werden auch für kleinere Firmen leistungsstarke Enterprise-Resource-Planning-Systeme, kurz ERP, immer erschwinglicher. Doch welches Tool ist für welches Unternehmen am besten geeignet. Michael Zettl, Vorstand bei der dc AG, kennt den ERP-Markt wie seine Westentasche und nennt hier seine Auswahlkriterien für die bestmögliche Software.

 

 

Herr Zettl, Ihr Rat als Vorstandsmitglied bei der Digitalagentur dc AG hat besonderes Gewicht. Zu welchem Enterprise-Resource-Planning-Tool raten Sie Ihren Unternehmens-Mandaten aktuell?

Da wir uns bei der dc AG auf mittelständische Kunden spezialisiert haben, empfehlen wir die im deutschen Mittelstand marktführende ERP-Applikation »Microsoft Dynamics 365 Business Central«. Das ERP-System ist aufgrund seiner großen Verbreitung mittlerweile quasi der Standard geworden, und man trifft meist nur noch verschiedene Business-Central-Partner in Auswahlverfahren an.

 

Lange Zeit ging in Deutschland nichts über SAP. Aber kann es die »One-fits-all«-Lösung überhaupt geben? Zu unterschiedlich sind doch die Interessen beziehungsweise Prozesse unterschiedlicher Unternehmensgrößen als auch -branchen, oder?

Dies kommt sehr darauf an, wie spezifisch und individuell die Anforderungen der jeweiligen Kundenbranche sind. Wenn man in einer Spezialnische unterwegs ist, sind branchenspezifische ERP-Partner oft von den Features her besser aufgestellt und es ist sogar möglich, dadurch Kosten und Zeit bei der Einführung zu sparen. Auf der anderen Seite haben gerade diese – meist kleineren – Anbieter von ERP-Systemen in den vergangenen Jahren sehr stark damit zu kämpfen, ihre Lösungen »cloud-ready« zu machen und sie können oft technologisch nicht mehr mithalten. Die »Generalisten« unter den ERP-Systemen, wie zum Beispiel Microsoft oder SAP, bieten in der Regel eine sehr moderne Basistechnologie, die 50 bis 70 Prozent der Anforderungen abdeckt. Durch das Eco-System um die Anbieter herum, also die Lösungen von spezialisierten Implementierungs-Partnern, kann dann in der Regel die Lücke noch gut geschlossen werden.

 

Ab welcher Größe braucht eine Firma Ihrer Meinung nach ein ERP-System?

Früher waren die ERP-Systeme für Firmen mit weniger als 20 Arbeitsplätzen unerschwinglich. Durch die Cloud-Angebote ist ein professionelles ERP-System heute schon ab zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für eine Firma sinnvoll. Was kleinere Firmen aber oft unterschätzen ist, dass ein ERP-System erfordert, dass man sich zum Beispiel im Bereich der Buchhaltung schon etwas besser auskennen muss und nicht mehr so »ungenau« arbeiten darf, wie wenn man einfach alle seien Belege dem Steuerberater übergibt, der das alles dann schon irgendwie noch »zusammenklempnert«.

 

Wie genau gehen Sie bei der Empfehlung für ein bestimmtes ERP-System vor? Welche Auswahlkriterien spielen für Sie die wichtigste Rolle?

Wichtig ist, dass man sich anschaut, wo die Firma heute steht, in welcher Branche sie tätig ist, welche Anforderungen aktuell existieren und wo die Firma zukünftig hinmöchte. Kurz: Wie ist die Vision? Ein paar Kernanforderungen wie Multi-Währungs-, Multi-Sprache-, Multi-Site- oder Mehrmandanten-Fähigkeit grenzen die Anzahl der infrage kommenden Systeme in der Regel dann schon sehr ein. Natürlich sind auch Fragen nach der Lizenzierungsform und der technischen Architektur (z.B. On-Premises vs. Cloud) ein grundsätzliches Auswahlkriterium. Die wichtigste Aufgabe von uns als Berater ist schließlich die Fit-Gap-Analyse. Genauer gesagt gilt es zu beurteilen, ob das ERP-System die an sie gestellten Anforderungen, gegebenenfalls mit Anpassungen, zu einem erschwinglichen Preis abdecken kann und das Projekt in einem akzeptablen Einführungszeitraum durchgeführt werden kann.

 

Ein gutes ERP-System managt, plant, steuert und verwaltet nahezu alles – vom Personal über die Ressourcen und Betriebsmittel bis hin zum Kapital. Gibt es dabei bestimmte Anwendungsbereiche, auf die man besonders achten muss?

Die gute Abbildung des Finanzmanagements, wie beispielsweise die Integration der Buchhaltung und die Abbildung der Artikelbewegungen (bzw. Dienstleistungen), sind der Kern einer guten ERP-Lösung. Aus meiner Sicht spielt die Möglichkeit der einfachen Anbindbarkeit der Software über standardisierte Schnittstellen eine immer wichtigere Rolle, da der Ansatz der »Micro-Services« in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Ohne die Möglichkeit, sich gut mit anderen Softwareprodukten in einen Gesamtprozess zu integrieren ist eine ERP-Lösung heute kaum noch zu gebrauchen. Darüber hinaus sollte eine gute Auswertbarkeit der Kennzahlen möglich sein, denn wie heißt es so schön: »If you can’t measure it, you can’t manage it«.

 

Welche Neuerungen und Trends erwarten Sie in naher Zukunft im Bereich der Business-Software-Solutions?

Ich denke, es liegt aktuell ganz klar auf der Hand, dass der Einsatz der »Künstlichen Intelligenz« vieles vereinfachen und verändern wird in den nächsten Jahren. Durch die Cloud-Technologie wird es immer besser möglich sein, Muster in Prozessen und Daten zu erkennen und daraus Schlussfolgerung zu ziehen, die den Anwenderinnen und Anwendern bei der täglichen Arbeit helfen und unterstützen. Technologisch sehen wir darüber hinaus immer öfters »Always-up-to-date«-Systeme, die keine teuren und aufwändigen Upgrade-Projekte alle drei bis fünf Jahre mehr benötigen. Dies verändert die Branche bereits jetzt massiv und ermöglicht es uns, unsere knappen Kapazitäten in der Branche auf die wirklich wertschöpfenden Anpassungen und Entwicklungen zu konzentrieren.