Die interkulturelle Vielfalt ist in Unternehmen angekommen: Mehr als die Hälfte der Betriebe in Deutschland beschäftigt heute Mitarbeiter mit Migrationsgeschichte, wie das Personalpanel des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) zeigt. Handlungsbedarf gibt es aber bei Frauen mit Migrationshintergrund.
Von den deutschen Großunternehmen beschäftigen 92 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, in den mittleren Firmen liegt der Anteil bei 81 Prozent und in den kleinen Betrieben bei 55 Prozent. Dies zeigt eine Unternehmensbefragung im Rahmen des IW-Personalpanels. Auch bei Neueinstellungen kommen Zugewanderte immer öfter zum Zug. Jedes zweite Unternehmen hat in den vergangenen fünf Jahren Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt. In drei Viertel dieser Betriebe waren das Menschen, die aus einem Nicht-EU-Land stammen.
»Die Unternehmen haben erkannt, dass sie auf der Suche nach Fachkräften auf Migranten angewiesen sind«, sagt IW-Wissenschaftler Wido Geis. Nachholbedarf gibt es jedoch bei den Migrantinnen, zeigt die Befragung: Nur 40 Prozent der befragten Betriebe greifen auf deren Potenzial zurück. Vor allem in kleinen Betrieben – die hierzulande besonders stark vertreten sind – ist der Anteil mit 38 Prozent niedrig. In den Großunternehmen liegt er dagegen bei 83 Prozent.
Die Umfrage zeigt, dass die Sprache für den Einstieg in den Arbeitsmarkt entscheidend ist. Mehr als die Hälfte aller Personalverantwortlichen sehen in fehlenden Deutschkenntnissen eine große Hürde, wenn es gilt, Migranten einzustellen. Zudem ist oft fraglich, ob die Zugewanderten dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Jedes dritte Unternehmen sieht darin ein starkes Hemmnis. Ähnlich viele Betriebe (31 Prozent) halten die richtige Einschätzung des Qualifikationsniveaus der Zugewanderten für ein Problem. Kulturelle Spannungen im Unternehmen befürchten nur rund 12 Prozent aller Personalverantwortlichen.
[1] Die Umfrage wurde im Auftrag des Bundesfamilienministeriums erstellt. https://www.iwkoeln.de/studien/gutachten/beitrag/329215
Arbeitskräftemangel in 2030 birgt große Gefahr für Wohlstand und Wachstum
Deutschland könnten in 15 Jahren zwischen 5,8 und 7,7 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Alle Bundesländer sind davon betroffen, die neuen Bundesländer aber besonders stark. Verlust an Wirtschaftsleistung in 2030 bis zu 550 Milliarden Euro möglich.
Vom Babyboom zur Mangelware – der demografische Wandel wird zu einem großen Problem für den deutschen Arbeitsmarkt, denn Fachkräftemangel bremst das Wirtschaftswachstum. Diese Entwicklung wird sich bis 2030 noch verschärfen. In Deutschland könnten so in den kommenden 15 Jahren 5,8 bis 7,7 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Dies geht aus der neuen Studie Die halbierte Generation von The Boston Consulting Group hervor. »Von dieser Arbeitskräftelücke sind alle Bundesländer betroffen. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, steht das deutsche Wirtschaftswachstum auf dem Spiel und letztlich auch unser Wohlstand«, sagt Rainer Strack, BCG-Senior-Partner und Autor der Studie. Den Berechnungen zufolge könnten Deutschland aufgrund dieser Lücke in 2030 rund 410 bis 550 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung entgehen.
Arbeitskräfteangebot deckt nicht den Bedarf
In der Studie werden vier verschiedene Szenarien simuliert, wie sich Arbeitskräfteangebot und -bedarf bis 2030 entwickeln könnten, um aus dieser Differenz die Arbeitskräftelücke zu berechnen. Eines der vier Szenarien ist das sogenannte Basisszenario, dem beispielsweise eine optimistische Bevölkerungsentwicklung zugrunde liegt, die bereits eine hohe Nettomigration und eine steigende Erwerbsquote voraussetzt.
In diesem Basisszenario ergibt sich in Deutschland eine Arbeitskräftelücke von 6,1 Millionen im Jahr 2030. In den Bundesländern werden die Lücken unterschiedlich groß sein: Während Bayern das nach absoluten Zahlen höchste Arbeitskräftedefizit von rund 1,2 Millionen verzeichnen könnte, sieht sich Thüringen mit der größten relativen Lücke von minus 28 Prozent konfrontiert. »Vor allem in den neuen Bundesländern wird der Mangel zum großen Problem werden«, sagt Rainer Strack voraus. »Den Verlust von bis zu einem Fünftel der Arbeitskräfte werden diese Regionen kaum verkraften, ohne in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblichen Schaden zu nehmen. Bleiben Gegenmaßnahmen aus, sind eine weitere Verödung ländlicher Gebiete, die Abwanderung von Betrieben und das Schrumpfen lokaler Märkte absehbar.«
Hoher Handlungsdruck: Deutschland braucht langfristige Personalstrategie
Das Wachstum der gesamten Wirtschaftsleistung in Deutschland – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – würde im Verhältnis zu Vergangenheitswerten folglich drastisch zurückgehen: von durchschnittlich 1,3 auf 0,5 Prozent pro Jahr. Der Handlungsdruck für die Beteiligten in Politik und Wirtschaft, diese Auswirkungen abzumildern, ist hoch.
»Wir brauchen eine langfristige Personalplanung – das gilt für Unternehmen wie auch für Deutschland. Im Vergleich zur Kapitalseite, bei der kontinuierlich gemessen wird, wie produktiv Eigen- und Fremdkapital eingesetzt werden, sind viele Unternehmen und eben auch die deutsche Politik von einer vergleichbar intensiven Betrachtung des Vermögenswertes ›Mitarbeiter‹ noch weit entfernt«, resümiert Strack. »Wir müssen uns viel stärker damit auseinandersetzen, welche Mitarbeiter wir jetzt und in Zukunft brauchen, woher sie kommen und wie wir sie bestmöglich ausbilden können.«
[1] Die aktuelle Untersuchung »Die halbierte Generation« ist eine Vertiefung und Weiterentwicklung der BCG-Studie The Global Workforce Crisis. $10 Trillion at Risk aus dem Jahr 2014 über demografische Entwicklungen und ihre Folgen auf weltweiter Ebene. Das Onlineportal findet sich unter www.bcgperspectives.com.
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