Es gibt erstaunliche Parallelen zwischen der Kindererziehung und der Informationstechnologie.
Meine Frau und ich sind vor kurzem Eltern geworden. Durch unsere Tochter hat sich für mich eine andere Welt aufgetan. Eine Welt, in der Best Practices meistens ins Leere laufen und sich Kennzahlenvergleiche auf Dezibel und Wachphasen pro Nacht erstrecken. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass manche Dinge doch nicht so anders sind als in der IT.
Das wurde mir erst neulich bewusst, als ich das süßeste Kuschelmonster des Planeten davon überzeugen konnte, mit mir und dem Kinderwagen einen kleinen Ausflug eine Schlitterpartie (schließlich ist Winter und Schneeräumen anscheinend nur eine optionale Leistung der Stadt) zum Café um die Ecke zu machen – Papa braucht gelegentlich was Süßes, Mama mal mehr als nur Sekundenschlaf und der Nachwuchs frische Luft.
Status-Konferenzen von IT-Großprojekten. Dort angekommen, sitzen dann rings um den Tisch Latte-Macchiato-Mütter [1] und Cappuccino-Väter_* Innen. Während die Kleinen im Designer-Kinderwagen liegen, rühren ihre Eltern stundenlang in ihren fair gehandelten koffeinhaltigen Heißgetränken mit stickstoffaufgeschäumter Alpacca-Milch und sinnieren über ihre Nachkommen: »Also, eigentlich kommt man ja zu nichts … Wir haben keine Zeit für Irgendwas … Aber mein Kleiner macht trotzdem Riesen-Fortschritte!«
Mir fällt es wie Schuppen von den Augen und ich fühle mich plötzlich in Status-Konferenzen von IT-Großprojekten zurückversetzt: Jeder Teilprojektleiter (hier: Vater / Mutter) klagt über sein eigenes Schicksal (Müdigkeit, Incidents wie volle Windeln, die vielen Change Requests beim Umziehen und das ständige Reporting an die Stakeholder – korrigiere: Großeltern) bei seinem Projekt (»Kind 1.0«), das aber wunderlicherweise trotzdem wächst und gedeiht und natürlich in Time / Quality / Budget / Bildungsplan ist.
Und so geht Tag für Tag, Stunde um Stunde ungenutzt ins Land, die für sinnvollere Dinge genutzt werden können anstatt für Lamentieren und Selbstbeweihräucherung. Immerhin fördert es die Kaffee erzeugende Industrie, beim Bäcker um die Ecke wie auch im stickigen Konferenzraum.
Alles Sinnvolle kostet extra. Auf dem Rückweg dann – es hat zwischenzeitlich angefangen zu schneien – offenbart sich mir die nächste Parallele zur IT: First Generation Parenting ist quasi wie First Generation Outsourcing: Alles kostet extra. Also alles Sinnvolle.
Jeder Kinderwagen wird mit (für den Hersteller) überlebensnotwendigen Ausstattungsmerkmalen wie Kaffeebecherhalter, höhenverstellbarer Schiebebügel, Blattfedern, Massagedüsen und integrierten Flutlichtmasten ab Werk geliefert; ein Gesamtkunstwerk als Mobilitätskonzept. Wenn es aber regnet oder draußen kalt ist (oder beides zusammen), dann fällt einem auf, dass wirklich nutzbringende Dinge wie Regenhaube oder Felleinlage eben nur gegen Einwurf kleiner Münzen erhältlich sind.
Während ich nun hektisch versuche, den Nachwuchs vor den eindringenden Schneemassen zu schützen, kommt mir eine kürzliche Begegnung mit einem Dienstleister in Erinnerung. Wir wollten den sehr guten Angebotspreis für den Betrieb von Full-Managed-Servern abklopfen.
Erst nach mehrfacher Nachfrage (»Sie sind sich wirklich, wirklich sicher, dass die Regenhaube Erstkonfiguration mit dabei ist?!«) kam dann scheibchenweise die Wahrheit: unser Klient sollte für so unwichtige Dinge wie Installation und Erstkonfiguration von virtuellen Maschinen schön extra zahlen. Begründet wurde das mit ominösen Extrakosten für eine automatisierte Installation einer virtuellen Maschine. Dafür war aber die Perleffekt-Metallic-Lackierung des Gehäuses anscheinend im Betriebspreis enthalten. Wahrscheinlich auch der Latte-Macchiato-Becherhalter.
Bei solchen Dingen sind sich die Verkäufer der IT-Dienstleister und Kinderfachgeschäfte sehr ähnlich: Als unbedarfter Erstkunde wird einem bei vielen unnützen Dingen übergeholfen (»Ach, den Windeleimer mit Plasmafilter brauchen Sie un-be-dingt! Genauso wie HANA in der High-End-Konfiguration!«), während die wirklich wichtige Ausstattung gelegentlich nicht angesprochen wird. Dann muss der Kunde ja wiederkommen und man kann Zusatzgeschäft generieren.
Da hilft dann nur eines (bei Kindern wie auch renitenten Service-Providern): Ruhig und stoisch bleiben. Irgendwann wird man für seine Geduld aber doch belohnt. Nach vielen, vielen schlaflosen Nächten. Das gibt es nur mit Kindern und in der IT.
Marcus Schwertz,
Senior Consultant,
LEXTA CONSULTANTS GROUP
[1] An dieser Stelle betone ich, dass meine Frau dieses Klischee in keiner Weise bedient. Ich sage dies aus freien Stücken und nicht etwa, weil meine Holde in diesem Moment hinter mir grade ihr Nudelholz streichelt.