Gesundheitsnotstand Klimakrise – Klima, Krise, Kriege

Welchen Stellenwert hat der Mensch nach der Industrie noch, mit Blick auf eine der zentralen Fragen und humanen Krisen unserer Zeit. Der philosophische Blick für sinnvollen Klimaschutz.

Nach der Weltklimakonferenz im Jahr 2015 in Paris war die Welt fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich die Politik ernsthaft dem Klimaproblem annehmen werde. Bis heute ist in dem Punkt nicht viel geschehen; das Konzept der Freiwilligkeit nicht aufgegangen. Nichts weiter als Schönfärberei im bekannten Politjargon, wie »erfolgreiche Gespräche geführt«, »Einigung in aller letzter Sekunde« oder »nach schwierigen Verhandlungen haben wir den Durchbruch erreicht« bei kontinuierlich steigenden Treibhausgasemissionen.

Als 2019 das Klimapaket der Bundesregierung vorgestellt wurde, wird dieses weithin ebenso als gescheitert wahrgenommen, wie die Weltklimakonferenz in Madrid. Die Dringlichkeit des Handelns ist in der Politik und in Teilen auch in der Wirtschaft immer noch nicht in gänzlicher Tiefe angekommen. Zu sehr liegt der Fokus auf den Kosten, wenn es um den Klimaschutz geht. Erst mit der Wahl zum Europaparlament im Mai 2019 hat sich der Blick für die Dringlichkeit des Klimaschutzes ein wenig gewandelt. Ursächlich waren die Wähler, denen der Klimawandel an der Urne das wichtigste Thema war und demzufolge den Grünen erfreuliche Ergebnisse bescherte. Man könnte tatsächlich von langjährigem Versagen oder Verleugnen der Klimathematik der ehemals großen Koalitionen sprechen. Nach überstandener Pandemie 2022 wurde der Ruf nach Klimaschutz wieder lauter; gut, vornehmlich auf unrühmlichem Wege einiger Youngstars, die sich lieber mit Gift auf der Straße festkleben und sich allerlei Unsinn einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das vernünftige Maß fehlt den Jungen genauso, wie unserer Politprominenz, die mit verquaster Logik und wenig durchdachten Gesetzen dem klimatischen Wandel Einhalt gebieten will und die Wirtschaft überfordert. Anlass genug, mir ein paar sinnvollere Gedanken zu machen.

Die Apokalypse wird ausbleiben, auch wenn beim Blick auf diese Welt ein gewisses Unbehagen mitschwingt. Unsere Industrie wird sich in Zukunft aber stark verändern müssen. Die aktuellen politischen und ökonomischen Strömungen verschieben diverse Einflussgrößen und lassen neue kritische Machtzentren entstehen. Der Fortschritt der Technologisierung nimmt erheblichen Einfluss auf unsere Werte. Der Klimawandel ist Realität und wird weder durch die Digitalisierung selbst, CO2-Besteuerungen oder esoterische Beschwörungsformeln aufzuhalten sein. Die Politik spielt mit einem nicht kalkulierbaren Risiko. Ein hochkomplexes Wesen, wie der Mensch, wird sich zudem niemals nur durch Vorschriften und Regeln der Vernunft leiten lassen. Unsere Sandwich-Politik muss dafür Sorge tragen, dass wir zu einer neuen kollektivindividuellen Leitlogik finden, die den Anforderungen der Zeit Rechnung trägt.

Lassen Sie mich ein paar Ideen skizzieren, die mir allemal besser erscheinen, als Sekundenkleber, Farbeimer und undurchdachte Energiegesetze.

1. Zusammenschluss der Welt
Klar, angesichts der aktuellen Ereignisse eine Herausforderung. Die Länder, die den Klimaschutz ernst nehmen, müssen sich zusammenschließen und mutig vorangehen. Sämtliche Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen waren bisher nicht zielführend. Federführend muss ein Land die Zügel in die Hand nehmen und die weltweite Organisation übernehmen. Das Klima muss weltweit gemeinschaftlich angepackt werden. Ein Land allein ist ein fatales Nullsummenspiel. Wir dürfen nicht übersehen, dass sich heute noch in unserer westlichen Welt Reste von Treibhausgasen unserer Vorfahren, Eltern, Großeltern durch u.a. Kohleverbrennung in der Luft befinden. Industrieländer stehen am meisten in der Verantwortung zum Klimaschutz. Während wir auf Gas und Öl umgestellt haben, ersticken Länder wie China beispielsweise unter dem Smog durch Verbrennung von Kohle. Die Kriege machen es nicht besser.

2. CO2-Bepreisung und Subventionen
Eine CO2-Bepreisung, wie sie über die CO2-Steuer und andere Wege eingenommen werden soll muss in einem angemessenen Rahmen stattfinden. Solange die Bevölkerung auf keine Alternativen zurückgreifen kann, macht eine kostspielige Umverteilung bei sinkenden Einkommen, Inflation und Wirtschaftsschwankungen und in Teilen fehlender Infrastruktur keinen Sinn. Sämtliche Subventionen, die sich klimaschädlich auswirken, müssen abgebaut werden. Klimaschädliche Subventionen betreffen alle Bereiche unserer Lebensführung, wie Energie, Verkehr, Agrar, etc. Mit diesen öffentlichen Mitteln werden Umweltschäden noch gefördert, die sich negativ auf Naturgüter, wie Klima, Luft, Wasser, Boden und auf die Artenvielfalt auswirken und den weiteren Verbrauch von Rohstoffen fördern. Die Einnahmen, die über Subventionen und CO2-Bepreisung eingenommen werden, müssen für den Strukturwandel verwendet werden und überdies zum längst überfälligen sozialen Ausgleich in der Bevölkerung führen.

3. Industrie- und Entwicklungsländer
Aus der Geschichte heraus stehen die Industrieländer in der Verantwortung und gleichermaßen in der Pflicht. Das heißt, Industrieländer müssen sämtliche Emissionen zügig und kompromisslos senken. Ihre Verpflichtung besteht in der Förderung der Entwicklungsländer sowohl finanziell als auch in der Hilfe zur Selbsthilfe, sprich Bildung und Technologietransfer. Historisch betrachtet ist das die große Chance auf weltweiten Frieden durch die Förderung von Demokratie beziehungsweise der Vertiefung der Gespräche hin zu mehr demokratischer Freiheit weltweit.

4. Erneuerbare Energien
Was wir brauchen ist viel mehr Dezentralität in der Energieversorgung. Klimaneutralität ist eine Mamutaufgabe, der wir alle gegenüberstehen. Jede Strategie auf dem Weg zur Klimaneutralität erfordert einen schnellen und intensiven Ausbau erneuerbarer Energien. Streng genommen dürfen dem Planeten keine Rohstoffe mehr entnommen werden und keine fossilen Brennstoffe mehr zur Anwendung kommen.

5. Der Luft überschüssiges CO2 entziehen
CO2 lässt sich industriell nutzen. Wir müssen realistischerweise davon ausgehen, dass es uns nicht gelingen wird, ab spätestens 2030/2040 frei von fossilen Energieträgern zu wirtschaften, was zur Folge haben wird, dass es uns gelingen muss, überschüssiges CO2 aus der Luft zu ziehen und Verfahren zu entwickeln, CO2 in den internen Wirtschaftskreislauf zu befördern, etwa zum Betreiben von Klimaanlagen, Heizsystemen, Aufbereitung von Nutzwasser, etc.

6. Nachhaltige Investitionen

Auch wenn ich ein Freund von weniger Bürokratie bin, wird es nicht ohne Gesetze und damit (Selbst)-Verpflichtungen funktionieren, vor dem Hintergrund der bis dato gescheiterten Freiwilligkeit zum Klimaschutz. Auch hier muss der Geldfluss in die richtigen und nachhaltigen Kanäle umgeleitet werden. Die Politik steht hier klar in der Pflicht und in der Verantwortung zu ihren Bürgern. Dies ist eine Chance auf mehr Arbeitsplätze bei guter und besserer Bezahlung weltweit.

7. Die Bevölkerung am Strukturwandel mit einbeziehen
Die jeweilige Bevölkerung muss zwingend aktiv mit eingebunden werden und vom Strukturwandel auch wirtschaftlich, explizit finanziell profitieren. Es geht um eine neue Werteordnung mit neuen Arbeitsfeldern und Perspektiven. Dazu ist die gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimawandel von Bedeutung. Nur wenn sich der Bürger um seine verantwortungsvolle Rolle im Einzelnen und in der Gemeinschaft beim Klimawandel im Klaren ist, können neue Wege erfolgreich beschritten werden.

8. Kreisförmige Unternehmensstrukturen
Wir alle müssen besonders eines lernen: uns wieder einzuschränken und im Verzicht zu üben. Wir leben in einer für mich vollkommen inakzeptablen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. Wir gehen beispielsweise Shoppen für den Spaßfaktor, selten aber weil wir etwas brauchen. Wir nehmen lieber schnell und bequem den Pkw, statt einmal zu Fuß oder per Rad unsere Dinge zu erledigen. Es muss gelingen, alles Wirtschaften in einer gesunden Kreislaufwirtschaft vom Produktionsprozess her und in lockeren kreisförmigen (Unternehmens)-Strukturen, Menschen mehr Verantwortung zu übertragen, um so Ressourcen effizient zu nutzen, mehr Flexibilität zu erlangen und eine höchstmögliche Abfallvermeidung zu erwirken.

9. Kommunikation auf das Ziel
Sowohl in der Politik als auch aus der Wirtschaft sind permanent kontraproduktive Verzichtsdebatten zu vernehmen. Das muss aufhören. Wo sind die Abenteurer, die Entdecker, die Forscher, Menschen, die eine Aufbruchstimmung erzeugen. Wir müssen lernen, den Tatsachen ins Auge zu sehen, Fakten als Fakten anzunehmen und aus ihnen heraus Erfolgsgeschichten zu machen, die die Vorteile und den Nutzen des Handelns aufzeigen. Eines ist heute absolute Realität: Nur ein aktiver Klimaschutz kann das »Überleben« der Menschheit sichern.

10. Die weltweite Bevölkerung ist gefragt
Raus aus den postfaktischen Tendenzen. Die Wahlurne ist nicht das Mittel, um Klimaschutz aktiv zu betreiben. Populisten kommen Rattenfängern gleich, die sich nicht ernsthaft für den Klimawandel einsetzen werden. Ihr Interesse ist einzig und allein Machtausübung, die aktuell die Demokratie, Freiheit und Menschenrechte weltweit mit Kriegspotenzial außer Kraft setzt. Die zivile Gesellschaft muss international den Klimaschutz auf friedvollem Wege einfordern und den Dialog fördern. Klimaschutz ist Menschenrecht und des Menschen Pflicht.

Fazit. Hinter allgemeinen Vorgaben und Merkmalen künstlich geschaffener Systeme, in denen wir uns bewegen, schwinden Persönlichkeit, Werte und Gefühlserleben, sowie die klare Ausrichtung des Gedankenguts. Unsichere Zeiten erzeugen Ängste, die durch ihre Einengung zu Verstößen gegen allgemein gültige Regeln führen, in deren Folge irrationale Kettenreaktionen entstehen.

Unser Klima muss zur Ruhe kommen. Unsere Gesellschaften müssen zur Ruhe kommen. Betriebe müssen sich erholen. Unsere Politik muss sich neu sortieren und ausrichten. Gesundheit kann es nur auf einem gesunden Planeten geben, auf dem die Waffen ruhen, das Miteinander gefördert wird und Perspektiven zur Verfügung stehen. Die Erderwärmung inklusive der Verschmutzung unserer Umwelt gefährdet unsere körperliche und psychische Unversehrtheit. Sie ist eine ernste existentielle Bedrohung. Von daher befürworte ich die Empfehlung  an die WHO, das Klimaproblem als Gesundheitsnotstand anzuerkennen. 

Die Frage danach, welchen Stellenwert der Mensch nach der Industrie also noch hat, ist wohl mit eine der wichtigsten im Kampf gegen den Klimawandel und die humanitären Krisen unserer Zeit.

 


Gabi Claudia Stratmann,
Business-Philosophin,
Gesellschaftstheoretikerin,
Autorin

 

Illustration: © Sylverarts | Dreamstime.com