Gesundheitswesen: Ärzte sind offen für die digitale Zukunft der Medizin

■  7 von 10 Ärzten begreifen digitale Technologien als Chance.

■  Zeitersparnis und bessere Behandlungsmöglichkeiten gelten als größte Vorteile.

■  Jeder Zweite glaubt an den alltäglichen Einsatz von OP-Robotern im Jahr 2030.

 

In der Ärzteschaft prallen derzeit alte und neue Welt aufeinander. Noch werden Notizen von Medizinern meist handschriftlich verfasst, Mails haben Briefe noch lange nicht ersetzt und die elektronische Patientenakte fristet ein Nischendasein. Aber obwohl sie beim Einsatz digitaler Anwendungen momentan noch zögerlich sind, sehen 7 von 10 Ärzten die Digitalisierung als große Chance für die Gesundheitsversorgung. Das ergab eine Umfrage, die der Digitalverband Bitkom zusammen mit dem Ärzteverband Hartmannbund durchgeführt hat [1].

Demnach sagen 67 Prozent der Ärzte, dass Arztpraxen und Krankenhäuser ihre Kosten mithilfe digitaler Technologien senken können. 62 Prozent meinen, dass digitale Technologien die Prävention verbessern werden und jeder Dritte (34 Prozent) geht sogar davon aus, dass sie die Lebenserwartung der Menschen verlängern.

Allerdings werden selbst einfachste digitale Gesundheitsangebote derzeit nur sehr spärlich eingesetzt. Neun von zehn Klinikärzten (93 Prozent) geben zwar an, dass ihr Haus den Patienten die U-Ergebnisse auch auf CD zur Verfügung stellt und 39 Prozent der Krankenhausärzte tauschen sich untereinander per Telemedizin aus. Doch die telemedizinische Überwachung von Patienten (10 Prozent) oder die Online-Terminvereinbarung (10 Prozent) werden derzeit selbst von Krankenhäusern kaum eingesetzt. In den Praxen der niedergelassenen Ärzte werden digitale Angebote noch seltener genutzt: Nur 3 Prozent (Krankenhaus: 9 Prozent) verwenden beispielsweise die Online-Patientenakte, 7 Prozent haben einen Auftritt in sozialen Netzwerken (Krankenhaus: 30 Prozent).

»Es gibt in der Ärzteschaft eine große Offenheit gegenüber digitalen Technologien, man spürt eine regelrechte Aufbruchstimmung. Die Skepsis der vergangenen Jahre ist einer neuen Offenheit gegenüber digitalen Technologien gewichen. Nun braucht es aber noch mehr Mut und Entschlossenheit, digitale Angebote auch im Praxisalltag zu nutzen«, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. »Derzeit liegt Deutschland in Sachen digitale Gesundheit immer noch im grauen Mittelfeld. Die Patientenversorgung wird künftig nur mit digitaler Unterstützung funktionieren.«

Digitalisierung aktiv gestalten

Wenn es um die weitere Digitalisierung der Medizin geht, sehen Ärzte Wirtschaft und Politik in der Pflicht. So zweifelt jeder zweite Arzt (47 Prozent) daran, dass die digitalen Anwendungen schon praxisreif sind. 43 Prozent beklagen fehlende Mittel für die Umsetzung, 38 Prozent sehen die starke Regulierung des Gesundheitssektors als Hürde. Besonders groß sind die Bedenken bei IT-Sicherheit (60 Prozent) und Datenschutz (67 Prozent).

»Die Digitalisierung und der damit einhergehende Fortschritt lassen sich nicht aufhalten. Im Gegenteil: Unsere Chance ist es nun, die Digitalisierung aktiv zu gestalten und die Chancen für unseren Beruf und die Patienten beherzt und entschlossen zu ergreifen«, sagte Dr. Klaus Reinhardt, Bundesvorsitzender des Hartmannbundes. Dazu müssten vorhandene Hemmnisse weiter abgebaut werden. »Gerade in einer alternden Gesellschaft hat die Digitalisierung riesiges Potenzial, um den Menschen länger ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Innovationen müssen daher frühzeitig und gezielt gefördert werden. Der Zugang digitaler Angebote zum Gesundheitsmarkt, insbesondere zur Regelversorgung, muss dazu noch erleichtert werden.«

Informationen aus dem Internet

Durch die Digitalisierung im Gesundheitswesen ändert sich auch das Verhältnis von Arzt und Patient. Immer mehr Patienten informieren sich vor ihrem Arztbesuch online. Zwar sagen knapp zwei Drittel der Ärzte (64 Prozent), dass sie den Umgang mit Patienten, die sich im Internet vorinformiert haben, als anstrengend empfinden. Allerdings gibt umgekehrt jeder Zweite an, dass er durch den Austausch mit gut informierten Patienten schon einmal hinzugelernt hat (51 Prozent). Ebenfalls jeder Zweite (48 Prozent) sagt, dass die Patienten durch Informationen aus dem Internet mündiger werden.

»Die Kolleginnen und Kollegen sind im Umgang mit den internetaffinen Patienten zunehmend gelassen und sehen mündige Patienten auch als Chance, neue Ansätze in der Behandlung kennenzulernen. Aufgeklärte Patienten arbeiten außerdem beim Heilungsprozess oft therapietreuer mit und halten die ärztlichen Ratschläge besser ein«, so Reinhardt.

Mobile Health und Gesundheits-Apps

Auch im Bereich Mobile Health könnte sich das Verhältnis von Arzt und Patient grundlegend wandeln. Das Smartphone wird bereits als Stethoskop des 21. Jahrhunderts angesehen. Es liegt nicht mehr in der Hand des Arztes, sondern beim Patienten, der in seinem Alltag sehen kann, ob sich etwa sein Zustand verbessert, die Therapie anschlägt oder er den Arzt aufsuchen muss. Die Mehrheit der Mediziner (53 Prozent) steht Gesundheits-Apps positiv gegenüber. Jeder vierte Arzt (25 Prozent) wurde von Patienten sogar schon auf eine Gesundheits-App angesprochen. Und 83 Prozent glauben, dass Apps den Patienten helfen, ihre Vitaldaten selbst zu kontrollieren. 69 Prozent der Mediziner sagen allerdings auch, dass Gesundheits-Apps nur etwas für Technikaffine sind.

»Jetzt sind nützliche und niederschwellige Angebote gefragt. Außerdem müssen auch wir Ärzte Digitalkompetenzen erwerben, in Fort- und Weiterbildung. Lebenslanges Lernen wird in der digitalen Welt von morgen immer wichtiger und ist außerdem von jeher Grundvoraussetzung für unseren Berufsstand«, sagte Reinhardt. »Digitale Anwendungen werden den Arzt nicht ersetzen, aber sinnvoll unterstützen. Die Gesundheitsversorgung wird sich dadurch insgesamt verbessern und flächendeckend gewährleistet bleiben.« Wichtig aus Sicht des Hartmannbund-Vorsitzenden: Angesichts der Vielzahl von Apps und Anwendungen werde es vor allem auch Aufgabe der Ärzte sein, die »Spreu vom Weizen zu trennen« und geordnete Zertifizierungsverfahren zu entwickeln.

Rohleder: »Das Gesundheitswesen wird künftig viel mehr von Daten geprägt sein als heute. Der behandelnde Arzt wird dabei von seinem Kollegen Dr. Data, also Algorithmen und künstlicher Intelligenz, unterstützt, um schnell die beste Therapie auszuwählen. Dank digitaler Technologien bleibt dem Mediziner so mehr Zeit für den Patienten sowie für Diagnosen und Behandlungen abseits der täglichen Routine.«

Zukunftsszenarien für das Jahr 2030

Befragt nach Zukunftsszenarien für das Jahr 2030 sieht jeder zweite Mediziner (47 Prozent) Operations-Roboter im alltäglichen Einsatz. Weitere 39 Prozent meinen, dass OP-Roboter zumindest vereinzelt eingesetzt werden. Acht von zehn Befragten sind außerdem der Ansicht, dass Prothesen und Implantate 2030 standardmäßig oder vereinzelt im 3D-Druck-Verfahren hergestellt werden. Künstliche Intelligenz, die Ärzte beispielsweise bei der Diagnose unterstützt, sieht jeder dritte Arzt (35 Prozent) 2030 im Alltagseinsatz. Jeder Fünfte (22 Prozent) glaubt außerdem, dass die Medikamenteneinnahme und Medikamentenabgabe durch unter die Haut implantierte Mikrochips erfolgt und solche Chips zudem die Funktionsfähigkeit von Organen verbessern. »Die Digitalisierung ist der zweite große Entwicklungsschritt der Medizin nach der Einführung der Antibiotika vor rund hundert Jahren. Roboter werden so gut operieren wie ausgezeichnete Chirurgen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Und dank einer verbesserten Prävention und individueller Therapien werden die Menschen länger gesund bleiben«, sagte Rohleder.

Elektronische Patientenakte

Auch andere digitale Angebote wie die elektronische Patientenakte werden von der Ärzteschaft positiv angenommen. So sagen 65 Prozent, dass dank der Akte eine einfachere Zusammenarbeit zwischen Ärzten möglich werde. 54 Prozent meinen, dass es so zu weniger Doppeluntersuchungen komme. Als größte Hürde beim Roll-out der E-Akte wird die Gefahr des Datenmissbrauchs (75 Prozent) angesehen. »Damit Patienten und Ärzte künftig die Gesundheitsdaten zusammenführen, verwalten und austauschen können, muss die notwendige Sicherheit erhöht werden. Bei sensiblen Gesundheitsdaten gelten höchste Anforderungen«, so Reinhardt. Durch die Vernetzung der Leistungserbringer könnte nicht nur qualitativ hochwertigeres medizinisches Wissen generiert werden, es könnte auch schneller zur Verfügung stehen. Rohleder: »Der Roll-out der Telematikinfrastruktur muss nun zügig vorangehen. Die Digitalisierung muss endlich auch beim Patienten ankommen.«

 

Gesundheit ist dieses Jahr auch zum ersten Mal Schwerpunktthema des Digital-Gipfels am 12. und 13. Juni 2017 in der Metropolregion Rhein-Neckar. In Mannheim bringt Bitkom auf seiner zweiten Digital Health Conference Entscheider aus Politik, Wirtschaft und der Gesundheitsversorgung zusammen, um über digitale Technologien in Medizin und Gesundheitswesen zu diskutieren: https://www.health-conference.de

[1] Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine Befragung, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom und der Hartmannbund durchgeführt haben. Dabei wurden 477 Ärzte aller Funktionen und Fachrichtungen befragt, darunter Ärzte im Krankenhaus und niedergelassene Ärzte.

 

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