Satire – Zwei mal drei macht vier

Satire – Zwei mal drei macht vier

Das tägliche Leben im IT-Management ist härter als jede Dschungelprüfung. Heutige Prüfung: Begriffe und ihre Bedeutung.

Wenn zwei sich in der gleichen Sprache unterhalten, dann ist es schön, wenn die Gesprächspartner bei Nennung eines Begriffs sofort ein Bild vor Augen haben und dieses dazu noch deckungsgleich ist. Wenn also der Ausdruck »Lokführerstreik« fällt, dann haben die Gesprächspartner in 99 Prozent der Fälle das gleiche Bild vor Augen (Stillstand, Schnauzbartträger, Selbstdarstellung, unverständliche Ziele des Streiks). Es sei denn, mindestens ein Gesprächsteilnehmer ist ein gewerkschaftlich organisierter Lokführer. Es kann demnach von einer standardisierten Bedeutung des Wortes ausgegangen werden. Schwieriger wird es, wenn – wie schon häufiger thematisiert – englische Begriffe oder solche, die es sein sollen, verwendet werden. Aber in der IT ist Englisch nun einmal Pflichtsprache und somit allgemein verständlich. Beim Begriff »Smartphone« beispielsweise hat vermutlich auch jeder nicht unmittelbar in der EDV beschäftigte Mensch in etwa die gleiche Vorstellung, was das für ein Telefon ist, unabhängig vom Hersteller des Gerätes.

So begegnen dem IT-Manager im Laufe seines Berufslebens eine Menge Begriffe, die in der IT-Welt ein De-facto-Standard geworden sind. Eigentlich sollte damit alles klar sein. Eigentlich. Die Realität ist jedoch in vielen Fällen der Phantasie des Satirikers einen Schritt voraus. Deshalb sind die nachstehenden Beispiele alle wahr und aus dem wirklichen Leben gegriffen, großartige Meisterleistungen von Dienstleistern, die diese Leistung dem Kunden anbieten. Ganz großes IT-Manager-Ehrenwort, ehrlich!

Housing. Als erstes Beispiel mag der Begriff »Housing« dienen. In der IT-Sprache bezeichnet der Begriff üblicherweise die Unterbringung und Netzanbindung von IT-Infrastruktur-Komponenten im Rechenzentrum des Anbieters. Soweit die graue Theorie und in Deutschland in Kunde-Dienstleister-Verhältnissen tausendfach gelebte Praxis. Es gibt allerdings auch auf dem deutschen Markt mindestens einen Dienstleister, der dieses für sich (und damit auch für seine Kunden) vollkommen anders interpretiert.

Der Weg zur Interpretation lässt sich vielleicht wie folgt nachvollziehen: Housing klingt ja so ähnlich wie »hausen«. Hört sich aber schon gefährlich negativ an. Sind die Leute, die das wollen, nicht vergleichbar mit Hausbesetzern? Dann sollten diese gleich abgeschreckt werden. Stattdessen gibt es – welch glorreiche Idee des Marketings – eher einen Vergleich des Rechenzentrums mit einem Hotel. Und wer öfter einmal in deutschen Landen in Hotels absteigt, der wird eventuell auch in den besseren Hotels die leidvolle Erfahrung gemacht haben, dass der Netzwerkzugriff nicht unbedingt im Preis enthalten ist. WLAN für 24 Stunden im Sonderangebot, es kostet nur die Hälfte der Übernachtungsrate ohne Frühstück für das Hotelzimmer. Wer greift da nicht gerne zu?

Und was in Hotels klappt, das klappt ganz bestimmt auch im Rechenzentrum. Also Vorsicht beim Housing – besser den Dienstleister vorher fragen, was dieser als Housing anbietet: Rechenzentrum oder Hotel. Und was sagt Dr. House dazu? »Ich frag nur aus Neugier. Welches Wort hatten Sie nicht verstanden?«

Bestell-Portal. Ein zweites Beispiel ist ein »Bestell-Portal«. Zugegeben, die Welt ist verwöhnt durch viele Händlerportale vom Schlage eines ehemaligen Internet-Buchhändlers, der heute vermutlich alles verkauft, was sich durch griechische Schutzgötter und Kollegen zum Kunden transportieren lässt. Ein ausgeklügeltes System warnt außerdem den Kunden davor, den Einkauf nur auf das Nötigste zu beschränken. Wenn also jemand nicht an alles denkt – der Vorschlag, was andere Kunden in gleicher Situation »richtiger« im Bestellprozess gemacht haben, ist sofort eingeblendet.

Der Idealtyp eines Bestell-Portals ist damit gut beschrieben und jeder findet sich darin gut zurecht, die jetzige Windelgeneration wird damit groß und wird in einigen Jahren – wenn sie schreiben und lesen gelernt haben – mit großen Augen fragen, was denn um Himmels Willen der Unterschied zwischen einem Ladengeschäft und einem Museum ist. In heutigen Verträgen mit IT-Dienstleistern finden sich viele Standardkomponenten, die wunderbar in einem Bestell-Portal abbildbar sind und mit einem Klick bestellt, provisioniert und dann natürlich auch abgerechnet werden. Auch mit IT-Gütern wie virtuellen Servern macht dies der besagte Buchhändler vor.

Trotzdem ist auch hier ein Nachfragen beim Dienstleister ratsam. Denn Bestell-Portal ist nicht gleich Bestell-Portal und im Zweifelsfall lässt sich ja gutes Geld verdienen, wenn der Kunde einen Standard-Produktkatalog integriert haben möchte. Als Antwort bekommt der verdutzte Kunde den Hinweis, dass dies nun wirklich nicht dem Standard eines Bestell-Portals entspräche. Um eine Assoziation zum angebotenen Standard zu bekommen, muss man sich schon zu den Anfängen der breiten kommerziellen Nutzung des Internets in den Neunzigern des letzten Jahrtausends zurückbegeben: mit einfachstem HTML-Code ließ sich eine Gästebuch-Funktion erstellen, wo die anfangs noch raren Besucher einer Webseite ihre Freitextkommentare hinterlassen konnten. Vor zwanzig Jahren richtiges »High Tech« – und heute? Einfach peinlich. Oder ist ein Bestell-Portal vielleicht noch Neuland in manchen Teilen der Republik?

Es lohnt sich also der doppelte und dreifache Blick auf die Begriffe, denn Kunde und Dienstleister sprechen nicht immer die gleiche Sprache. Und mancher Dienstleister hält es mit Pippi Langstrumpf:

»Zwei mal drei macht vier,
widewidewitt und drei macht neune,
ich mach mir die Welt,
widewide wie sie mir gefällt.« [1]

 


autor_christph-luederChristoph Lüder,
LEXTA CONSULTANTS GROUP,
Berlin

 

 

 

 [1] Lindgren, A.: Hej, Pippi Langstrumpf! – Das große Astrid-Lindgren-Liederbuch; Hamburg, 2007; S. 6
Titelbild: © SunCity/shutterstock.com 

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