Microsoft zieht endlich nach und baut eigene Rechenzentrumskapazitäten in Deutschland auf – Besser zu spät als nie

Intelligente Microsoft-Cloud-Lösungen sollen bald direkt aus Deutschland aus den Händen bzw. der Verantwortung von Microsoft lieferbar sein. Bislang ging dies nur über den Umweg der Microsoft Deutschland Cloud bzw. die Betriebshoheit von T-Systems. Microsoft investiert nun also doch noch in weitere regionale Rechenzentren, um näher an die Kunden und deren Wünsche heranzurücken. Neben Deutschland sind weltweit und in der EU weitere lokale Delivery-Stationen geplant, bei denen jedoch auch Mietmodelle anstelle des Rechenzentrumeigenbaus in Frage kommen können.

Ein Blick auf Deutschland aus Deutschland

Deutschland ist wie die ganze Welt im Cloud-Fieber: Steigende Ausgaben (Gesamtmarktvolumen in Deutschland für Public Cloud 2018: 13 Milliarden Euro; Wachstum über 31 Prozent) sind auch ein Hinweis auf den zunehmenden Anteil nutzender Unternehmen, der bei ungefähr zwei Drittel, über alle Unternehmensgrößenklassen betrachtet, liegt. Großunternehmen sind dabei längst fortgeschrittener als die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die seit zwei bis drei Jahren eine große Aufholjagd gestartet haben und den Durchschnitt (noch) nach unten ziehen.

Dennoch: Unternehmen sind teilweise noch immer skeptisch gegenüber Public-Cloud-Modellen. Meistens sind es Fragen zum Datenschutz, zur Anbindung an das Unternehmensnetzwerk bzw. Integration in bestehende Prozesse und Datenpools oder zur Ausfallsicherheit, die Kunden im ersten Schritt von der Nutzung abhalten. Vieles kann aber im zweiten oder dritten Schritt geklärt werden, so dass der Nutzung der Public Cloud selten etwas im Wege steht.

Aufgrund der großen Bedeutung des deutschen Marktes ging Microsoft mit der Zusammenarbeit mit der T-Systems International GmbH einen großen Schritt, als dessen Ergebnis ab Ende 2016 bzw. Anfang 2017 ein Teil der Azure Cloud-Funktionalitäten aus den Händen des Datentreuhänders T-Systems geliefert werden konnte. Man war mit dieser Kooperationsform ein echtes Unikum am Markt, aber auch vergleichsweise teuer und zudem langsamer, als Kunden es von einer Public Cloud gewohnt sind. Features und Produkte haben gefehlt oder wurden mit Verspätung implementiert. Dies galt auch für Office365, wo zudem noch handwerkliche Implementierungsfehler bzw. Compliance-Anforderungen ein K.O.-Kriterium für international agierende (Groß-) Kunden gewesen sind. Die wichtige Netzwerkkompatibilität inklusive Freigabe- und Authentifizierungsverfahren von der Standard-Microsoft-Cloud zur Deutschland-Cloud ist nicht gegeben. Dadurch wird die regional übergreifende Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb eines Unternehmens, die ja bedeutender denn je ist, beeinträchtigt. Diese Schwäche und weitere Punkte könnten dazu geführt haben, dass der erwartete Ansturm auf diese Public-Cloud-»Sonderlocke« nicht wie gewünscht erfolgt ist.

Unter Zugzwang

Aus lokaler Sicht ist für Microsoft durchaus noch etwas anderes als bedenklich anzusehen. Die beiden Hauptkontrahenten AWS und Google (sowie auch IBM) bieten Public Cloud Services aus Deutschland heraus an. Sie haben sich nicht für diesen komplizierten Umweg begeistern lassen und haben daher viel Geld und Zeit gespart. Zwar ist auch hier nicht immer sofort jeder Service aus dem weltweiten bzw. stets USA- und UK-getriebenen Portfolio erhältlich, aber die Zeitspanne bis zur Verfügbarkeit ist wesentlich kleiner. Zudem sind die Netzwerke virtuell verbunden und ermöglichen einen einfachen grenzüberschreitenden Datenaustausch.

Kunden erhalten über ein lokales Azure-Rechenzentrum aus den Händen von Microsoft direkten Zugriff auf die bekannte Innovationsgeschwindigkeit und das exponentiell wachsende Ökosystem zu attraktiven Preisen.

War also dieses spezielle Modell der Zusammenarbeit mit T-Systems weniger den tatsächlichen Use Cases bzw. regulatorischen Anforderungen geschuldet, sondern viel mehr der Befriedigung lokaler Bauchgefühle und vermeintlichen Vorbehalten? Ja und Nein. Diese Sonderfälle scheinen nun schneller als gedacht zu bröckeln bzw. gegenüber harten Fakten und Kostenvorteilen, die für die »echte« Public Cloud sprechen, in den Hintergrund zu treten. Es gibt sicherlich noch genügend Gründe und Anforderungen einzelner Branchen und Workloads die sich hierfür eignen, eine breite Masse wird man in diesem Modell aber voraussichtlich schwer erreichen. Kann man nun von dem Aus der Deutschland Cloud sprechen? Die Frage wird sein, ob sich der zu betreibende Aufwand weiterhin rechnet.

Ist nun zu erkennen, dass in der Public Cloud nicht nur der günstige Preis und die Innovationsgeschwindigkeit, sondern auch die lokale Datenhaltung zählt? Allem Anschein nach schon! Andernfalls kann man sich nicht erklären, warum Microsoft nun große Summen in eigene Rechenzentren in Deutschland investiert. Der ISG Cloud Index bestätigt dies übrigens, in dem kaum ein kalkuliertes Kundenszenario gegen eine Public Cloud spricht.

Profiteure

Vor allem international agierende Kunden profitieren von der Ausweitung der Microsoft-Standorte. Nun können manche Services noch bedenkenloser aus der echten, d.h. günstigen und schnellen bzw. innovativen Microsoft Public Cloud bezogen werden und vor allem leicht in internationale Konzernstrukturen und Accounts integriert werden. Microsoft reagiert somit im Wettbewerbsvergleich spät, aber noch rechtzeitig. Man streckt die Fühler als einer der größten Rechenzentrumsbetreiber (über 50 Regionen in 140 Ländern) in weitere erfolgsversprechende Länder aus. Wie groß einzelne Kapazitäten im Vergleich zu großen Knotenpunkten ausfallen werden, bleibt abzuwarten. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Microsoft trotz der späten Entscheidung speziell in Deutschland für ausreichende Skalierung und somit Puffer sorgen wird.

Nach dem – aktuell noch ungewissen – Starttermin profitieren Kunden unmittelbar durch die Möglichkeit der lokalen Datenhaltung in einer der führenden und intelligenten Public Clouds. Im zunehmend relevanten Cloud-Workplace- bzw. Workspace-Szenario, in dem Microsoft beispielsweise selbst und zusammen mit Citrix als Anbieter aktiv ist, wird für deutsche Unternehmen auch dieser Service attraktiver bzw. manchmal überhaupt erst nutz- bzw. »genießbar«. Örtliche Nähe bedeutet auch geringere Latenz, die für Arbeitsplatzumgebungen entscheidend sein kann. Dabei betrifft dies weit mehr als Trading Desks im Banking-Umfeld. Diese neue Microsoft-Cloud aus Deutschland wird wie gewohnt blitzschnell Feature Upgrades erhalten und ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis besitzen. Im Wettbewerbsvergleich sind im Fall Microsoft aber vor allem die Hybrid-Cloud-Kompatibilität sowie die Line-of-Business-Akzeptanz und -Relevanz als Vorteile zu nennen.

Heiko Henkes, ISG Research, www.isg-one.com

 


 

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