Digitale Zwillinge und effektive Zusammenarbeit für nachhaltige und widerstandsfähige Infrastruktur

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Es liegt in unserer Verantwortung, die Infrastruktur zukünftig nachhaltiger und umweltfreundlicher zu planen, zu bauen und zu betreiben. Planer, Bauherren, Eigentümer und Betreiber von Infrastrukturen müssen sich deshalb an die Spitze setzen beim Übergang zu kohlenstoffarmen Lösungen, Abfallreduzierung und Energieeinsparung, um den Klimawandel positiv zu beeinflussen. Wie das gelingt, erklärt Rodrigo Fernandes, Director of ES(D)G (Empowering Sustainable Development Goals) bei Bentley Systems.

 

Aus welchem Grund ist Infrastruktur so wichtig und in welchen Zusammenhang steht diese mit dem Klimawandel?

Der Entwurf, der Bau und der Betrieb von Infrastruktur spielen eine wichtige Rolle bei der Verknüpfung unseres Lebens, unserer Familien und unserer Gemeinschaften. Laut dem Bericht von UNOPS (Büro für Projektdienste der Vereinten Nationen) Infrastructure for Climate Action (Infrastruktur für Klimaschutz) ist Infrastruktur allerdings »für 79 % der gesamten Treibhausgasemissionen und 88 % aller Kosten für Anpassungsmaßnahmen verantwortlich« [1]. Für das Klima auf unserem Planeten spielt die Infrastruktur also eine zentrale Rolle und es liegt in unserer Verantwortung, diese Infrastruktur zukünftig nachhaltiger und umweltfreundlicher zu planen, zu bauen und zu betreiben. Planer, Bauherren, Eigentümer und Betreiber von Infrastrukturen müssen sich deshalb an die Spitze setzen beim Übergang zu kohlenstoffarmen Lösungen, Abfallreduzierung und Energieeinsparung, um den Klimawandel positiv zu beeinflussen.

Es liegt auf der Hand, dass niemand diese Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit allein bewältigen kann.

 

Wie kann also zusammengearbeitet werden, um die Ziele für Nachhaltigkeit zu erreichen und sogar zu übertreffen, während die Infrastruktur weltweit entworfen, gebaut, betrieben und instandgehalten wird?

Im Jahr 2015 haben alle UN-Mitgliedstaaten die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) für die Menschheit und den Planeten verabschiedet [2].

Mit dem Blick auf Infrastruktur können wir uns auf ein Ziel konzentrieren, das Unternehmen in ihren Bemühungen unterstützt, Infrastrukturen nachhaltig zu entwerfen, zu bauen, zu betreiben und instand zu halten. Ziel 17 lautet: »Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen.«

 

Welcher Ansatz ist hinsichtlich der Zusammenarbeit besonders wichtig? Wie können digitale Zwillinge dabei helfen, das Ziel einer nachhaltigen Infrastruktur zu erreichen?

Für eine effektive Umsetzung und Zusammenarbeit ist ein datenzentrierter Ansatz erforderlich. Die meisten Daten sind zwar reichlich vorhanden, aber in der Regel in unterschiedlichen Formaten, mehreren Repositorys und verschiedenen Disziplinen in den Lieferketten isoliert. Ein datenzentrierter Ansatz lässt diese Grenzen verschwinden und ermöglicht einen offenen Zugang, sodass ein Mehrwert für die Problemlösung entsteht. Mit digitalen Zwillingen können Unternehmen Daten visualisieren und analysieren, um fundiertere Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungsintelligenz trägt nachweislich zur Reduzierung von Abfall und Kohlenstoffemissionen beim Bau und Betrieb von Infrastrukturen bei und spart sogar Energie und Wasser.

 

An welchem Beispiel lässt sich diese Thematik besonders anschaulich erläutern?

In Finnland nutzt die intelligente Stadt Helsinki Erdgas für ihr zentrales Heizsystem. Diese Systeme, die Wärme von einer zentralen Quelle durch ein Netz isolierter Rohrleitungen übertragen, dienen der Beheizung einzelner Gebäude. Doch selbst bei regelmäßiger Wartung werden diese Heizungs- und Wasserversorgungssysteme mit dem Alter schwächer, was zu Lecks führt, die Betriebsausfälle, Energieineffizienzen und eine unsichere Wasserversorgung verursachen können.

Mit einem datenzentrierten Ansatz hat Suur-Savon Sähkö Oy, einer der größten Netzbetreiber Finnlands, gemeinsam mit Silo AI, einem Labor für künstliche Intelligenz, einen datengesteuerten Anlagenoptimierungsdienst für die stadtweiten Rohrleitungsnetze entwickelt. Silo AI, Experte für Lösungen und Netze für intelligente Städte, führte daraufhin Daten aus zahlreichen Systemen zusammen, um einen Gesamtüberblick über den Zustand der Rohrleitungen zu erhalten.

Diese beiden Unternehmen haben sich stark auf digitale Zwillinge und künstliche Intelligenz (KI) gestützt, um eine gemeinsame Quelle für Rohrnetzdaten zu entwickeln. Eigentümer und Betreiber können diese Daten nutzen, um den Betrieb zu verbessern und Wasserlecks zu beseitigen.

Silo AI führte alle Daten zusammen, einschließlich Informationen über die Heizungs- und Wasserversorgung sowie detaillierte Daten zum Alter, Typ und Zustand der Rohrleitungen.

 

Wie arbeiteten diese Unternehmen mit Bentley Systems zusammen und was sind die wesentlichen Vorteile dieser Zusammenarbeit?

Die Unternehmen entwickelten eine Methode, um die Daten zu analysieren und in einer intuitiven Benutzeroberfläche zu visualisieren, wobei sie die iTwin-Plattform von Bentley Systems für den digitalen Zwilling der Infrastruktur nutzten.

Die KI-gesteuerte Analyse der Kühlleistung verbesserte die Energieeffizienz erheblich und reduzierte den Brennstoffverbrauch durch die Senkung der Temperatur des Heizungsnetzes um 3 Grad Celsius.

Durch die Festlegung von Prioritäten für Wartungsarbeiten an Stellen, an denen Lecks auftreten können, kann der Eigentümer und Betreiber der Rohrleitung den Wasserverlust begrenzen, Verstopfungen und Ausfälle verhindern und gleichzeitig die Wartungskosten senken.

Für die meisten praktischen Zwecke können alle Daten in einem einzigen digitalen Zwilling zusammengeführt werden, der zu einer Art zentraler Datenspeicher (vernetzte Datenumgebung) wird. Dieser steht allen offen und ist in seinem ursprünglichen Format leicht nutzbar. Silo AI kombinierte alle Daten, die für die Anwendung der KI benötigt wurden, mit einer offenen Plattform für einen digitalen Zwilling für Infrastruktur als Kernstück der Lösung.

 

Was lässt sich zusammenfassend noch sagen? Inwiefern spielt dies eine Rolle in Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit?

Die Lösung der Probleme des Zentralheizungssystems von Helsinki begann mit einem datenzentrierten Ansatz, bei dem künstliche Intelligenz und die Technologie digitaler Zwillinge in den Infrastrukturbetrieb integriert wurden, um Energieeinsparungen und Wassersicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Eine offene, zugängliche Plattform für den digitalen Zwilling, auf der die verschiedenen Daten an einem Ort zusammengeführt werden, ermöglicht es Drittunternehmen wie Silo AI und ihren Kunden, die Ziele für nachhaltige Entwicklung im Infrastrukturbereich zu realisieren. Dies ist ein echtes Beispiel für das kollaborative Ökosystem, das erforderlich ist, um die Umsetzung der globalen SDG zu beschleunigen, und eines von vielen Beispielen für eine effektive Veränderung der Art und Weise, wie wir Infrastrukturen entwerfen, bauen und betreiben, um unsere negativen Einflüsse auf den Planeten zu verringern.

 

Welche Rolle spielen digitale Zwillinge dabei, diese Ziele zu erreichen?

Infrastrukturexperten stehen vor der gewaltigen Aufgabe, die Struktur unserer Welt nachhaltig umzugestalten. Die gute Nachricht ist, dass wir uns auf die Intelligenz der digitalen Zwillinge verlassen können, um die Last zu tragen.

Durch einen datenorientierten und kollaborativen Ansatz zur Problemlösung werden wir ein Ökosystem von Unternehmen schaffen, das die Infrastruktur für eine nachhaltige Zukunft voranbringen kann.

Es mag ein komplizierter Weg dorthin sein, aber die Erfahrung zeigt, dass die wirksamsten Veränderungen mit kleinen Schritten beginnen. Mithilfe intelligenter digitaler Zwillinge können wir intelligenter und schneller zusammenarbeiten, um diese Ziele zu erreichen.

 

 

Rodrigo Fernandes ist Director of ES(D)G (Empowering Sustainable Development Goals) bei Bentley Systems und leitet die Nachhaltigkeitsinitiativen des Unternehmens. Rodrigo setzt sich für eine Kultur der Nachhaltigkeit ein, empowert nachhaltige Entwicklungsziele durch Software und Dienstleistungen von Bentley und agiert als Evangelist für den ökologischen Handabdruck von Bentley. Rodrigo ist außerdem Botschafter des Europäischen Klimapakts und arbeitet als externer Experte für die Europäische Kommission und das portugiesische Meeresministerium (DGPM).

Zuvor arbeitete Rodrigo bei Bentley als Senior Consultant und Projektmanager im Water Infrastructure Team und anschließend als Experte für Geschäftsentwicklung und Umweltbranche für das Acceleration Team und Digital Cities. Er kam 2017 mit der Übernahme der Water Business Unit von Action Modulers zu Bentley und war davor Forscher im Marine, Environment & Technology Center (MARETEC) der Universität Lissabon. Er hat einen Doktortitel in Umweltingenieurwesen und hat über 20 europäische Innovationsprojekte zur Modellierung von Wasserressourcen und Fragen der Umweltsicherheit konzipiert und geleitet.

 

 

[1] https://content.unops.org/publications/Infrastructure-for-climate-action_EN.pdf

[2] https://sdgs.un.org/2030agenda