IT4IT und Digitalisierung: Jetzt geht’s los!

Illustration: Geralt Absmeier

Egal, ob man das Service Desk Forum von Euroforum besucht, Gast auf der BMC Exchange in Essen ist oder am »SAPAriba Live«-Event in Amsterdam teilnimmt, nirgendwo wird nicht über die goldene Zukunft der IT oder anderer, geschäftsunterstützender Einheiten philosophiert. Überall wird das Internet der Dinge, Digitalisierung, Big Data und Analytics, Sensorik, Spracherkennung und Robotik genutzt, um uns zu erklären, dass jetzt alles und jedes automatisiert werden kann, mit einander kommunizieren wird. Und demnächst werden alle Rechenzentren selbstheilend sein. IT4IT ist das Zauberwort, und Blockchains werden dafür sorgen, dass morgen von einem Rechner selbstständig erstellte Ersatzteilbestellungen sofort zu einer Lieferung führen und die entstehende Rechnung automatisch zugestellt und direkt beglichen wird. Illusion, Marketing Hype oder doch bald Realität?

Technisch ist alles, was oben beschrieben ist, heute bereits machbar. Zwar fehlt es bei vielen Lösungen noch an Kleinigkeiten – »Meister Watson« ist beispielsweise nur wirklich gut, wenn man Englisch mit ihm spricht – aber mit dem nötigen Kleingeld lassen sich die Szenarien bereits heute zum großen Teil technisch lösen. Jeder Anbieter hat die notwendigen Use Cases in der Schublade und präsentiert auch die ersten, hochzufriedenen und sorglosen Anwender. Warum also schleicht sich trotzdem immer diese Skepsis ein? Nun, als jemand, der bereits seit einiger Zeit in dieser Branche unterwegs ist, hat man mal wieder ein Déjà vu. Man wird erinnert an die Zeit, als Handys noch so groß waren wie ein mittlerer Aktenkoffer und das Gewicht eines Kleinkindes hatten. Damals, in grauer Vorzeit der IT, veröffentlichten einige langhaarige Entwickler ein offenes Protokoll mit Namen »SNMP«, das es erlaubte, dass Management-Anwendungen mit Software-Agenten reden konnten, egal wo diese waren. Hauptsache, die Dinger waren mit einem – damals noch sehr neuen – TCP/IP-Netzwerk verbunden. Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten »Networld«-Messen in Las Vegas, auf denen Heerschaaren von Technik-Nerds darüber philosophierten, dass man doch auch einen vollautomatischen Kühlschrank entwickeln könnte, der die Milch selber bestellen kann! Da poltert doch gerade die 64-Bit-Nachtigall durch den Flur der IT, oder?

Zeit und Geld

Warum ist denn damals nicht schon das vollautomatische Rechenzentrum entstanden? Nun, es fehlte nicht daran, dass IT-Leiter dies nicht wollten. Im Wesentlichen verhinderten zwei Dinge diesen Schritt in das Nirwana der EDV: Zeit und Geld. Die IT-Abteilungen jener Tage hatten den Nimbus des Besonderen schon verloren und waren, überwiegend als Kostenfaktor gesehen, bereits chronisch unterbesetzt. Dadurch befand man sich zumeist im bekannten Feuerwehrmodus und konnte sich, auch wenn man wollte, nicht um die Implementierung moderner Lösungen kümmern. Und der Aufbau der notwendigen Datenbanken mit all den Daten, die man als Informationsquelle nutzen wollte, war sowieso viel zu zeitraubend und teuer. Also blieb es beim »Modus Operandi«, oder dort, wo es wirklich brannte, gab es Einzellösungen. Man konnte von Glück sagen, wenn eine Lösung sowohl die Geschäftseinheiten beglückte, und gleichzeitig der IT half, effizienter zu arbeiten. Ein gutes Beispiel hierfür ist das automatische Backup durch Dateimigration von schnellen auf langsame Medien. Diese Technologie erlaubt die Speicherung von großen Datenmengen im direkten Zugriff zu erschwinglichen Preisen, was Anwender damals brauchten. Im Nebeneffekt konnte so das Erstellen von Bandkopien reduziert werden.

Datenqualität und fehlende Budgets

In einer aktuell veröffentlichten Studie der SAP in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg über den Status und die Herausforderungen der Chief Procurement Officers geben 95 Prozent der Befragten zu, ihren Einkaufsprozess gar nicht oder nur rudimentär automatisiert zu haben. Und das, obwohl die technischen Herausforderungen seit der Zeit von OSI und EDIFACT in den späten Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gelöst sind. Als Gründe für den Mangel an Effizienz werden hauptsächlich Datenqualität und fehlende Budgets angegeben! Und dann sagen aus der gleichen Gruppe von Befragten 83 Prozent, dass die digitale Transformation in diesem Jahr einen noch höheren Einfluss als 2017 haben wird. Hierbei sollen laut Aussage der Befragten besonders die Bereiche künstliche Intelligenz (AI) und robot-basierende Prozessautomatisierung (RPA) im Vordergrund stehen. Was allerdings nicht gesagt wird, ist, woher das Geld für die Umsetzung kommen soll. Ganz zu schweigen von den Individuen, die notwendig sind, dies im Unternehmen auch zu tun.

Bimodale IT

Wie bereits mehrfach erwähnt, sind die aktuellen Installationen und die mangelnde Datenqualität die größten Probleme, den Schritt in die neue Welt zu tun. Natürlich hat die Industrie auch auf dieses Problem die passende Antwort: bimodal. Anstatt langwierige und problembehaftet Migration von Altsystem sollte man einfach eine neue Installation auf der grünen Wiese schaffen und die Prozesse hier neu abbilden. Problem gelöst! Machbar? Klar! Bezahlbar? Auch! Ich habe in jüngster Vergangenheit ein Projekt begleitet, in dem diese Strategie verfolgt wurde. Das Budget wurde nach einigem hin und her genehmigt. Allerdings war hier nicht das Argument der Digitalisierung oder der digitalen Transformation ausschlaggebend. Es war schlicht und einfach nicht möglich, das vorhandene Altsystem weiter zu betreiben. Der Lieferant hat die Einstellung des Supports für die genutzte Version angekündigt. Da gleichzeitig ein massiver Architekturwechsel in der neuen Version vollzogen wurde, war eine Migration so gut wie unmöglich. Und ohne das System war das Unternehmen nicht mehr lieferfähig. Leider war es nicht möglich, das Projekt weiter zu begleiten. Der Auftraggeber wurde mitten in der Ausschreibungsphase aufgekauft. Und das Projekt wurde aufgrund der Investitionskosten erstmal auf Eis gelegt. Wahrscheinlich sollen die bestehenden Prozesse jetzt in das bestehende System des Käufers überführt werden. Hier läuft nämlich gerade ein Migrationsprojekt. Der Erfolg ist eher fraglich.

Technikaffinität der Entscheider

Nun soll nicht der Eindruck entstehen, ich sei ein Gegner der neuen Technologien. Weit gefehlt. Die Möglichkeiten, die die neuen Technologien bieten, sind schon grandios. Die Verbindung der gesamten Wertschöpfungskette auf allen Ebenen, von der technischen Infrastruktur bis zu den Anwendungen und Datenbanken und die Umwandlung von Daten in Informationen durch künstliche Intelligenz erlauben Dinge, die zumindest meine Vorstellungskraft übersteigen. Es sind lediglich fast 40 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie, die eine gehörige Portion Skepsis produzieren. Ist es wirklich der steigende, direkte Einfluss der Kunden, der zu einem Umdenken führen wird? Wird die Politik endlich begreifen, dass die aktuelle industrielle Revolution sich nicht nur um selbstfahrende Autos dreht, sondern massiven Einfluss auf das sozioökonomische System hat? Oder wird die Technikaffinität der Entscheider ihren Beitrag leisten? Letzteres ist wohl entscheidender. Wie sagte doch der Chefeinkäufer eines der größten Energieunternehmen der Welt auf der »SAPAriba Live«-Konferenz in Amsterdam im April dieses Jahres: »Ich will, dass der Einkaufsprozess in unserem Unternehmen genau so einfach wird, wie Einkaufen bei einem der großen Internetshops. Aussuchen – Auswählen – Bestellen – Bezahlen. Vier Klicks, und die Sache ist erledigt.« Möglich? Ja! Machbar? Ja! Bald Realität? Wir werden sehen. Wir jedenfalls werden den Markt weiter intensiv beobachten.

Lutz Peichert, ISG, www.isg-one.com

 


 

 

Future Work – Wege in die neue Arbeitswelt

Digitalisierung ausgebremst: Quo vadis, Fachkräftemangel?

Analytics aus der Cloud – Datensicherheit und technologische Reife sind ausschlaggebend

Hands-on Digital: Fünf Thesen zu erfolgreicher Digitalisierung in Unternehmen

Warum die IT mit der Digitalisierung zu kämpfen hat – und was man dagegen tun kann

Digitalisierung der Arbeitswelt: So verhindern wir, dass wir überflüssig werden