Fachkräftemangel hausgemacht?

Arbeitgeber verlieren junge Nachwuchskräfte, die bereits im Unternehmen arbeiteten, weil sie den Kontakt verspielen.

Deutsche Arbeitgeber beklagen zwar den Fachkräftemangel, vernachlässigen allerdings die Kontaktpflege zu jungen Talenten, die bereits im Unternehmen ein Praktikum geleistet haben. Das ist ein Ergebnis des aktuellen »Future Talents Report«, den die Unternehmensberatung CLEVIS Consult im Rahmen des »Future Talents Forum 2019« in Berlin vorstellte [1]. Für ihre Studie, in den letzten acht Jahren als CLEVIS Praktikantenspiegel veröffentlicht, wurden 7.664 Talente befragt. Demnach sind 90 % der Berufsstarter nach dem ersten Kennenlernen eines Arbeitgebers im Rahmen eines Praktikums an einer Stelle interessiert. Diese Rekrutierungschance verpassen allerdings 49 % der Unternehmen, indem sie keinen Kontakt zu ihren ehemaligen Praktikanten halten. In kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) liegt der Anteil gar bei alarmierenden 61 %.

 

Kontakt zu Talenten bricht oft bereits am letzten Arbeitstag ab

In vielen Unternehmen beginnt der Abbruch des Kontaktes zu den »Future Talents« bereits in den letzten Tagen eines Praktikums. Denn nur in 40 % der Fälle endet das Arbeitsverhältnis mit einem abschließenden Feedbackgespräch. Auch Alumni-Netzwerke als Kontaktpflege-Tool sucht man in Zeiten der Digitalisierung in den meisten Unternehmen vergebens. Nur jede zehnte Nachwuchskraft wird über ein solches an den Arbeitgeber gebunden. In den besonders gefragten MINT-Fächern ist es sogar nur jede zwanzigste Nachwuchskraft. Auch die Gelegenheit talentierte Absolventen über Abschlussarbeiten zu binden, nutzen wenige Arbeitgeber – jeder sechste Konzern und nur 10 % der KMUs.

»Die Kommunikation zu jungen Talenten auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist besorgniserregend schlecht. Zwar unternehmen Arbeitgeber erhebliche Anstrengungen, um sie während eines Praktikums von sich zu überzeugen. Allerdings operieren sie anschließend nach dem Motto ›Aus den Augen aus dem Sinn‹. So drängt sich der Eindruck auf, dass der oft beklagte Fachkräftemangel auch ein hausgemachtes Problem vieler Unternehmen ist«, so Kristina Bierer von CLEVIS Consult, dem Betreiber der Studie.

 

Überstunden schon in der Kennenlernphase – auch in Mangelberufen

Ob junge Talente zufrieden mit ihrem Praktikum sind, hängt in erster Linie mit der Anleitung ihres Arbeitsverhältnisses zusammen. Hier gilt: Wer zufrieden mit seiner Führungskraft ist, kann sich auch eine erneute Bewerbung beim jeweiligen Unternehmen vorstellen. Im Umkehrschluss ist der Anteil derjenigen, die sich nicht noch einmal bei einem Arbeitgeber bewerben würden vor allem dann groß, wenn schwache Führungsarbeit geleistet wurde.

Ein Risiko stellt zudem die fehlende Flexibilität in Sachen Arbeitszeit dar. So leistet derzeit jeder dritte Praktikant Überstunden. In vielen Mangelberufen ist der Anteil sogar noch höher. 40 % der Maschinenbauer, 41 % der Wirtschaftsingenieure und gar 52 % der Chemiker arbeiten demnach schon in der beruflichen Kennenlernphase zwischen Arbeitgeber und -nehmer länger als acht Stunden täglich. »Wir haben festgestellt, dass die Zufriedenheit mit einem Praktikum sinkt, je höher der Anteil der Überstunden ist. Demgegenüber steht das ausgeprägte Bedürfnis der Generation Z nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Diesen Spagat sollten Arbeitgeber beispielsweise durch flexible Arbeitszeitmodelle schon in der beruflichen Orientierungsphase bewältigen«, so Kristina Bierer.

 

Konzerne zahlen ein Fünftel mehr als KMUs

Die Bezahlung der »Future Talents« unterscheidet sich indes je nach Unternehmensgröße. Während in Konzernen durchschnittlich 1.318,75 Euro brutto monatlich gezahlt werden, sind es in den KMUs 1.087,36 Euro. Im Durchschnitt verdienen Praktikanten in Deutschland nach diesen zahlen 92 Euro weniger als noch im Vorjahr. Immerhin: 93 % aller Praktika werden vergütet. Allerdings ist die Vergütung kein entscheidender Zufriedenheitsfaktor in der beruflichen Orientierungsphase. Hier stehen das Lernpotenzial, die Aufgabengestaltung und der positive Einfluss des Arbeitsverhältnisses auf den Lebenslauf ganz vorne.

 

[1] Für den »Future Talents Report« wurden im Zeitraum von Mai bis November 2018 7.664 Teilnehmer befragt, die einen Fragebogen von 74 Fragen rund um ihre Praktikumserfahrung beantworteten. Dabei ging es um die Merkmale des jeweiligen Arbeitsverhältnisses, die Arbeitgeberqualität, das Markenimage sowie demografische Daten.

 

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