Cyberspace und Politik – Sicherheit braucht Zweisprachler

»Cyberspace challenges all historical experience.« So beschreibt der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger die Auswirkungen des Cyberzeitalters auf die internationalen Beziehungen. Die Auswirkungen auf die internationale Politik sind in der Tat fundamental. Deswegen beschäftigt sich auch die Münchner Sicherheitskonferenz seit einigen Jahren intensiv mit Cybersicherheitsfragen.

Erstens wird es wohl zukünftig kaum einen Konflikt mehr geben, der nicht auch im Cyberspace ausgetragen wird – insbesondere zwischen entwickelten Ländern. Das heißt, dass Cyberangriffe beziehungsweise die Cyberverteidigung stets Bestandteil von militärischen und politischen Strategien sein müssen.

Zweitens setzt sich der Verlust des Gewaltmonopols des Staates fort. Bisher hat es der moderne Staat geschafft, zumindest die Verbreitung von schweren Waffen an die Bevölkerung zu verhindern. Im digitalen Zeitalter lässt sich die Verbreitung von Wissen und der dazugehörigen Hardware nicht verhindern. Im Gegensatz zu früheren Revolutionen im Bereich der Waffentechnik sind Cyberwaffen also nicht mehr einer kleinen Gruppe von Staaten vorbehalten, sondern sind sozusagen »demokratisiert«. Und die zweifelsfreie Feststellung, wer mit welchem Ziel Angriffe durchgeführt hat, ist selten möglich.

Drittens unterscheiden sich Cyberwaffen fundamental von konventionellen Waffen in ihrer Wirkungsweise: Cyberwaffen töten nicht unmittelbar, aber eignen sich sehr gut, um Gegnern kontinuierliche »Nadelstiche« zu versetzen. Der verursachte Schaden ist auch vielfältig – und kann von der Störung von demokratischen Wahlen bis zu Angriffen auf kritische Infrastrukturen, etwa Kraftwerke oder Flughäfen, reichen. Cyberwaffen kann man also auch als »Weapons of Mass Disruption« bezeichnen.

Viertens könnten es die Entwicklungen im Cyberspace gar wahrscheinlicher machen, dass es zum Einsatz von Nuklearwaffen kommt. Cyberangriffe könnten das Risiko von nuklearen Fehlentscheidungen erhöhen. Und sie könnten die Sicherheitsmechanismen eines Staates ausschalten, mit denen nicht autorisierte Nuklearschläge unmöglich gemacht werden. In den USA etwa sind in den vergangenen Jahren mehrere Schwachstellen publik geworden, an denen Cyberangriffe Atomraketensilos hätten penetrieren können.

Viele Staaten sind dabei Cyberstrategien zu entwickeln. Doch dabei sind zahlreiche wichtige Fragen unbeantwortet. Sollte man auf Cyberangriffe gegebenenfalls auch mit konventionellen Vergeltungsschlägen antworten? Wie sind solche Angriffe völkerrechtlich zu beurteilen? Über welche Fähigkeiten – offensiv wie defensiv – müssen Deutschland und Europa verfügen? Wird es gelingen, ähnlich der Konvention für die friedliche Nutzung des Weltraumes ein Vertragswerk für den Cyberspace zu schaffen? Kann solch ein Werk überhaupt durchgesetzt werden?

Die Politik beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragen, es fehlt ihr aber oft an der notwendigen Expertise und an technischem Know-how. Entscheidungen müssen trotzdem getroffen werden. Der Cyber-Community hingegen mangelt es bisweilen am Verständnis für politische Zusammenhänge. Und oft haben Experten und Politik keine gemeinsame Sprache. Wir brauchen »digitale Dolmetscher«, die die Brücke zwischen diesen beiden Welten schlagen können. Oder, noch besser: Zweisprachler.


Wolfgang Ischinger
ist Vorsitzender der
Münchner Sicherheitskonferenz
und Professor an der
Hertie School of Governance.

 

 

Illustration: © igor kisselev /shutterstock.com

 

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