Satire – Et kölsche Jrundjesetz im Lichte des IT-Sourcings

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Konrad Beikircher hat in seinem Buch »Et kütt wie et kütt – Das Rheinische Grundgesetz« nicht nur mundartliche Redensarten aus dem Rheinland zusammengefasst, nein, er hat auch – vermutlich ohne es zu wissen – verhaltens-psychologische IT-Sourcing-Prinzipien der CIOs aufgestellt.

In diesem Sinn können einzelne Artikel des kölnischen Grundgesetzes sogar als auf den Punkt gebrachte Sourcing-Strategie verstanden werden. Das Gute daran ist, dass der Nukleus einer gesamten Strategie trefflich in einer Redensart verpackt werden kann und sich damit jeder weitere Verfahrensbeteiligte darauf einstellen kann, was ihn (und die IT im Unternehmen) erwartet.

Strategie 1: Et es wie et es. 

Die Strategie findet sich häufig in Unternehmen in langer Outsourcing-Partnerschaft mit ein und demselben Dienstleister, der gerne auch ein konzerninterner Dienstleister sein kann. CIOs, die diese Strategie verfolgen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass dies eigentlich gar keine Strategie des Unternehmens ist, sondern die des Dienstleisters. Resignation hat sich breitgemacht, der letzte Wille zur Gestaltung von Änderungen ist längst gebrochen, das leidenschaftliche Feuer einer selbstgestalteten IT-Strategie vor Jahren erloschen. Funktionen zur Dienstleistersteuerung wurden über die Jahre abgebaut, aktive Steuerung findet selbst auf der taktischen Ebene des Tagesgeschäfts nicht mehr statt.

Wie schon erwähnt: die Strategie des Dienstleisters zur Erbringung von Leistungen wird ungeprüft übernommen, was in zwei Richtungen führen kann, von der eine Richtung diese Strategie determiniert (und die andere sich in der zweiten Strategie findet). Bei »Es ist wie es ist« besteht möglicherweise eine Gewinnmaximierungsstrategie seitens des Dienstleisters. Es wird bewährte und buchhalterisch bereits abgeschriebene Technologie so lange wie möglich eingesetzt, bis es gar nicht mehr geht, wobei natürlich die Betriebspreise selbstverständlich konstant bleiben oder gar steigen (COLA [1] sei Dank).

Zukunftsträchtig ist diese Strategie nicht, auch nicht für den CIO. Den Preis »CIO des Jahres« wird niemand mit dieser Strategie einheimsen, nicht in Zeiten, in der jedermann auf den Zug der Digitalisierung aufspringen kann. Es winkt aber ein anderer Preis, der des »Dinosauriers 2.0« – und damit ist auch schon das Schicksal des CIOs mit einer solchen Strategie vorgezeichnet.

Strategie 2: Et kütt wie et kütt.

Die zweite Strategie ist eine Fortentwicklung der ersten Strategie. Visionär wird nicht allein die Gegenwart als unveränderlich bezeichnet, sondern sehenden Auges auch die Zukunft als unveränderlich entgegengenommen. Auch die Ausgangssituation ist analog zur ersten Strategie ausgestaltet. Es bleibt als Differenzierungsmerkmal die schon bei der ersten Strategie erwähnte zweite Richtung. Hierzu gibt es die technikaffinen Dienstleister, die dafür sorgen, dass die Leistungen immer auf dem Stand der Technik bezogen werden, vielleicht sogar mit Vorsprung durch Technik. Der Vorteil des Dienstleisters besteht darin, dass er damit einen guten Kunden hat, der dazu beiträgt, dass marktreife Services für andere Kunden entwickelt werden können – und der die Einführung neuer Technologien aktiv finanziell unterstützt (jeder Fortschritt kostet schließlich Geld).

Trotz allem: Auch diese Strategie verdient die Verleihung des Preises zum »Dinosaurier 2.0«. Aber möge die Evolution vorher den CIO weiterentwickeln.

Strategie 3: Et hätt noch emmer joot jejange.

Die dritte Strategie, die ein CIO wählen kann, ist schon interessanter. Er weiß, dass möglicherweise die komplette Leistungserbringung am seidenen Faden hängt, hat aber ein Grundvertrauen in seinen Dienstleister und seine eigene Abteilung (merke: ab dieser Strategie ist der CIO nicht mehr einsam, sondern hat Mitstreiter, ansonsten würde es nämlich nicht immer gutgehen) und einen unerschütterlichen Optimismus.

Innerhalb dieser Strategie ist dieser Optimismus das treibende Element, es wird punktuell verbessert, Missstände werden nach jedem Beinah-Absturz oder Beinah-Verfehlen der maximalen Ausfallzeit aufgearbeitet – wohlbemerkt hinterher, nicht vorher. Leider fehlt es an einer Systematik, insbesondere an einer progressiven Risikoanalyse, und nicht selten sind es die eigenen Mitarbeiter, die Unzulänglichkeiten im Sourcing-Konstrukt ausbügeln. Dafür wird jedoch fortlaufend optimiert, auch nicht immer einem strategischen Vorgehensmodell folgend, es sei denn, man sieht die »Operation am offenen Herzen« als solches an.

An den CIO, der diese Strategie verfolgt, geht kein »Dinosaurier« als Schmähpreis. Er sollte aber seine Strategie behutsam erweitern, etwas mehr Weitblick und aktive Optimierung einbauen, und zwar präventiv, nicht erst, wenn es fast zu spät ist. Auch bei der dritten Strategie findet sich in der Praxis häufig eine Beziehung mit nur einem Dienstleister, jedoch in der Regel angereichert um die Expertise von Spezialisten im eigenen Haus. Die Erkenntnis, dass Fehler passieren, führt denn auch dazu, dass der CIO in die Zukunft gerichtet blickt und eine Vertragsbeziehung mit dem Bestandsdienstleister eher optimiert, renoviert und modernisiert als die Dienstleisterbeziehung zu beenden und zu einem Wettbewerber zu wechseln. Denn wer sagt einem, ob auch ein neuer Dienstleister die Klaviatur des Chaos so virtuos bespielen kann?

Strategie 4: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.

Die vierte Strategie charakterisiert eher einen risikoaversen CIO, der ähnlich seines Kollegen, der die dritte Strategie verfolgt, an seinen Partnern festhält. Wohlbemerkt, hier kann der Plural gelten, der Einstieg in das Multi-Provider-Sourcing, auch wenn die Anzahl begrenzt ist. Abgerundet wird auch hier mit einer eigenen Betriebsmannschaft, die schon deshalb gebraucht wird, weil die Schnittstellen zwischen den Dienstleistern nicht sauber definiert wurden und ab und zu ein Streit um Zuständigkeiten, Schuld und Sühne zwischen diesen ausbricht.

Da das Konstrukt nur mehr schlecht als recht funktioniert, in mehreren Iterationen sorgsam austariert wurde und jeder Wechsel an sich schon ein Risiko bedeutet, verfolgt der CIO in seiner Strategie, dass möglichst lange jede Störung von außerhalb vermieden wird, da er um das Pareto-Optimum seiner Strategie fürchtet. Neue Technologien, neue Prozesse, neue Services oder neue Dienstleister: alles wird bis zu dem Zeitpunkt, an dem es gar nicht mehr mit der alten Aufstellung weitergehen kann, abgelehnt und in den Tresor der vertanen Chancen eingesperrt. An bestehenden Verträgen wird festgehalten, bis der letzte Gültigkeitstag verstrichen ist – und nicht selten im Zuge von Zusatzvereinbarungen auch darüber hinaus. Erst wenn es unumgänglich ist, wird ein Vertrag erneuert, gerne mit dem bisherigen Vertragspartner und ohne nach links und rechts zu schauen, ob es nicht doch jemanden gibt, der den Service besser machen könnte.

Damit hat der CIO eine Sourcing-Strategie, die als Fels in der Brandung manche Stürme überdauert, leider nicht immer zum Vorteil der Leistungserbringung, aber immerhin prädiktiv verlässlich.

Strategie 5: Et bliev nix wie et wor.

Die fünfte und letzte Strategie ist schließlich diejenige, die den CIO zum heiß ersehnten Titel »CIO des Jahres« führen könnte. Es liegt ihr die Einsicht zugrunde, dass sich in der Welt der Informationstechnik alles rasend schnell ändern kann und wird – und dass dies nicht ewig verhindert werden kann. Bestehende Verträge sind immer nur so gut, wie sie zum Unternehmen und zum Geschäft passen. Was heute passt, kann morgen ein Klotz am Bein sein und muss wieder passend gemacht werden. Langjährige Partnerschaften existieren in diesem Modell ebenfalls, aber nur so lange, wie es dem Kunden auch einen Vorteil bringt und der Partner mit Tempo und Agilität des anderen mithalten kann. Monolithisches Sourcing bei einem einzigen Partner gibt es in diesem Modell nicht. Am ehesten ein Partner, der die Rolle eines Generalunternehmers einnehmen könnte, aber selbst dies wäre mehr als fragwürdig.

Diese Strategie strebt nach Service-Exzellenz: der richtige Service vom richtigen Dienstleister zum richtigen Preis. Die Flexibilität muss gewährleistet sein, und dies in mehrere Richtungen. Neue Services müssen schnell verfügbar sein, bestehen aber nicht ewig – und müssen genauso schnell wieder abgekündigt werden können. Auch bezüglich der Mengen darf es Schwankungen geben – der CIO nimmt in dieser Strategie die Dienstleister beim Wort, die schon seit Jahren »on demand« versprechen (aber im Regelfall dann nicht mehr das Versprechen halten können, wenn sie selber zum Dinosaurier-2.0-Fossil versteinert wurden).

Der CIO probiert hier bewusst neue Wege aus, geht das Risiko ein, belächelt zu werden, wenn er einem neuen Marktteilnehmer eine Chance gibt. Wer hat sich nicht vor zehn Jahren seitens der etablierten Dienstleister über einen Buchhändler amüsiert, der auf einmal meinte, auch virtualisierte Server und Speicherplatz verkaufen zu können? Wie so oft: wer zuletzt lacht, lacht am besten. Der CIO, der seine Sourcing-Entscheidungen beständig hinterfragt und wo immer notwendig korrigiert, auch wenn es auf den ersten Blick schmerzhaft sein mag, tut gut daran, diese Strategie beizubehalten. Dann wird er auch immer bei denen sein, die in einigen Jahren noch ihr strahlendes Lächeln zeigen können.


autor_christph-luederChristoph Lüder,
LEXTA CONSULTANTS GROUP,
Berlin

 

 

 

[1] Cost Of Living Adjustments
Titelbild: © r.classen, goja1/shutterstock.com 

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