Digitale Innovation lässt sich am besten durch die Kombination mit ESG-Zielen erreichen

Andrea Hendrickx ist Country Head Germany bei Infosys. In ihrer Position ist sie für die Bereiche Delivery und Operations verantwortlich sowie für die Branding-, und Talent-Strategie in Deutschland. Im Interview spricht Hendrickx über die neue Infosys Studie »Digital Radar 2023« und welche Erkenntnisse sich für Unternehmen aus den Ergebnissen ziehen lassen.

 

Frau Hendrickx, welches sind die besten Praktiken, die Unternehmen anwenden sollten, um im Zeitalter der digitalen Transformation agil zu bleiben?

Unser Digital Radar 2023 zeigt, dass die Kaskadierung von Zielverpflichtungen im gesamten Unternehmen (im agilen Sprachgebrauch als »Ziele und Schlüsselergebnisse« oder als »OKRs« – Objectives and Key Results – bezeichnet), die Geschwindigkeit der Produktbereitstellung und auch die Marktdifferenzierung für Net-Zero-Initiativen erheblich steigern kann. Agile Unternehmen, die die produktbasierte Methode anwenden, sind in der Lage, die Finanzierung auf spezifische Ergebnisse und Schlüsselziele auszurichten. Google, Tesla, Whole Foods und Haier nutzen OKRs, um den Fortschritt von Initiativen regelmäßig zu bewerten und Ressourcen flexibel und schnell dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden.

 

Was sind die Vorteile von Live-Daten und welche Auswirkungen können sie auf die digitale Transformation haben?

»Live-Daten« – transparent, leicht verfügbar, weit verbreitet – sind eine Voraussetzung für ein menschenfreundliches, nachhaltiges und innovatives Unternehmen. Im Betriebsmodell der Zukunft, das aus unserer Sicht produktzentriert sein wird, werden die erfolgreichsten Organisationen von Live-Daten angetrieben. Diese fließen in Echtzeit durch das gesamte Unternehmen. Dashboards geben einen Überblick über die Aktivitäten in allen Geschäftsbereichen. Zudem können Innovationszentren datengestützte Erkenntnisse nutzen, um detailliert festzulegen, welchen Initiativen zur digitalen Transformation sie Priorität einräumen sollten.

 

Der Bericht zeigt, dass sich digitale Innovation am besten durch die Kombination mit ESG-Zielen erreichen lässt. Welche Maßnahmen müssen Unternehmen und Führungskräfte ergreifen, um sicherzustellen, dass sie diesen Elementen Priorität einräumen und in welcher Reihenfolge?

Wir glauben, dass das Unternehmen der Zukunft gleichzeitig innovativ und nachhaltig ist. Heute ist doch (fast) jedes Unternehmen bereits digital – die Art und Weise, wie die Technologie genutzt wird, ist das Unterscheidungsmerkmal. Dies bedeutet eine Verdoppelung der Anstrengungen in Bereichen wie datengesteuerte Kultur, neue Geschäftsmodelle und Kundenbindung. Es bedeutet auch eine stärkere Konzentration auf Innovation und eine ökologische Ausrichtung durch marktdifferenzierende Net-Zero-Initiativen.

Um dies zu erreichen, müssen sich Unternehmen nachweislich auf drei Säulen und vier Empfehlungen konzentrieren. Die drei Säulen sind Live-Daten, produktorientierte Betriebsmodelle und verantwortungsvolle Risikobereitschaft. Die vier Empfehlungen lauten Priorisierung der Kultur, Verringerung digitaler Reibungsverluste, Aufbau der Fähigkeiten von morgen schon heute und Umsetzung des Wandels in leicht verdaulichen Häppchen.

Daten bilden hierfür die Grundlage. Ist das entsprechende Fundament vorhanden, sollte sich das Unternehmen auf den Wert ausrichten. Das bedeutet, dass alle Wertströme sorgfältig geprüft und Teams um sie herum gebildet werden, die einen direkten Draht zum Kunden haben. Sobald diese beiden Elemente vorhanden sind und die Erkenntnisse über die Kunden ins Unternehmen fließen, lässt sich dieses Wissen nutzen, um mutige Entscheidungen zu treffen. Diese gehen über die üblichen Ankreuzübungen in den statischen Betriebsmodellen der Vergangenheit hinaus. Überlegte Risiken bei datengestützten Entscheidungen einzugehen, ermöglicht es Führungskräften, ESG-Innovationen voranzutreiben. Diese gewährleisten eine gesunde Bilanz und einen gesunden Planeten.

 

In dem Bericht heißt es, dass Unternehmen zukunftsfähig, menschenzentriert, innovativ und kohlenstoffarm sein werden und sich über eine höhere Mitarbeiterbindung, höhere Gewinne und eine bessere Markenwahrnehmung freuen können. Welche Geschäftsstrategien müssen sich Führungskräfte einfallen lassen, um diese Ziele zu erreichen?

Die drei Bereiche, auf die sich Unternehmen unserer Meinung nach konzentrieren sollten: die Einführung von Live-Daten-Praktiken, der Aufbau einer Organisationsstruktur, die sich an Produkten und nicht an Prozessen orientiert, sowie die Förderung verantwortungsbewusster Risikopraktiken. Live-Daten bedeuten Daten, die transparent, zugänglich und weit verbreitet sind (zum Beispiel ESG-Dashboards). Die Organisation rund um das Produkt stellt sicher, dass die Customer Journey schnell und datengesteuert abläuft. Die Erkenntnisse basierend auf dem Produkt werden schnell getestet und gelernt. Dabei zeigt sich schnell, was funktioniert und was nicht. Verantwortungsbewusste Risikobereitschaft bedeutet, mutige Entscheidungen zu treffen. Diese basieren nicht nur auf Heuristik, sondern auch auf maschineller Intelligenz und Datenanalyse.

Damit der Wandel im gesamten Unternehmen funktioniert, empfehlen wir Führungskräften, vier Dinge gut zu machen. Erstens muss die Kultur in den Vordergrund gestellt werden. In den meisten Organisationen ist dies derzeit nicht der Fall. Zweitens müssen Mitarbeiter und Kunden in der Lage sein, digitale Technologien und Fähigkeiten ohne Reibungsverluste zu nutzen. Die Beseitigung jeglicher digitaler Reibungsverluste ist daher von größter Bedeutung. Ein produktorientiertes Betriebsmodell erhöht die Geschwindigkeit und die Innovationskraft, die mit diesen Veränderungen einhergehen. Drittens: Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter jetzt und schnell weiterbilden. Wenn die Talente in der Firma nicht vorhanden sind, sollten die Unternehmen die Gig-Economy in Anspruch nehmen und nach anderen Talentpools, wie Fachhochschulen, Ausschau halten. So sind sie in der Lage, ihre Teams mit versierten, kreativen und flexiblen Mitarbeitern zu ergänzen. Und viertens ist jetzt der richtige Zeitpunkt für Unternehmen, ihre Veränderungsprogramme zu starten.

 

Welche Initiativen können Unternehmen ergreifen, um die digitalen Lernmöglichkeiten für ihre Mitarbeiter zu verbessern?

Digitales Lernen ist etwas, das auf jeden Mitarbeiter individuell angewandt werden sollte. Systeme und Plattformen müssen die Inhalte und das Lernen auf jeden Einzelnen in seinem eigenen Tempo zuschneiden. Natürlich sind die Anforderungen jedes Unternehmens sehr unterschiedlich. Wichtig ist, dass jede Organisation sowohl auf die Bedürfnisse der Kunden als auch der Mitarbeiter eingeht, denn das macht langfristig den Unterschied aus. Mitarbeiter sind nur dann zum Lernen motiviert, wenn sie tagtäglich Ergebnisse in ihrer Arbeit sehen. Wenn sie in funktionsübergreifenden, produktbasierten Teams mit direktem Kundenkontakt eingesetzt werden, lernen sie schneller, sehen ein schnelleres Wachstum der Produkte und Dienstleistungen, an denen sie arbeiten, und engagieren sich stärker für den Zweck und die Mission des Unternehmens.

 

Eine letzte Frage: Wie wollen Sie in der heutigen Zeit die Kundendaten schützen? Gibt es in diesem Zusammenhang bewährte Verfahren?

Alle Unternehmen sollten die sogenannten »Security by Design«-Prinzipien implementieren, das heißt, sie berücksichtigen die Datensicherheit und den Datenschutz in jeder Phase eines Geschäftsprozesses. Denn alle Unternehmen sind für Sicherheitsverletzungen anfällig.

Daten müssen angemessene Sicherheits- und Datenschutzvorkehrungen erfüllen. Die meisten Organisationen tun jedoch nicht genug: Berichten zufolge sind 62 Prozent der Unternehmensleiter der Meinung, dass ihre Marken Kundendaten besser schützen. Die häufigsten Arten von Kundendaten, die bei Datenschutzverletzungen aufgedeckt werden, sind personenbezogene Daten. Der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) sowie Sicherheitsanalysen und Verschlüsselung reduzieren die Kosten einer Verletzung und sparen Marken Millionen.

Im Bereich der Datensicherheit ist eine der wichtigsten Praktiken die Verwendung von Zero-Trust-Architekturen (ZT). ZT erweitert das Prinzip der »geringsten Privilegien« bis zu seiner letzten Konsequenz: Keinem Anwender wird vertraut, jeder Zugriff wird überprüft. Darüber hinaus erhalten Nutzer nur Zugang zu den Daten und Anwendungen, die für ihre Rolle notwendig sind. Aber ZT allein schützt Unternehmen nicht. Nur in Verbindung mit anderen Best Practices für die Cybersicherheit schützt es Unternehmen. Dazu gehören unter anderem Security by Design, Automatisierung von Aufgaben und Tools wie CASB.

Da Unternehmen zunehmend die Cloud und künstliche Intelligenz in ihre Abläufe einbeziehen, fungieren Cloud Access Security Broker (CASB) als Vermittler zwischen Nutzern und Cloud-Service-Anbietern und vergrößern die Reichweite ihrer Sicherheitsrichtlinie. Gleichzeitig lassen sich damit neue Richtlinien für den Cloud-spezifischen Kontext erstellen. CASB sind zu einem wichtigen Bestandteil der Unternehmenssicherheit geworden. Sie erlauben, die Cloud sicher zu nutzen und gleichzeitig sensible Kundendaten zu schützen. ]]

 

 

Andrea Hendrickx ist Country Head Germany bei Infosys. In ihrer Position ist sie für die Bereiche Delivery und Operations verantwortlich sowie für die Branding-, und Talent-Strategie in Deutschland. Vor ihrer Zeit bei Infosys war Andrea Hendrickx in der Versicherungsbranche, der IT-Unternehmensberatung und bei Capgemini tätig, wo sie verschiedene Positionen inne hatte. Andrea Hendrickx verfügt über umfassende Expertise in den Bereichen gewinnbringendes Wachstum, Margenverbesserung, Strategie, Projekt- und Personalmanagement, Global Delivery sowie IT Service Management.

 

 

Fotos: Infosys (c)

 

Über den Digital Radar 2023

Das Infosys Knowledge Institute (IKI) führte eine anonyme Online-Umfrage unter 2.700 Führungskräften aus verschiedenen Branchen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Australien, Neuseeland, China und Indien durch. Um zusätzliche, qualitative Erkenntnisse zu gewinnen, befragten die Forscher Fachexperten und Unternehmensleiter. Mit Hilfe linearer Regressionen wurde dann analysiert, welche Technologien und Geschäftspraktiken mit Gewinn- und Umsatzwachstum korrelieren. Den vollständigen Bericht ist hier in Englischer Sprache downloadbar.