Mehr Unternehmenserfolg durch Diversifizierung der Lieferketten

  • Mehrzahl deutscher Unternehmen importiert Güter der Informations- und Kommunikationstechnologien aus einigen wenigen Bezugsländern.
  • Politik strebt eine Verringerung von Abhängigkeiten an. Dies kann durch eine stärkere Streuung der Bezugsländer erreicht werden.
  • Empirische Analysen auf Basis von Unternehmensmikrodaten legen nahe, dass die Vorteile einer stärkeren Diversifizierung überwiegen.
  • Positiver Zusammenhang lässt sich sowohl für große Unternehmen als auch für kleine und mittlere Unternehmen feststellen.
  • Die politisch angestrebte Stärkung der digitalen Souveränität geht nicht notwendigerweise zulasten der Unternehmen.

 

Wenn deutsche Unternehmen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) aus vielen verschiedenen Ländern beziehen, könnten sie erfolgreicher sein. Dies gilt für alle Firmen unabhängig von ihrer Größe sowie für stark digitalisierte Unternehmen, wie aktuelle Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) nahelegen. Die Forschenden haben auf Basis von Unternehmens- und Außenhandelsdaten analysiert, wie diversifiziert Unternehmen bei ihren IKT-Importen aufgestellt sind, und berechnet, wie eine stärkere Diversifizierung der Bezugsländer mit dem Erfolg der Unternehmen zusammenhängt.

Nicht nur die Pandemie, auch geopolitische Konflikte haben in den letzten Jahren deutlich gemacht, wie schädlich Lieferabhängigkeiten sein können. Daher streben Deutschland und die EU eine Reduktion der Abhängigkeiten und eine stärkere Resilienz gegenüber Krisen an, unter anderem durch den Ausbau der inländischen Produktion. Auch eine stärkere Diversifizierung der Lieferländer würde hierzu beitragen. »Deutsche Unternehmen sind jedoch bei IKT-Importen, insbesondere bei Mikrochips, von wenigen Bezugsländern abhängig: Fast die Hälfte der Produkte stammt aus einem einzigen Land, nämlich China. Auch die Mehrzahl der übrigen Länder, aus denen wir IKT-Güter beziehen, liegt im asiatischen Raum«, berichtet DIW-Studienautor Alexander Schiersch, der gemeinsam mit Irene Bertschek und Thomas Niebel vom ZEW-Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim die Studie erstellt hat.

China konnte seinen Anteil in den vergangenen zehn Jahren deutlich ausbauen, ebenso in kleinerem Ausmaß Taiwan und Vietnam. Außerasiatische Länder wie die USA oder europäische Länder haben hingegen in den vergangenen zehn Jahren an Anteilen verloren.

Ziel einer stärkeren Resilienz entschlossen weiterverfolgen

Möglicher Nachteil einer stärkeren Diversifizierung der Bezugsländer ist, dass sie den Kosten- und Zeitaufwand erhöht und dadurch die Unternehmen belastet. Doch die aktuellen DIW-Berechnungen zeigen, dass es einen positiven und statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Diversifizierung der Bezugsländer und dem Unternehmenserfolg, gemessen an der Wertschöpfung und am Bruttobetriebsüberschuss, gibt. »Eine stärkere Diversifizierung der Bezugsländer geht also nicht zwangsläufig zulasten der Unternehmen«, folgert Studienautor Niebel.

»Die Politik sollte daher das Ziel einer stärkeren Resilienz entschlossen weiterverfolgen, während Unternehmen, die ihre IKT-Güter bisher einseitig beschaffen, diese Strategie überdenken sollten«, empfiehlt ZEW-Ökonomin Bertschek.

Studie im DIW Wochenbericht 46/2023

Audio-Interview mit Studienautor Alexander Schiersch (MP3, 6.75 MB)


Fragen an DIW-Studienautor Alexander Schiersch

Herr Schiersch, wenn keine Mikrochips mehr geliefert werden können, steht unter Umständen ein ganzes Autowerk still. Wie abhängig sind deutsche Unternehmen von Vorleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)?

Grundsätzlich muss man sich das für jedes einzelne IKT-Gut anschauen. Ein Beispiel haben Sie ja schon genannt, aber es gibt noch eine ganze Reihe von IKT-Gütern, unter anderem im Bereich der Mikroelektronik, wo wir deutlich abhängig sind, weil wir sehr viel aus dem Ausland importieren, vor allem aus dem asiatischen Raum und hier insbesondere aus China.

Wie viele Unternehmen beziehen IKT-Güter aus nur einem einzigen Land oder nur wenigen Ländern? 

Wir haben herausgefunden, dass die deutschen Unternehmen im Mittel aus etwa vier bis fünf Ländern importieren und von dort etwa zwölf Produktarten beziehen. 80 Prozent dieser Importe kommen tatsächlich aus einem einzigen Land und mindestens zehn Prozent der Unternehmen beziehen komplett alles aus einem Land.

Was ist der Ausweg aus der Abhängigkeit? Sollte wieder mehr im Inland produziert werden? 

Das ist tatsächlich das aktuelle Ziel der Politik. Es gibt den Chips Act, also das Chip-Gesetz der Europäischen Union, das vorsieht, dass wir die aktuelle Produktion in Europa mehr als verdoppeln. Dafür werden auch Gelder bereitgestellt. Aber es gibt auch die Möglichkeit der Diversifizierung. Das bedeutet, dass wir unsere Resilienz nicht nur dadurch erhöhen, dass wir mehr zu Hause produzieren, sondern auch versuchen, unsere Lieferketten und Zulieferbeziehungen auszubauen und zu streuen, um weniger abhängig von einzelnen Zulieferern, Ländern oder auch Regionen zu sein.

Könnte eine stärkere Diversifizierung nicht auch Nachteile mit sich bringen? 

Das Hauptproblem dabei ist, dass es zunächst einmal höhere Such- und Koordinierungskosten bei den Unternehmen gibt. Ich habe gewachsene Lieferbeziehungen. Wenn ich jetzt zusätzlich auch noch in ein anderes Land gehe, mit dem ich vielleicht noch gar kein Kontakt habe, dann ist das einfach mit Mehrkosten verbunden. Zudem muss ich ja in meinem Unternehmen auch die Produktionsprozesse so anpassen, dass ich auf unterschiedliche Zulieferer reagieren kann. All das kann meine Kosten erhöhen.

Wie wirkt sich die Diversifizierung der Importe von IKT-Gütern auf den Unternehmenserfolg aus? 

Genau das haben wir uns in dieser Studie angeschaut. Dabei haben wir relativ viele Einflussfaktoren berücksichtigt und festgestellt, dass eine stärkere Diversifizierung mit einem besseren Unternehmenserfolg einhergeht. Ob es nun der Bruttobetriebsüberschuss ist oder die Bruttowertschöpfung: egal welches Maß wir uns anschauen, wir finden einen positiven Zusammenhang.

Sollte der Staat auf eine Diversifizierung hinwirken und kann er das überhaupt? 

Die Möglichkeiten des Staates sind natürlich begrenzt, denn es ist letztlich eine Unternehmensentscheidung, wie die Lieferketten aufgestellt werden. Aber wir haben in den letzten Jahren regelmäßig gesehen, dass der Staat Unternehmen, die einem Schock ausgesetzt waren, mit Steuergeldern unterstützt hat. Daher kann der Staat schon von den Unternehmen erwarten, dass sie sich auf Krisen vorbereiten. Es gibt aber noch einen interessanten zweiten Punkt: Wir haben relativ viele privatwirtschaftliche und auch staatliche Instrumente zur Absicherung von Exportgeschäften. Das finden wir so auf der Importseite nicht. Ich habe jetzt kein perfektes Instrument in der Hinterhand, aber hier könnte man vielleicht einmal überlegen, ob man nicht auch Absicherungsmöglichkeiten für Importe ermöglicht, um so den Unternehmen dieses zusätzliche Risiko abzusichern.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.