Taktgefühl, Empathie und Wertschätzung – Kündigung und Jobabsagen in der Krise

Obwohl es zahlreiche freie Stellen in Unternehmen gibt, werden Mitarbeiter auf die Straße gesetzt oder gar nicht erst eingestellt. Wieviel Wert legen Unternehmen auf ihre definierten Werte?

Fachkräfte- und Personal­mangel allerorts. Die Karten haben sich neu gemischt. Es hat sich herumgesprochen, dass sich der einst dominierende Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt hat. Und dennoch hagelt es Kündigungen trotz freier Stellen. Dabei ist der Bedarf an Personal riesig. Die Zahl der offenen Stellen stieg Ende 2022 bundesweit auf ein Rekordhoch von 1,98 Millionen. Trotzdem erhalten Bewerber mit passenden Qualifikationen immer noch Absagen.

Kündigungen zählen auch zu den lästigen Dingen im Arbeitsleben, bei denen sich niemand Schlampereien erlauben kann. In Deutschland sieht der Gesetzgeber dafür strenge Richtlinien vor, sowohl für den Kündigungszeitpunkt als auch für die Form. Doch gerade bei letzterem fühlen sich viele unsicher. Muss die Kündigung unbedingt als Brief verschickt werden oder reicht in der heutigen medialen Welt nicht auch eine E-Mail? Eines sei vorab gesagt: Das »Musk’sche Silicon Valley-Prinzip«, das besonders die großen Tech-Konzerne praktizieren, kommt in Deutschland gar nicht gut an. Hatte Elon Musk nach der Twitter-Übernahme, mit seinem spektakulärem Auftritt, das Waschbecken unterm Arm als Symbol für »Säuberung«, die Mitarbeiter per E-Mail darüber informiert, dass sie nicht länger erwünscht sind. Auf das dahinter liegende mögliche Trauma möchte ich hier nicht eingehen, wohl aber behutsam dieses Denken vieler Unternehmen, als infantiles, illusionistisches, realitätsfernes Denken und Agieren in einer Welt der Unsicherheit, ­entlarven. 

Nun liegt das Dilemma der Beendigungskündigung ausgerechnet in den freien Stellen. Sind im Unternehmen vakante Positionen vorhanden, müssen diese zunächst angeboten werden. Ein fieser Stolperstein, will man sich des Mitarbeiters tatsächlich entledigen. 

Gehaltswünsche oder Nachbesserungen sind jedenfalls nicht der Grund, für Kündigungen oder Ablehnungen. Falsche Vorstellungen vom Job und nicht so recht wissen, was man als Bewerber eigentlich will, hingegen schon. Die allseits bei Arbeitgebern unbeliebte Sinnfrage, sollte ernst genommen werden. Geht es nach dem Harvard-Professor Robert Waldinger, ist der ausschlaggebende Faktor für Zufriedenheit auf beiden Seiten, nicht das, was man arbeitet, sondern mit wem und wie die Zusammenarbeit gestaltet wird. 

Wenn man bedenkt, dass jeder sechste Arbeitnehmer in Deutschland innerlich gekündigt hat, jeder 3. Arbeitnehmer bereit wäre, sofort zu wechseln, sollte das Anlass zur Veränderung sein. Nur 16 Prozent der Arbeitnehmer fühlen sich mit ihrem Arbeitgeber verbunden. Attraktivität und Mitarbeiterbindung geht nun wirklich anders. 

Unternehmen, die exakt so arbeiten wollen, wie in der Vergangenheit, werden keine Zukunft haben. Da reizt auch der angepriesene Obstkorb in den Stellenbeschreibungen nicht. An Kreativität mangelt es Unternehmen zumindest nicht, um ihrer Attraktivität am Markt Nachdruck zu verleihen. Da erhält der CEO den Titel des Energy-Managers, der Abteilungsleiter wird zum Feelgood-Manager deklariert, neben ihm steht der Spirit-Guide und nicht zu vergessen erlebt der Work-Life-Balance-Animateur sein Comeback. 

Es scheint, als rechnen Babyboomer und Generation X, also ältere Generationen, zu denen auch ich gehöre, mit den Millennials und Generation Y ff regelrecht ab. Leben die ­Ersteren Arbeitsethos und Loyalität, decken die anderen schonungslos Missstände auf. Nach dem Gallup Engagement Index, kündigen weit mehr jüngere Generationen ihrem Arbeitgeber als umgekehrt. Auch, wenn die Entlassungswellen größerer Konzerne, anderes vermuten ließen. Fluktuation kostet Geld, viel Geld. Pro Kündigung können zwischen 90 % und 200 % des Jahresgehalts des geschiedenen Mitarbeiters an unternehmerischen Kosten und anschließender neuer Personalgewinnung angerechnet werden. Während die Kündigungsgründe von Arbeitnehmern vielschichtig sind, sind die Kosten dagegen für jedes Unternehmen eindeutig. Gallup schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten durch Mitarbeiterfluktuation in Deutschland auf bis zu 118,4 Milliarden Euro jährlich. Unternehmen, die sich zu schnell von Mitarbeitern trennen oder Personal gar nicht erst einstellen, bewirken das Gegenteil von dem, was eigentliches Ziel ist: Kosten erhöhen, statt zu senken.

Das Gras im nächsten Unternehmen ist nicht zwingend grüner, der Chef nicht unbedingt umgänglicher, der Sinn der Arbeit nicht zwingend befriedigender, der neue Mitarbeiter auch nicht unbedingt kreativer, vielleicht nicht hundertprozentig passend, aber ausbaufähig. 

Mit einem Mysterium möchte ich aufräumen, die gemeinhin als faul und mit schlechter Arbeitsmoral verpönte Arbeitsmarktgeneration ab den 1980ern, sollten nicht länger als das »Kryptonit« der Personalkennzahlen herhalten, nur weil sie verstanden haben, das digitale Zeitalter produktiv zu nutzen und diese Welt zu hinterfragen. Mehr jedenfalls, als unsere Generationen dies jemals gewagt hätten. Sie haben es verstanden, vorher nie infrage gestellte Gesetze fließend in und durch soziale Medien, Vergleichsportale und den Austausch über alle Grenzen hinaus transparent zu machen. Damit haben sie erheblichen Einfluss auf die heutige Arbeitswelt genommen. Ihre Flexibilität und Streben nach mehr Empathie, Engagement und Verantwortung, ihre Forderung nach einer starken Lernkultur und der Bemächtigung durch ihre Führungskraft sowie ihre digitalen Wertschöpfungsketten, sind sinngebend für das Gemeinwohl. Heute tauschen sich Menschen über alles und jeden aus. Bei Kununu müssen sich selbst Branchenführer Mitarbeiterbewertungen aller Art bieten lassen, für jeden Internetuser lesbar, was in ihrer Organisation vermeintlich »schief«-läuft. Diese Mitarbeiter sind es, die Unternehmen verlassen. Als Unternehmen sind Sie am Zug, zu hinterfragen, was Sie als attraktiven, innovativen Arbeitgeber auszeichnet.

Wie wäre es mit Freiheit und Verantwortung?
Natürlich darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden, dass es keine Freiheit ohne Verantwortung gibt. Die Voraussetzung dafür: gute Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am Ende des Tages zählen die Ergebnisse.

Wie wäre es mit der Möglichkeit, aus dem Office, dem Homeoffice und Open Space zu arbeiten?
Ein smarter Arbeitgeber weiß, dass es weder ohne Home­office noch ohne Office oder Open-Space geht. Das Zuhause kann ein Ort für konzentrierte Deep-Work-Phasen sein, während das Büro der Hub für Co-Creation und Co-Working ist. Dort entsteht der Teamspirit.

Wie wäre es, wenn Möglichkeiten der Weiterbildung nicht nur Benefit oder Add-on’s sind, sondern fester Bestandteil eines innovativen Arbeitgebers?
Sowohl auf dem beruflichen Aufstiegsweg als auch zur Mitarbeitergewinnung und -bindung gibt es kein besseres Fortbewegungsmittel als die Fortbildung.

Wie wäre es, die Sinnfrage als zentralen Point of View zu setzen?
Die Sinnfrage wird zentraler. Ein Arbeitgeber sollte seine Mitarbeitenden Teil einer Lösung von zentralen Zukunftsaufgaben sein lassen. Das stiftet Sinn und drückt urmenschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Empathie in den Fokus.

Wie wäre es, die neben der erwarteten körperlichen ­Fitness auch die mentale Gesundheit aktiv zu fördern?
Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz darf kein Tabu-Thema sein. Innovative Unternehmen haben das erkannt. Der Bedarf an psychischer Unterstützung ist auch im Corporate-Umfeld immens gestiegen. Fehlzeiten aufgrund psychischer Belastungen nehmen dramatisch zu. Firmen können hier auf diverse Dienstleistungen zurückgreifen, wie, z.B. externe Therapeuten oder Coaches mit entsprechender Reputation, mit denen Mitarbeiter bei Bedarf sprechen können. 

Wer den Nerv der Zeit treffen will, muss wissen, dass Modern Work und eine offene, ehrliche Unternehmenskultur eine Plattform für psychisches und körperliches Wohlbefinden von Mitarbeitern ist und dadurch Kündigungen von beiden Seiten verhindert werden können. Mitarbeiter wollen heute nicht von ihrer Arbeit vollumfänglich eingenommen sein. Vertrauen Sie, dass im Homeoffice, im Café oder im Open Space genauso engagiert und zuverlässig gearbeitet wird. Das ist die neue Work-Life-Balance, die die Produktivität steigert. Denken Sie daran, jeder Mensch will wissen, dass er als Person, mit dem was er tut, geschätzt wird und wichtig ist.

Handeln Sie, anstatt Statistiken zu wälzen. Ihre Zahlen kennen Sie. Sparen Sie sich aufwendige Mitarbeiterumfragen, die lediglich Ihre Ergebnisse untermauern. Wer sich beim Thema Kündigungen in Zahlenbergen verliert, zahlt drauf. Bei Personalmangel oder Fluktuation zählt jeder Tag. Beginnen Sie, sich als Unternehmen und Führungsetage zu verbessern.

Vielleicht Eines noch: Antiquierte pauschale Absagen, schaden auch nur ihrem eigenen Image. Erklären Sie ehrlich, warum für Sie niemand recht ist.

Sollte es zur Kündigung kommen, überreichen Sie das Kündigungsschreiben persönlich. Zeigen Sie menschliche Größe, wenn Sie sich von einem Mitarbeiter trennen. Schließlich kann sich das gesamte Leben des Betroffenen eklatant verändern. Dafür sind Sie zwar nicht verantwortlich. Als attraktiver Feelgood-Manager sollte Ihnen die Perspektive Ihres scheidenden Mitarbeiters oder abgelehnten Kandidaten trotzdem nicht so ganz egal sein. Der moderne Betrieb beweist besonders in schwierigen Situationen Taktgefühl, Empathie und die allseits gepriesene Wertschätzung.

 


Gabi Claudia Stratmann,
Business-Philosophin,
Gesellschaftstheoretikerin,
Autorin

 

 

 

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