Sanfte Migration – so gelingt der Umstieg auf VoIP

Die gute alte ISDN-Technik ist in die Jahre gekommen. Die großen Provider planen seit Jahren einen Technologiewechsel und es droht dem Kunden bei Missachtung dieser Entwicklung teilweise die Abschaltung der alten Technologie. Wohl dem, der frühzeitig die Weichen gestellt hat. Das Angebot an VoIP-TK-Anlagen ist groß – worauf sollte man also achten, wenn man sich auf die neue Technik einlässt? Wie gelingt der Umstieg?

Hier ist an einem Fallbeispiel eine mögliche Vorgehensweise beschrieben, die so übertragbar auf beliebige Situationen ist. Man kann hierüber nicht nur umsteigen, sondern durch den Parallelbetrieb der alten TK-Anlage mit einer neuen VoIP-/UC-Anlage auch die Anbindung zusätzlicher Benutzer oder die Nutzung neuer, in der alten TL-Anlage noch nicht vorhandener Funktionen, wie beispielsweise VoicE-Mail, Chat oder Fax-to-Mail realisieren.

Gleich vorweg die wichtigste Information: die beste VoIP-Anlage taugt nichts, wenn die Verbindungswege, das IP-Netzwerk nicht in der Lage ist, die Gespräche zuverlässig zu routen. Hierbei ist nicht nur die Bandbreite der Internetverbindung gemeint, sondern vor allem die Technik im Unternehmen selbst. Wenn die Switches keine Layer-3-Switches sind und weder VLAN, noch QoS bieten, dann wird die Umsetzung scheitern. Daher sollte jedes Unternehmen sein Netzwerk in Phase 1 einer VoIP-Readiness-Prüfung unterziehen. Dies ist, soviel sei vorab gesagt, nicht allein mit einem Prüfstecker getan, der einmalig per roter, gelber oder grüner LED anzeigen soll, ob die Voraussetzungen erfüllt sind.

Bei einer seriösen Messung werden an verschiedenen Stellen des Netzwerks Messpunkte (Nodes) und ein Messserver installiert. Diese erzeugen unterschiedliche IP-Pakete, vergleichbar denen von VoIP-Calls, wie sie bei VoIP-Telefonie auftreten und simulieren mit verschiedenen Intensitäten ein typisches Gesprächsaufkommen. Gemeinsam mit dem Kunden werden die geeigneten Stellen ausgewählt, wobei dies auch standortübergreifend erfolgen kann. Die Messungen laufen über einen vorab definierten Zeitraum (ca. 1-2 Wochen) und die Protokolle werden im Anschluss ausgewertet.

Man erhält abschließend eine Dokumentation mit Diagrammen zu Delay, Jitter und wie hoch die Packet-Loss-Quoten zu unterschiedlichen Tageszeiten und damit die zu erwartende Qualität der Gespräche auf dem aktuellen Netzwerk sein werden, nicht ohne auf empfehlenswerte Maßnahmen zur Optimierung hingewiesen zu werden. So ist es sinnvoll darauf zu achten, dass die eingesetzten Switches die Telefone mittels PoE mit dem notwendigen Strom versorgen können. Zum einen entfallen so die Kosten für die Netzteile der Telefone, zum anderen ist nur durch einen über eine USV abgesicherten PoE-Switch sichergestellt, dass die Telefone auch bei Stromausfall funktionieren und Notrufe abgesetzt werden können. Generell sind VoIP-Readiness-Analysen lösungsunabhängig, da bei der Messung die gängigen VoIP-Protokolle SIP (Session Initiation Protocol) und RTP (Realtime Transport Protocol) zum Einsatz kommen. Daher können die Ergebnisse für alle OpenStandards-VoIP-Lösungen angewendet werden.

 

 

Wurde der ordnungsgemäße Zustand des Netzwerks überprüft, kann mit Phase 2 begonnen werden. Hierbei wird die Verbindung zwischen Primärmultiplexanschluss und der alten TK- Anlage gekappt und durch ein VoIP-Gateway, vorzugsweise mit SBC (hierzu später mehr), ersetzt.

Das Gateway hat zwei Ausgänge – einen, der an die alte TK-Anlage mit ihrem gewohnten PMX versorgt und einen zweiten, der die neue VoIP-Anlage per IP anbindet. Die VoIP-Anlage wiederum ist mit dem eigens im LAN eingerichteten Voice-VLAN verbunden und erreicht hierrüber die neuen Endgeräte.

Die Endgeräte und Funktionalitäten können vom Kunden in Ruhe ausgetestet werden, die alte Hardware nach und nach ersetzt werden. Dies kann etwa genutzt werden, um das optimale Endgerät zusammen mit den Anwendern zu ermitteln, was generell die Akzeptanz bei denen erhöht, die später damit telefonieren sollen. Die alte Telefonanlage bekommt von alledem nichts mit. Für sie ist alles beim Alten. Sollte es unverhofft zu Problemen kommen, kann man durch ein einfaches Umstecken den Originalzustand umgehend wiederherstellen.

Das einzige, was an der alten Anlage vorgenommen werden muss, ist eine Rufumleitung für alle Nummern, die bereits mit einem VoIP-Endgerät an der neuen Anlage angeschlossen sind. Dies kann mit einem Präfix erfolgen. Das Gateway weiß, welche Rufnummer welcher Anlage zugeordnet ist. Ist beispielsweise die interne Rufnummer 250 bereits umgezogen und es kommen Rufe von außen über den ISDN-Anschluss am Gateway an, routet es das Gespräch zur neuen Anlage. Noch nicht umgestellte Nummern landen weiterhin bei der alten Anlage. Möchte ein Teilnehmer, der noch ein herkömmliches Telefon hat, seinen Kollegen mit dem neuen Gerät und der 250 erreichen, so wählt er weiterhin die 250. Die Rufumleitung übergibt den Ruf zum Beispiel mit dem Präfix 9 als 9250 an das Gateway, das wiederum das Gespräch an die VoIP-Anlage übergibt. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist klar zu erkennen – das Tempo und die Kostenentwicklung bestimmt der Kunde. Für analoge Geräte, wie Fax, Brandmelder oder Türsprecheinrichtungen müssen spezielle Wandler von analog auf IP eingesetzt werden.

Nun gehen wir über zu Phase 3. Hier werden alle ausgehenden Telefonate vom Gateway in das NGN im Internet geroutet. Eingehende Rufe laufen weiterhin über den PMX und damit über ISDN. Derweilen kann der Austausch der Endgeräte uneingeschränkt fortgesetzt werden.

Die logische Konsequenz ist in Phase 4 die Umstellung der eingehenden Rufe beim Provider. Hierbei ist noch der Hinweis wichtig, dass das Gateway unbedingt einen integrierten SBC (Session Border Controller) besitzen sollte, wenn man sich nicht der dunklen Seite der Macht des Internets hingeben möchte. Dieser sorgt dafür, dass die neue Anlage wirklich nur mit Telefonieaufgaben versorgt wird und nicht bei nächster Gelegenheit wegen einer Überflutung an dubiosen Anrufen aus dem Netz außer Gefecht gesetzt wird. Auch der vom BSI beschriebene Gebührenbetrug [1], auch Fraud Calls genannt, bei dem die TK-Anlage missbräuchlich genutzt wird und Kosten generiert werden, wird hierdurch gestoppt. Diese Aufgabe sollte man nicht einer herkömmlichen Firewall überlassen.

An dieser Stelle ist der Umzug vollzogen. Wer etwas vorsichtiger ist, lässt den ISDN-Anschluss noch eine Weile ungenutzt mitlaufen und hat somit jederzeit die Möglichkeit, kurzfristig alles zurück zu drehen. Aber letztendlich kann nach einem Testzeitraum von 1-2 Wochen die Nabelschnur in die alte Welt getrennt und die Kosten dafür eingespart werden. Die alte TK-Anlage kann derweilen weiterlaufen. Dies kann gegebenenfalls zur Verteilung von Kosten sinnvoll sein, etwa wenn es sich um eine umfangreiche DECT-Installation handelt, deren Umstellung im Gegensatz zu den VoIP-Endgeräten mit hohen Kosten verbunden ist. Allerdings ist abzuwägen, ob man doppelte Wartungskosten oder das Risiko eines Ausfalls dafür in Kauf nehmen möchte.

Der letzte Schritt ist in Phase 5 die Trennung von der über die Jahre so vertrauten alten TK-Anlage. Bei den meisten VoIP-Anlagen müssen wir uns auch intern von dem liebgewonnenen »Rückruf bei Besetzt« verabschieden. Bei Rufen nach extern ist das eh nicht mehr möglich, da die Signalisierungsebene des ISDN-D-Kanals mit IP-Mitteln so nicht ohne immensen Aufwand abgebildet werden kann.

Fazit

Bei der vorgestellten sanften Migration von herkömmlicher ISDN-Technik auf eine IP-basierte TK- Anlage kann der Kunde das Tempo und den Zeitraum der Umstellung selbst bestimmen und daher auch die Kosten entzerren. Er minimiert sein Risiko, sowohl technisch, als auch finanziell, da er mitten in der Umstellung auf andere Geräte und Komponenten umsteigen kann, wenn dies erforderlich ist. Durch die Einbindung der Mitarbeiter ist eine hohe Akzeptanz gewährleistet. Der Umstieg Schritt für Schritt ermöglicht der eigenen IT ein stressfreies Ausrollen selbst großer Umgebungen.

Karsten Hoffmann, Produktmanager für den Bereich Unified Communications bei Netzlink und Jan Schumacher, Geschäftsführer der iant GmbH

 

[1] Abschnitt G5.14 – https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrundschutz/ITGrundschutzKataloge/Inhalt/_content/g/g05/g05014.html

 


 

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