Deutschland und die Sorgfaltspflichten: Bilanz nach fast einem Jahr LkSG

Illustration Absmeier foto freepik

Studiendaten zeigen, dass Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden eine mäßig positive Bilanz nach dem ersten Jahr des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) ziehen und belegen, dass zeitlicher und organisatorischer Aufwand, Transparenz sowie die Datenqualität die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des LkSG darstellen.

 

Unternehmen sehen einen bedeutenden Hebel für mehr Nachhaltigkeit in ihrer Lieferkette. Das gaben 66 Prozent der Befragten im Rahmen einer Studie an, die IntegrityNext, ein Cloud-Lösungsanbieter für das Management von Nachhaltigkeit in der Lieferkette, gemeinsam mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) veröffentlicht hat. Darin wurden insgesamt 244 Unternehmen, darunter vorwiegend Mitgliedsunternehmen des BME, zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) befragt. In der mittlerweile dritten Ausgabe der Studie können die Unternehmen nun zum ersten Mal von ihren praktischen Erfahrungen mit dem LkSG berichten.

Das LkSG ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten, um nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln entlang der gesamten Lieferkette zu etablieren. Es regelt umfangreiche Sorgfalts- und Berichtspflichten der Unternehmen bezüglich ihrer Lieferkette. Dem Gesetz unterliegen seit dem 1. Januar 2023 alle Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 3.000 im Inland Beschäftigten sowie seit dem 1. Januar 2024 auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden.

 

Regulatorische Anforderungen an Unternehmen steigen

Unternehmen erkennen zunehmend den Wert ihrer Lieferkette. Zwei Drittel der befragten Unternehmen sehen in ihrer Lieferkette einen entscheidenden Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Bei Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden steigt diese Zahl sogar auf 82 Prozent.

Gesetzliche Vorgaben und das Inkrafttreten des LkSG haben merklich zur Datenerhebung in der Lieferkette sowie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung beigetragen. Während 2021 nur 25 Prozent der Befragten angaben, einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen, liegt die Zahl mittlerweile bei 46 Prozent. Auch hier ist der Unterschied in der Unternehmensgröße erkennbar: Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden veröffentlichen in 80 Prozent der Fälle einen Nachhaltigkeitsbericht.

Mit der nächsten Stufe der Umsetzung des LkSG steigt nun auch der Druck auf Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden, ihre Lieferketten genauer unter die Lupe zu nehmen. Insgesamt beurteilen bereits mehr als drei Viertel (78 Prozent) aller Befragten ihre Lieferanten eingehend auf Nachhaltigkeitsaspekte oder planen dies zu tun. Unter den Gruppen, die bereits jetzt vom LkSG betroffen sind, liegt die Zahl sogar bei 87 Prozent (über 3.000 Mitarbeitende) beziehungsweise bei 83 Prozent für Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitenden. KMU (weniger als 1.000 Angestellte) liegen mit 66 Prozent noch weiter zurück. Der Fokus auf unmittelbare Lieferanten hat dabei in den vergangenen Jahren stark zugenommen (Anstieg von 29 Prozent in 2022 auf 50 Prozent in 2023) ebenso wie die Untersuchung von Hochrisikolieferanten (Anstieg von 32 Prozent in 2022 auf 44 Prozent in 2023).

 

Bilanz der Unternehmen nach Einführung des LkSG

Bisher ziehen Unternehmen eine mäßig positive Bilanz zum ersten Jahr des Gesetzes. Mit Kernelementen wie dem Aufbau eines Risikomanagementsystems (58 Prozent) und der Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (41 Prozent) bei allen direkten Lieferanten haben die bereits 2023 betroffenen Unternehmen gute beziehungsweise sehr gute Erfahrungen gemacht. 38 Prozent aller befragten Unternehmen geben außerdem an, das LkSG helfe ihnen signifikant dabei, Nachhaltigkeit im Unternehmen und der Lieferkette in der Praxis voranzutreiben.

Schwierigkeiten sehen bereits betroffene Firmen jedoch vor allem in Bereichen wie dem Ergreifen von Abhilfemaßnahmen zur Risikominimierung und bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten bei mittelbaren Zulieferern. Weniger als ein Drittel (30 Prozent) der Befragten gab an, damit gute bis sehr gute Erfahrungen gesammelt zu haben. Mit der Umsetzung der Sorgfaltspflichten bei mittelbaren Zulieferern haben lediglich 14 Prozent gute bis sehr gute Erfahrungen gemacht. Dies könnte daran liegen, dass es für Unternehmen zunehmend schwierig ist, Transparenz über unmittelbare Lieferanten hinaus zu gewinnen.

 

ESG-Risikomanagementsysteme für Unternehmen unerlässlich

Um die Lieferkette monitoren zu können, benötigen Unternehmen ein funktionierendes Risikomanagementsystem für ESG-Belange. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Mittlerweile geben 80 Prozent der Befragten an, ein solches System in Planung oder bereits implementiert zu haben. 2021 lag diese Zahl noch bei 57 Prozent. Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden haben auch hier die Nase vorne: 99 Prozent beantworten diese Frage mit Ja und erfüllen somit maßgeblich eine der Kernanforderungen des LkSG.

Das Monitoring der Lieferkette ist komplex. Deshalb nutzen 84 Prozent der Unternehmen Softwarelösungen, um beispielsweise Daten-Risikoanalysen durchzuführen oder Reportings zu erstellen. 88 Prozent der Softwarenutzer setzen dabei auf Drittanbieter, da sie so auf Expertenwissen und effiziente Lösungskonzepte für eine Vielzahl von ESG-Problemstellungen zurückgreifen können. Als wesentliche Vorteile vom Einsatz von Technologie nennen Unternehmen vor allem einfachere Prozesse, Zeitersparnis und Transparenz.

 

Sorgfaltspflichten stellen weiterhin Herausforderung dar

Trotz aller Bemühungen beschränken sich Einblicke in die Lieferkette bisher oft auf direkte Zulieferer. Der Überblick über die gesamte Lieferkette bleibt eine Herausforderung, da komplexe Lieferkettenbeziehungen oftmals die notwendigen Einblicke erschweren. Insgesamt haben mehr als drei Viertel der Befragten (76 Prozent) zumindest teilweise Transparenz über ihre direkten Zulieferer. Allerdings ist zu bedenken, dass bedeutende Nachhaltigkeitsrisiken wie Zwangs- oder Kinderarbeit in vielen Branchen auf den untersten Lieferkettenebenen zu verorten sind.

Für Unternehmen mit 3.000 oder mehr Mitarbeitenden stellt zudem die Qualität der benötigten Daten eine große Herausforderung dar (50 Prozent). Daneben sehen Unternehmen zeitlichen und organisatorischen Aufwand als die größten Hürden bei der Einhaltung der Sorgfaltspflichten. Besonders überraschend: Nur ein Zehntel der bereits betroffenen Unternehmen nimmt die Berichterstattung als Herausforderung wahr. Kosten und budgetäre Fragen nennen nur 13 Prozent als negativen Aspekt.

Doch auch Unternehmen, die vor der Umsetzung des LkSG stehen, haben noch großen Handlungsbedarf. So fühlen sich nur 22 Prozent von ihnen gut oder sehr gut vorbereitet, regelmäßige Risikoanalysen ihrer unmittelbaren Zulieferer durchzuführen. Nur ein Viertel der zukünftig betroffenen Unternehmen sehen der geforderten Dokumentation und Berichterstattung gut bis sehr gut vorbereitet entgegen. Hier gilt es Unternehmen aus den Erfahrungen anderer lernen zu lassen und die richtigen Tools und Prozesse rechtzeitig einzuführen.

 

Vorbereitung auf europäische Initiativen

Gesetzliche Sorgfalts- und Berichtspflichten sollen bald auch auf EU-Ebene einheitlich geregelt werden [2] [3]. Die europäischen Richtlinien CSRD und CSDDD werfen bereits ihre Schatten voraus und Unternehmen in Deutschland bereiten sich vor. 83 Prozent der Unternehmen, die grundsätzlich nicht direkt vom LkSG betroffen sind, gaben an, die Anforderungen trotzdem ganz oder teilweise umsetzen zu wollen. Fast die Hälfte dieser Befragten (47 Prozent) tut dies als Vorbereitung auf europäische Richtlinien. Druck kommt jedoch nicht nur von Europa-Ebene, sondern auch von Kunden, die mehr soziale Verantwortung erwarten.

CSRD und CSDDD werden künftig auch für KMU mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden gelten und sich zudem indirekt auf noch deutlich kleinere Firmen auswirken. Das LkSG ist für Unternehmen also ein wesentlicher Testlauf für die voraussichtlich deutlich umfangreichere und anspruchsvollere CSDDD. 86 Prozent der Befragten sehen deshalb im LkSG einen deutlichen Mehrwert für die Vorbereitung auf die EU-Direktive und können sich somit einen wichtigen Wettbewerbsvorteil erarbeiten. 17 Prozent der Befragten berücksichtigen bereits jetzt Aspekte der kommenden EU-Richtlinie bei der Umsetzung des LkSG.

»Die Zahlen belegen, dass wir in der Umsetzung des LkSG schon viel erreicht haben. Unternehmen brauchen aber weiterhin Hilfestellung, um das volle Potenzial ihrer Lieferkette nachhaltig und sicher ausschöpfen zu können«, betonte BME-Hauptgeschäftsführerin Dr. Helena Melnikov. Während unmittelbare Lieferanten bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten schon gut vorankämen, bestehe bei den mittelbaren Zulieferern noch großer Handlungsbedarf.

»Die große Mehrheit der Unternehmen ist sich ihrer Verantwortung bewusst und achtet bereits heute auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in ihren Lieferketten. Positiv ist ebenfalls, dass den Einkaufsabteilungen mit dem LkSG mehr Verantwortung zuwächst«, so BME-Bundesvorstandsvorsitzende Gundula Ullah. Die Erfahrungen deutscher Unternehmen mit der Umsetzung des LkSG werden sich als wertvoller Vorteil erweisen, sobald die europäischen Regelungen in Kraft treten.

Nick Heine, Mitgründer und COO von IntegrityNext, ergänzte: »Komplexe globale Lieferketten sicher und effizient zu monitoren, stellt Unternehmen jeglicher Größe vor Herausforderungen und wird gleichzeitig auch auf europäischer Ebene immer wichtiger. Die Studie zeigt, dass Softwarelösungen einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung des LkSG leisten und Unternehmen erheblich entlasten können. Wir möchten Unternehmen auch in Zukunft bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten unterstützen, sei es in Bezug auf das LkSG oder anderweitige europäische Regulierungen, und so zu ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit beitragen.«

 

[1] Die schriftliche Online-Umfrage wurde im Zeitraum von September bis Ende Oktober 2023 durchgeführt und richtete sich in erster Linie an die Mitgliedsunternehmen des BME e.V. Die Teilnehmerquote lag bei 244 und somit ein wenig höher als in der vorangegangenen Studie. Befragt wurden unter anderem zahlreiche leitende Angestellte. Der Schwerpunkt der Studie lag auf Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe und technologieintensiven Branchen, die häufig besonders komplexe Lieferketten aufweisen. Knapp ein Drittel der teilnehmenden Firmen hat über 3.000 Angestellte und fällt somit seit dem 1. Januar als erste Gruppe unter das LkSG. Über ein Drittel umfasst zudem Unternehmen mit 1.000 bis 3.000 Mitarbeitenden, für diese gilt das LkSG erstmalig seit dem 1. Januar 2024. Die übrigen Unternehmen mit weniger als 1.000 Angestellten sind nicht direkt vom LkSG betroffen. Für die Auswertungen wurden nur tatsächlich beantwortete Fragen berücksichtigt.
[2] Die Abkürzung CSRD steht für Corporate Sustainability Reporting Directive. Es handelt sich dabei um eine EU-Richtlinie, die die Regeln für die sozialen und ökologischen Informationen, die Unternehmen melden müssen, modernisiert und stärkt.
Die CSRD trat am 5. Januar 2023 in Kraft. Die neuen Vorschriften müssen 18 Monate später von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die Berichtsanforderungen der CSRD gelten für Geschäftsjahre, die beginnen am oder nach dem:
  1. Januar 2024: Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Mitarbeiter,
  2. Januar 2025: alle anderen bilanzrechtlich großen Unternehmen1,
  3. Januar 2026: kapitalmarkt­orientierte KMU, sofern sie nicht von der Möglichkeit des Aufschubs bis 2028 Gebrauch machen.
Die CSRD erweitert den Anwendungsbereich und den Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich im Vergleich zur bisherigen Regelung nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD). Mit der Ausweitung der Berichtspflicht steigt die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen Schätzungen zufolge EU-weit von 11.600 auf 49.000.
[3] Die Abkürzung CSDDD steht für Corporate Sustainability Due Diligence Directive. Es handelt sich dabei um eine geplante EU-Richtlinie, die Unternehmen dazu verpflichtet, Nachhaltigkeitsrisiken entlang ihrer Lieferketten zu identifizieren, zu bewerten und zu mindern3.
Die CSDDD zielt darauf ab, nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und der Unternehmensführung von Unternehmen zu verankern1. Mit den neuen Vorschriften soll sichergestellt werden, dass Unternehmen die negativen Auswirkungen ihres Handelns, auch in ihren Wertschöpfungsketten innerhalb und außerhalb Europas, angehen.
Am 23. Februar 2022 legte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit vor1. Am 14. Dezember 2023 teilte das EU-Parlament mit, dass die Verhandlungsführer des EU-Parlaments und des Rates sich auf einen Entwurfstext der EU-Richtlinie geeinigt hätten.
Dieser Entwurf muss nun durch das Europäische Parlament und den Rat noch verabschiedet werden1. Es ist damit zu rechnen, dass im Rahmen des europäischen Verfahrens noch Änderungen an dem Entwurf vorgenommen werden.