Autonomes Fahren – vom Kunden nicht gewünscht

Autonomes Fahren ist ein interessantes Thema, aber die deutschen Autofahrer wollen immer noch selbst eingreifen können. Anbieter sollten daher eher andere Connected-Car-Themen priorisieren.

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Mehrere Studien sagen einen immensen Markt für autonomes Fahren voraus und zeigen auf, dass auch die Deutschen dafür bereit sind. Doch bereit sein heißt nicht automatisch wollen. Der deutsche Autofahrer stellt eine Bedingung, die an einem Wunsch nach komplett automatisiertem Fahren zweifeln lässt: Es muss die Möglichkeit gegeben sein, jederzeit einzugreifen. Zweifellos entstehen in der Entwicklung des Automobils zum Service-Hotspot große Chancen für IT-Dienstleister. Doch es sind die Autobauer selbst, die das Heft in der Hand behalten, weil sie die Bedürfnisse ihrer Kunden am besten kennen. Google baut Innovationsautos, die »traditionellen« Anbieter bauen Autos, die jeden Tag millionenfach bestellt werden. Die Hersteller sind gut beraten, ihren Kunden keine Technologie aufzuzwingen, die das Selbstfahren derzeit behindert.

Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist die beste Strategie für IT-Dienstleister, alles dafür zu tun, die Hersteller zu unterstützen, das Fahren so angenehm wie möglich und die im Auto verbrachte Zeit so nützlich wie möglich zu gestalten. Alle Versuche, dem deutschen Autofahrer sein Steuer aus der Hand zu nehmen, sollten unterbleiben. Andere Themen wie Connected Car to Car Communication oder die Verknüpfung von Digital Assitants mit Routenplanern versprechen größeres Potenzial.

Viele Studien, ein Ergebnis: Deutsche Fahrer erwarten, jederzeit eingreifen zu können

Laut einer aktuellen Dekra-Umfrage glauben nur 8 Prozent der Befragten in Deutschland – weniger als in anderen Ländern – dass sich vollständig autonom fahrende Autos in den kommenden zehn Jahren durchsetzen werden. Daher wurde ich sehr hellhörig, als ich neulich mein Auto zur jährlichen Wartung gebracht habe und beim Warten eine Reportage von ntv über autonomes Fahren wahrnahm. Dabei wurde berichtet, dass die Mehrheit der Deutschen diese Idee laut einer Studie begrüßt, wenn gegeben ist, dass der Fahrer jederzeit eingreifen kann.

AT Kearney und McKinsey schließen in kürzlich herausgebrachten Studien darauf, dass der Markt sich stark bewegen wird. So stellt AT Kearney mit Blick auf die Hersteller fest, dass die Wertschöpfungskette für autonomes Fahren bis 2035 auf 540 Milliarden Dollar anwächst. Diese Prognose wird von McKinsey noch übertroffen. Das amerikanische Beratungsunternehmen sagt gar ein Umsatzvolumen von 750 Milliarden Dollar für 2030 für Informationen, die ergeben wie ein Auto gefahren wird, voraus. McKinsey bestätigt in seiner Studie auch, dass 81 Prozent der Deutschen auf ein autonomes Fahrzeug umsteigen würden, wenn sie selbst übernehmen können.

Deutsche Autobauer reagieren auf Google – im Sinne ihrer autofahrenden Kunden

Ein immenser neuer Markt wirft die Frage auf, ob die klassischen Autobauer immer noch eine zentrale Rolle spielen werden. Während deutsche Hersteller eigene Innovationen aktiv vorantreiben, drängen Internetkonzerne, High-Tech-Firmen und Telekomanbieter in diesen Markt. Wie gut sind die Autobauer gerüstet?

Google lässt schon vollständig automatisierte Lkws auf die Straße los, doch die Serienreife liegt in weiter Ferne. Daimler und BMW haben reagiert. Die neue E-Klasse, als auch der für März 2017 angekündigte neue 5er sind mit einem selbsttätigen Lenkrad ausgerüstet. Doch Sicherheit geht vor Innovation. Es ist ausdrücklich gewünscht, und sogar zwingend notwendig, dass der Fahrer in das Geschehen eingreift. Beide Autos haben es in ersten Tests nicht geschafft, Fußgänger zu erkennen und diesen auszuweichen, ohne dass der Fahrer Hand anlegt. Das dürfte dem Verkauf keinen Abbruch tun, da die Übernahme des Lenkrads von deutschen Kunden explizit gewollt ist. Doch es zeigt, dass der Weg zum passiven Mitfahrer am Steuer noch weit ist.

Niemand in der Industrie ist untätig. Allein die Tatsache, dass es bereits die ersten Serienfahrzeuge in der deutschen oberen Mittelklasse gibt, die autonom lenken können, zeigt, dass diese Entwicklung in kleinen, schnellen Schritten zur Realität werden könnte. Genau wie bei dem Elektroauto wird die deutsche Automobilindustrie genauso vorbereitet sein wie andere. Doch man wird bei aller Innovation erst dann Traditionen aufgeben, wenn der Markt danach ruft. Und das ist gut so.

Impulse aus der Politik sind verhalten

Hinzu kommt, dass die Politik das autonome Fahren, anders als den E-Call-Button, nicht vorschreiben kann. Zumindest nicht solange schwierige ethische und rechtliche Fragen nicht gelöst sind. Beispielsweise die Frage nach dem Verhalten in Bezug auf Schutz der Insassen oder Fußgänger in einer gefährlichen Situation oder der Rücksichtnahme. Wie bekomme ich mein automatisches Auto dazu, anzuhalten, um ein anderes Auto, das an der Kreuzung steht, vorbei zu lassen? Die Bundesregierung hat Ende 2016 eine Ethikkommission mit Antworten auf diese Fragen beauftragt, die erst Ende 2016 ihre Arbeit aufgenommen hat.

Dessen unbenommen wird Connected Car 2017 Fahrt aufnehmen

Auch wenn vollautomatisiertes Fahren nicht das Endziel ist, wird die Vernetzung von Passagieren und Fahrzeug, sowie von Fahrzeugen untereinander stark zunehmen. Szenarien wie Unfallverhütung durch Warnsignale vorausfahrender Fahrzeuge und die Synchronisierung des Digital Personal Assistants mit dem Routenführer sind kein Wunschdenken mehr. Für Anbieter von IT-Integration, Vernetzung und Security öffnet sich ein interessanter neuer Markt. Mein Fahrzeug ist noch jung, deshalb denke ich nicht an die automatische Lenkung, während ich den Schlüssel nach dem Werkstattbesuch in Empfang nehme.

Aber beim nächsten Wagen wird sich die IT wohl nicht mehr auf Kommunikation und Multimedia beschränken. Gerne lasse ich mich beim Fahren unterstützen, solange ich das Steuer in der Hand behalten darf.

Dr. Henning Dransfeld, Experton Group, www.experton-group.de


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