Warum die Hürde Net-Zero zu erreichen so groß scheint – Verfehlt die Welt das Netto-Null-Ziel?

Der Sustainable-by-design-Ansatz stellt Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Produkten in den Mittelpunkt – von den Materialien über die Lieferketten bis zur Endphase des Produkts. Mit KI-unterstützter Product Lifecycle Intelligence lässt sich der CO2-Fußabdruck eines jeden Produktionsschritts ermitteln und so erkennen, wie Emissionen entstehen und wo sie sich reduzieren lassen.

Die Folgen der Klimaerwärmung sind dramatisch und schon längst überall spürbar. Schuld daran ist die Anreicherung von treibhauswirksamen Gasen in unserer Atmosphäre. Dies führt unter anderem zu einer Anhäufung von extremen Wetterereignissen wie Hitzewellen, Dürren, Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder auch Flächenbränden.

Da vor allem unsere auf Wachstum basierende Volkswirtschaft mit ihrem stetig zunehmenden Rohstoff- und Energiehunger zu den veränderten Klimabedingungen beitragen, verschreiben sich immer mehr Unternehmen, Länder und andere Institutionen dem Netto-Null-Ziel. ­Darunter fallen inzwischen schon über 70 Länder – einschließlich der großen Industriestaaten USA, China und Deutschland.

Das Netto-Null-Ziel wird erreicht, wenn nicht mehr Kohlenstoff emittiert wird als auch gespeichert werden kann. Wälder tragen zu diesem Gleichgewicht bei. Laut Kohlenstoffinventur entlastet der Wald in Deutschland die Atmosphäre jährlich um rund 62 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid, womit rund 7 Prozent der Emissionen kompensiert werden [1].

Noch wichtiger für die Kohlenstoffspeicherung sind jedoch funktionierende Ökosysteme mit gesunden Böden sowie Feuchtbiotope [2]. Allerdings gibt es auch technische Lösungsversuche wie die Speicherung von CO2 im Boden. So wurde beispielsweise in Island im September 2021 bereits eine Anlage in Betrieb genommen, die bis zu 4.000 Tonnen CO2 pro Jahr absaugen soll [3].

Warum schafft es Costa Rica, aber nicht Deutschland? Es kommt auf die Ausgangssituation an! Die Messung des Erfolgs in Richtung Netto-Null hängt weitestgehend davon ab, wo man beginnt. Die westlichen Industrienationen emittieren derzeit am meisten treibhauswirksame Gase [4]. Es gibt viele Studien, die darauf verweisen, dass die reichsten Länder sowohl gesamt als auch pro Kopf die meisten Emissionen produzieren [5]. Daher ist hier zwar das Einsparpotenzial am höchsten, aber auch am schwierigsten zu erreichen, weil es einer tatsächlichen Verhaltensänderung bedarf [6].

Im Gegensatz dazu ist Costa Rica auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2050 die Netto-Null zu erreichen. Bereits seit sieben Jahren in Folge wird dort zu über 98 Prozent reiner Ökostrom aus Wasserkraft, Geothermie und Wind produziert. Dieser grüne Strom soll auch immer stärker für den Verkehr eingesetzt werden [7]. Allerdings unterscheidet sich dessen Ausgangssituation im Vergleich zu anderen Ländern. Das Land ist kleiner, hat nicht die gleiche Menge an produzierender Industrie und ist weniger bevölkert. Zum Vergleich: In Deutschland sind viele der weltweit führenden Automobilhersteller wie Volkswagen und Mercedes-Benz ansässig. Dies spiegelt sich auch in der Anzahl an Fahrzeugen pro 1.000 Einwohnern wider. Diese liegt in Deutschland bei 628, in Costa Rica sind es dagegen nur 287 [8]. Wenig überraschend hat Deutschland seinen Earth Overshoot Day bereits am 4. Mai, während der von Costa Rica am 25. August ist [9].

Dies bedeutet aber auch, dass im privaten Bereich die Behauptung: »ich kann ja sowieso nichts ändern« ad absurdum geführt wird, da ein Mensch in den westlichen Industrienationen im Vergleich zu einem Menschen in Costa Rica sehr wohl etwas mit einer Verhaltensänderung bewirken kann. Wenn zusätzlich auch noch die richtigen Anreize von der Politik geschaffen werden, ist das Ziel auf einmal nicht mehr in so weiter Ferne. 

Daten und Transparenz sind der Schlüssel.  Um die Netto-Null tatsächlich zu erreichen, ist vor allem eines wichtig: Datenbasiertes Arbeiten und Transparenz. Das gilt vor allem für die Lieferketten, in denen rund 80 Prozent der Emissionen entstehen [10].

Unternehmen haben aufgrund der komplexen Verzweigungen der Lieferkette über Tier 1 hinaus oft keinen Überblick über die entstehenden CO2-Emissionen. So wissen sie nicht, welche Emissionen sie insgesamt in ihrer Lieferkette erzeugen und an welchen sie in anderen Ländern beteiligt sind.

Hierbei können neue Technologien wie zum Beispiel die digitalen Zwillinge von Makersite unterstützen. Mit KI-unterstützter Product Lifecycle Intelligence haben Unternehmen auf einen Blick den CO2-Fußabdruck jedes Produktionsschrittes vor Augen und können darauf basierend Gegenmaßnahmen einleiten. Dadurch erkennen sie, wie Emissionen entstehen und wo sie sich reduzieren lassen. Für produzierende Unternehmen heißt das aber auch, dass sie den CO2-Fußabdruck sämtlicher Komponenten bereits vor der Produktion eines Produktes reduzieren können.

Es ist nötig, dass Unternehmen ihre Denkweise und ihre Strategie ändern. Im Rahmen eines Sustainable-by-design-Ansatz muss Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Produkten das zentrale Element darstellen – von der Auswahl der Materialien über die genutzten Lieferketten bis hin zur Endphase des Produkts.

 


Sophie Kieselbach,
Senior Implementation Engineer Sustainability
bei Makersite

 

[1] http://bundeswaldinventur.de/fileadmin/SITE_MASTER/content/Downloads/CI2017/2019-04_FlyerKohlenstoffinventur2017_final.pdf 
[2] https://www.mpg.de/4705567/kohlenstoffspeicher-boden 
[3] https://www.agrarheute.com/energie/klima-retten-leicht-gemacht-fabrik-co2-boden-speichert-585551 
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167877/umfrage/co-emissionen-nach-laendern-je-einwohner/ 
[5] https://www.wikiwand.com/de/Liste_der_Länder_nach_CO2-Emission_pro_Kopf
[6] https://kontrast.at/co2-ausstoss-verursacher/ 
[7] https://www.gtai.de/de/trade/costa-rica/branchen/der-weg-zur-klimaneutralitaet-welche-plaene-hat-costa-rica–892228 
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_vehicles_per_capita 
[9] https://www.overshootday.org/newsroom/country-overshoot-days/ 
[10] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klimaneutrale-unternehmen-reduzierung-der-co2-emissionen-bei-lieferketten

 

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