Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft: Chancen nutzen, nicht verspielen

Studie sieht 10.000 neue Jobs und 15 Milliarden Euro digitale Umsätze in den kommenden zehn Jahren. 98 Prozent der Unternehmen erwarten mehr politische Unterstützung.

 

Die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft birgt enorme Chancen: Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger wird die Medizintechnikbranche in den kommenden Jahren ein großes Potenzial bei Umsätzen und Arbeitsplätzen entfalten [1]. Doch die Chancen wären noch größer, würde die Politik jetzt geeignete Rahmenbedingungen schaffen.

 

Laut Prognose werden die Medizintechnikunternehmen im Jahr 2028 alleine mit digitalen Produkten und Dienstleistungen einen Umsatz von 15 Milliarden Euro erzielen, aktuell sind es noch 3,3 Milliarden Euro. »Das entspricht einem jährlichen Umsatzplus von 16 Prozent in diesem Segment«, betont SPECTARIS-Geschäftsführer Jörg Mayer. »Sollte es zu diesem Anstieg kommen, wird 2028 fast ein Drittel der Umsätze durch digitale Produkte erwirtschaftet. Kein Zweifel: Hier liegt die Zukunft, denn Medizinprodukte und Services ohne digitale Komponenten dürften künftig eher die Ausnahme als die Regel sein.«

 

Digitalisierung verbessert Gesundheitsversorgung

Nicht nur bei den Produkten, auch in den Unternehmen selbst bietet die Digitalisierung große Chancen. »Das größte Potenzial sehen wir hier im Bereich Forschung und Entwicklung«, erklärt Thilo Kaltenbach, Senior Partner von Roland Berger. »Denn dank innovativer Technologien lassen sich die Entwicklungszeiten neuer Produkte erheblich verkürzen. Dadurch steigt auch die Produktivität der Unternehmen.« Trotz dieser Effizienzsteigerung erwarten die befragten Unternehmen einen Netto-Zuwachs bei den Arbeitsplätzen, bis zu acht Prozent in den nächsten fünf bis zehn Jahren. »In den kommenden Jahren könnten somit über 10.000 zusätzliche Jobs entstehen«, bilanziert Jörg Mayer, betont aber auch: »Es wird nicht leicht, diese Stellen auch zu besetzen, denn der Mangel an qualifiziertem Personal gilt schon heute als eines der größten Wachstumshemmnisse.«

Die Digitalisierung wird vor allem den Patienten zugutekommen, etwa durch neue Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten. Eine Verbesserung der Versorgungsqualität in den kommenden fünf Jahren erwartet knapp jeder Dritte, im Zeithorizont der nächsten zehn Jahre sogar fast zwei Drittel der Befragten. »Profitieren können die Patienten nicht nur durch den effizienteren Einsatz von Ärzten und medizinischem Personal, sondern auch durch einen einfacheren Zugang zu spezialisiertem Know-how, etwa indem bei komplizierten Operationen Experten von benachbarten Unikliniken oder sogar aus dem Ausland virtuell hinzugezogen werden können«, betont Horst Giesen, Global Portfolio Director Health & Medical Technologies der Messe Düsseldorf GmbH.

 

 

Digital Health kommt in Deutschland nur schleppend voran

Trotz positiver Auswirkungen verläuft die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen nur schleppend; führend sind andere EU-Länder: »Dementsprechend wünschen sich satte 98 Prozent der befragten Unternehmen mehr Unterstützung durch die Politik. Sie brauchen klare politische Rahmenbedingungen«, sagt Studienautor Kaltenbach. So attestieren die Befragten der Gesundheitswirtschaft insgesamt einen eher geringen Digitalisierungs-Reifegrad. Ihre eigenen Unternehmen sehen sie dagegen zumindest moderat digitalisiert. Besonders die sektorale Trennung wird als Problem empfunden. Die Schnittstellen zwischen stationärer, ambulanter und anderer indikationsspezifischer Versorgung sind bislang kaum oder unzureichend vernetzt.

»Die Investitionen in digitale Healthcare-Projekte werden meistens nach dem Gießkannenprinzip verteilt«, bemängelt Kaltenbach weiter. »Wir benötigen also einen klaren Fokus bei der Verteilung der Investitionen, damit sie an den relevanten Stellen ankommen und eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung für die Bürger mit sich bringen.«

Somit schließt die Studie mit zehn Handlungsempfehlungen für eine wettbewerbsfähige digitale Gesundheitswirtschaft. Dazu gehören u.a. eine nationale eHealth-Strategie, eine Priorisierung der Digitalisierung in den Medizintechnikunternehmen sowie die Entwicklung eines umfangreichen Infrastrukturprogramms, das Breitbandinfrastruktur, IT-Sicherheit von medizinischen Einrichtungen und die IT-Infrastruktur in Krankenhäusern und im ambulanten Bereich unterstützt.

»Wenn Deutschland jetzt nicht handelt, droht langfristig ein Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Marktanteilen und Arbeitsplätzen«, sagt SPECTARIS-Geschäftsführer Mayer. »Die mangelnde Digitalisierung dürfte spätestens langfristig auch in der Patientenversorgung zu spürbaren negativen Konsequenzen führen; das Ganze wird noch verstärkt durch den sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel und erhöhte regulatorische Anforderungen wie die neue Medizinprodukteverordnung. Auch besteht die Gefahr, dass innovative Medizinprodukte zuerst und vorwiegend im Ausland eingeführt werden. Deutschland fiele damit in der Qualität der Versorgung zurück.«

 

[1] Die Studie, die auf der MEDICA vorgestellt und vom Industrieverband SPECTARIS und der Messe Düsseldorf in Auftrag gegeben wurde, basiert auf einer Befragung von mehr als 200 Medizintechnikunternehmen sowie auf zahlreichen weiteren Experteninterviews mit Versorgern, Start-ups, Kassenvertretern und der Politik.

https://www.rolandberger.com/de/press/Digitalisierung-der-Gesundheitswirtschaft-Chancen-nutzen-nicht-verspielen.html

 


 

Das Krankenhaus der Zukunft: Im Jahr 2030 wird das Gesundheitswesen digital und vernetzt sein

Neuer Bericht zur Automatisierung, Robotik und Selbstdiagnose für Patienten und das Gesundheitspersonal sowie steigende Sicherheitsrisiken.

Illustration: Absmeier, Corgaasbeek, Krankenhaus Enschede

Innerhalb von zehn Jahren könnte der medizinische Check-up mehr Interaktion mit Sensoren, Kameras und Roboter-Scannern beinhalten als mit menschlichen Ärzten und Krankenschwestern, da Gesundheitsorganisationen Dienstleistungen rund um das Internet der Dinge (IoT) neu aufbauen, so ein neuer Bericht von Aruba, ein Hewlett Packard Enterprise Unternehmen.

Der Bericht »Building the Hospital of 2030« enthält die Ergebnisse von Interviews mit führenden Medizinern und Zukunftsforschern. Darin wird sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Notwendigkeit erklärt, dass die Gesundheitsbranche intelligentere Arbeitsplätze mit Mobil-, Cloud- und IoT-Technologie schafft, und untersucht, wie dies die Patientenerfahrung verändern und die klinische Versorgung verbessern kann.

Die Studie gibt fünf Schlüsselprognosen ab, wie sich die Gesundheitsbranche bis 2030 verändern wird:

  1. Patienten-Selbstdiagnose: Mit App-basierten und tragbaren Tools zur Überwachung der Gesundheit und Durchführung eigener Scans haben Patienten die Möglichkeit, eine Vielzahl von Erkrankungen zu Hause selbst zu diagnostizieren, ohne ein Krankenhaus aufsuchen zu müssen.
  2. Das automatisierte Krankenhaus: Der Krankenhaus-Check-in verfügt über eine bildgebende Technologie, welche die Herzfrequenz, Temperatur und Atemfrequenz mit dem Moment des Betretens des Krankenhauses messen kann. Sensoren führen innerhalb von 10 Sekunden einen Blutdruck- und EKG-Test durch und können zu einer automatischen Sichtung oder sogar Diagnose direkt an Ort und Stelle führen.
  3. Gesundheitsexperten verdoppeln ihre verfügbare Zeit: Ärzte und Krankenschwestern, die derzeit bis zu 70 Prozent ihrer Zeit mit administrativen Arbeiten verbringen, können Scans oder Patientenakten über ihr mobiles Gerät schnell auswerten und sich so auf die Patientenversorgung konzentrieren.
  4. Digitale Datenspeicher: Die Geräte werden automatisch mit den digitalen Patientenakten interagieren und passen sich selbstständig an Zustand und Behandlung an. Das Pflegepersonal erhält somit umfassendere, in Echtzeit abrufbare Daten, um bessere Entscheidungen treffen zu können.
  5. Akzeptanz der KI: Künstliche Intelligenz (KI) spielt in Zukunft eine immer größere Rolle bei der Diagnose und Behandlung. Die Bereitschaft, sich maschinell diagnostizieren zu lassen, wird daher auch zunehmen – vorausgesetzt, die Dienstleistungen werden an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst, der Nutzen wird erklärt und die Genehmigung eingeholt.

Dr. Hugh Montgomery, Professor am UCL, erklärt die Fähigkeit der KI, die medizinische Versorgung zu verbessern: »Innerhalb von zehn Jahren können Sie vielleicht etwa 50.000 verschiedene Blutproteine aus einem einzigen Tropfen aufbereiten und viel schnellere oder sogar automatische Diagnosen stellen. Das ist radikal und passiert im Moment in keiner Weise. Ich könnte heute 30 Variablen bekommen.«

Zum Thema Patienten-Selbstversorgung fügt Maneesh Juneja, Digital Health Futurist, hinzu: »Nehmen wir an, dass bei Ihnen in 10 Jahren Diabetes oder Bluthochdruck diagnostiziert wird. Wenn Sie einmal diagnostiziert worden sind, kann ein Großteil der Überwachung der Einnahme Ihrer Medikamente erfolgen, ohne dass das Gesundheitssystem Sie so häufig sieht. Sie könnten Ihre Daten in Echtzeit verfolgen und wissen, ob Sie von Ihrem empfohlenen Diät- oder Behandlungsplan abweichen, und Ihnen dann einen digitalen Hinweis auf Ihre Smartwatch- oder Augmented-Reality-Brille schicken lassen.«

Solche Fortschritte sind keine Science-Fiction, argumentiert der Bericht, und könnten sich im Kampf für eine bessere Versorgung einer alternden Bevölkerung als unerlässlich erweisen: UN-Zahlen zufolge wird die Bevölkerung über 60 Jahre bis 2030 um 56 Prozent zunehmen, was den Bedarf an effizienteren Gesundheitsdiensten erheblich erhöhen wird.

»Wir stehen in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus zwei Gründen vor einer massiven Transformation und Disruption«, sagte Hugh Montgomery. »Erstens ändert sich die Technologie schnell, und zweitens gibt es diesen enormen Druck, diese in der Praxis anzuwenden. Denn wenn wir es nicht tun, werden die Gesundheitsdienste zusammenbrechen.«

Digitalisierung und Sicherheit des Krankenhauses

In Anbetracht der Notwendigkeit der Modernisierung beginnen die Gesundheitsorganisationen bereits den Weg zur Digitalisierung, heißt es in dem Bericht. Arubas eigene Untersuchungen haben ergeben, dass fast zwei Drittel (64 Prozent) der Gesundheitsorganisationen damit begonnen haben, Patientenmonitore an ihr Netzwerk anzuschließen. 41 Prozent schließen Bildgebungs- oder Röntgengeräte an. Solche Maßnahmen sind die Bausteine für eine Internet-of-Things-Strategie, bei der Millionen von miteinander verbundenen medizinischen, tragbaren und mobilen Geräten aktuelle Informationen austauschen und diese Informationen für eine qualitativ bessere Versorgung genutzt werden können.

Allerdings ist der Ansatz derzeit mit Risiken behaftet. 89 Prozent der Gesundheitsorganisationen, die eine IoT-Strategie eingeführt haben, haben einen IoT-bezogenen Datenverstoß erlebt. Angesichts der explosionsartigen Zunahme neuer technischer Geräte im Laufe des nächsten Jahrzehnts wird eine zentrale Herausforderung für Unternehmen darin bestehen, die Sichtbarkeit aller Geräte, die mit ihrem Netzwerk verbunden sind, aufrechtzuerhalten und medizinische Daten zu teilen, um strenge Sicherheitsvorschriften anzuwenden.

Morten Illum, VP EMEA bei Aruba, schlussfolgert: »Der Aufstieg der digitalen Gesundheitsdienste ist eine Verbesserung der Patientenzufriedenheit und der Genauigkeit und Qualität der Versorgung. Wir glauben, dass davon die Gesundheitsdienstleister und die Öffentlichkeit begeistert sein sollten. Doch das Datensicherheitsrisiko stellt sich hier als eine große Herausforderung dar. Deshalb brauchen diese Veränderungen Zeit, und wir erwarten, dass Gesundheitsunternehmen in den kommenden Jahren mit Technologieanbietern zusammenarbeiten, um sowohl den technologischen als auch den kulturellen Wandel zu bewältigen. Mit den Vorteilen, die es bietet, lohnt sich der Aufwand.«

Den vollständigen englischsprachigen Report von Aruba zum Krankenhaus im Jahr 2030 finden Sie hier:

Aruba_Hospital 2030_Report