Steuerung und Regelung von Gewächshaus-Aktorik aus der Cloud – Vertical Farming im IoT

Der Anbau von Nahrungsmitteln auf mehreren Etagen übereinander kann einen wertvollen Beitrag zur verbrauchernahen und umweltfreundlichen Lebensmittelversorgung leisten. Voraussetzung ist ein komplexes Cloud-basierendes Regelsystem. So wird Vertical Farming zum Bestandteil des Internet of Things.

Nach offiziellen Schätzungen werden im Jahr 2050 etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um sie versorgen und ernähren zu können, muss die landwirtschaftliche Produktion im Vergleich zu heute um 50 Prozent gesteigert werden – und das bei größtenteils schwindenden Ressourcen: So schrumpfte beispielsweise die landwirtschaftlich nutzbare Fläche weltweit von 48 Prozent im Jahr 1991 auf 37 Prozent im Jahr 2018. Der rasch fortschreitende Klimawandel wird diesen Trend noch verstärken und überdies die Menge des Wassers für Pflanzen reduzieren. Gleichzeitig kann der Dünger- und Pestizideinsatz nicht unbegrenzt gesteigert werden. Es muss also in Zukunft bei weniger Aufwand sehr viel mehr produziert werden.

Der Ausweg aus dem Produktions-Dilemma: Effektiver produzieren. Vertical Farming kann einen Teil zur Lösung beitragen. Es setzt auf nahezu hundertprozentig kontrollierbare Wachstumsbedingung. Das Prinzip: Pflanzen werden in vielen Etagen übereinander angebaut, verbrauchernah und flächensparend. Das System stellt Pflanzen genau das zur Verfügung, was sie in ihrer jeweils aktuellen Wachstumsphase benötigen. In der Indoor Vertical Farm herrscht also zu keinem Zeitpunkt Mangel oder Verschwendung. Das Gießwasser wird in einem geschlossenen Kreislauf recycelt, der Dünger exakt bedarfsgerecht dosiert. Das Ergebnis sind bis zu 95 Prozent weniger Wasser- und bis zu 40 Prozent weniger Düngereinsatz. Hinzu kommt, dass Schadorganismen kaum ins hermetisch abgeschlossene System gelangen können. Daher sind auch erheblich weniger bis keine Pestizide mehr erforderlich.

Vertical Farming basiert auf Kunstlicht. Auch dabei gilt das Grundprinzip: exakt dosieren und nur liefern, was auch wirklich benötigt wird. Leuchtdioden spielen hier eine besonders wichtige Rolle. Mit LEDs lässt sich so im Vergleich zu konventioneller Beleuchtung bis zu 70 Prozent Energie sparen und sie liefern praktisch jede Wellenlänge des Lichts. So kann der Vertical Farmer gezielt beeinflussen, wie schnell Pflanzen wachsen, welche Inhaltsstoffe sie ausbilden oder wann sie zur Blüte kommen sollen.

Das bedarfsorientierte Regelsystem. Alles das erfordert allerdings ein komplexes Mess-, Steuer-, und Regelsystem: Sensoren im Feld erfassen alle relevanten Parameter wie Temperatur, Luft- und Bodenfeuchtigkeit, CO₂-Gehalt der Luft, pH-Wert im Wasser sowie Substrat und Nährstoffkonzentration. Aus diesen Werten ermittelt dann ein Automationsrechner die erforderlichen Steuerbefehle an die Aktorik.

Vertical Farming mit LED-Beleuchtung ist heute eine Frage der Sensor- und vor allem der Kommunikationstechnik. Da eine Verkabelung im Feld erheblich stören würde und der Automationsrechner in der Regel als kostensparende Cloud-Version arbeitet, muss der Datenverkehr drahtlos abgewickelt werden, nach proprietären Protokollen oder gängigen Standards via Bluetooth, WiFi- oder Mobilfunk.

 

Schematische Darstellung der Funkvernetzung im Connected-Vertical-Farm-Prototyp von Würth Elektronik: Die Daten werden zunächst von den Knoten zum Gateway über ein proprietäres 2,4-GHz-Protokoll übertragen. Das Gateway nutzt anschließend eine Standard-WiFi-Verbindung in die Cloud.

 

Der Connected-Vertical-Farm-Prototyp. Wie eine solche Anlage in der Praxis aussieht, demonstriert Würth Elektronik: Für einen Connected-Vertical-Farm-Prototyp wurde ein bestehendes Open-Source-Hardware- und -Software-Ökosystem genutzt und, darauf aufbauend, eine exemplarische IoT-Lösung entwickelt.

In der Regel wird im Gewächshaus ein CO₂-Gehalt von 800 bis 1500 ppm eingestellt, um das Wachstum um 20 bis 30 Prozent zu beschleunigen. Im Prototyp wird der CO₂-Gehalt mit dem Luftqualitätssensor SPG30 von Adafruit ermittelt, verbunden mit einem Sensor FeatherWing von Würth Elektronik. Der Sensor misst den äquivalenten CO₂-Gehalt. Dieser CO₂-Wert wird auf Basis der H2-Konzentration berechnet. Die Luftfeuchtigkeit und Temperatur werden ebenfalls mit einem Sensor von Würth Elektronik überwacht.

Der Prototyp von Würth Elektronik kommuniziert auf verschiedene Arten mit dem Automationsrechner. In Umgebungen mit WLAN kommt ein WLAN-FeatherWing Calypso zum Einsatz. Steht ein solches Drahtlos-Netzwerk nicht zur Verfügung, übermittelt ein Adrastea-I-FeatherWing die Daten über Mobilfunk. Beim Calypso-Board handelt es sich um ein kompaktes WLAN-Funkmodul, basierend auf dem WiFi-Standard IEEE 802.11 b/g/n (2,4 GHz). Es verfügt über einen integrierten TCP/IP-Stack und ein sofort einsatzbereites MQTT-Protokoll. Das Adrastea-I-Modul ist ein kompaktes LTE-M/NB-IoT-Mobilfunkmodul mit integriertem GNSS und einem ARM-Cortex-M4-Prozessor, das für jede IoT-Anwendung geeignet ist. Beide Boards stehen über das M0-Express-Feather-Board von Adafruit mit dem Regelsystem in Verbindung und gewährleisten eine einfache und sichere Verbindung zur Cloud. Wegen der Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit erfolgt die Überwachung und Steuerung des vertikalen Anbausystems durch Azure IoT Central, eine Platform as a Service von Microsoft. IoT Central stellt eine sofort einsatzfähige Benutzeroberfläche zur Verfügung, außerdem eine API für Verbindung, Verwaltung und Betrieb von IoT-Geräten.

Alle Komponente ab Lager verfügbar. »Unser Prototyp zeigt im Kleinen, wie man Pflanzenwachstum aus der Cloud steuert und regelt«, so Alexander Gerfer, CTO von Würth Elektronik. »Die elektronischen Komponenten, von der Steuerung per Mikrocontroller über die Kommunikation mit der Cloud bis hin zur Stromversorgung und den LEDs kommen alle von Würth Elektronik und damit aus einer Hand. Sie sind jederzeit auch in größeren Stückzahlen lieferbar. Mit solchen Musterdesigns unterstützen wir unsere Kunden und machen auch in der Landwirtschaft Innovationen möglich. Bei uns wachsen in einer ähnlichen Anlage bereits frische Kräuter für die Kantine.«

 

IoT-vernetzter Vertical-Farm-Prototyp

Beleuchtung:

  • Ansteuerung: Horticulture-LED-Panel mit vier separaten Kanälen und dem MagI³C-Multi-Color-LED-Treiber aus dem Lighting Development Kit von Würth Elektronik
  • Leuchtmittel: spezielle monochromatische Horticulture LEDs mit den Wellenlängen 450 nm, 660 nm, 730 nm sowie eine weiße LED (5000 k) 

Sensorik:

  • CO₂: Luftqualitätssensor SPG30 von Adafruit, verbunden mit einem FeatherWing-Sensor von Würth Elektronik
  • Luftfeuchtigkeit und Temperatur: FeatherWing von Würth Elektronik

Kommunikation:

  • WLAN: FeatherWing Calypso Board, Wi-Fi-Standard IEEE 802.11 b/g/n (2,4 GHz)
  • Funk: Adrastea-I LTE-M/NB-IoT-Mobilfunkmodul mit ­integriertem GNSS und ARM-Cortex-M4-Prozessor
    2,4 GHz proprietärer Funk, basierend auf WE-ProWare und Thyone-I Wireless FeatherWing
  • Systemanbindung: M0-Express-Feather-Board von Adafruit

 

 


Johann Waldherr, Business Development Manager
Electronic Power & Lighting Solutions,
Würth Elektronik eiSos GmbH & Co. KG

 

 

Adithya Madanahalli, IoT-Ingenieur
im Geschäftsbereich Wireless Connectivity & Sensors,
Würth Elektronik eiSos GmbH & Co. KG

 

 

Markus Balazs,
Embedded Software Engineer,
Würth Elektronik eiSos GmbH & Co. KG

 

 

 

Bilder: © Würth ElektroniK