Fertigungsindustrie am Abgrund: Künstliche Intelligenz als Rettungsanker?

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Die letzten Jahre waren gerade für die Fertigungsindustrie von großen Problemen und Herausforderungen geprägt: Die Lieferketten haben sich vor allem auch in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine als äußerst fragil herausgestellt, woraufhin die Material- und Produktionskosten aufgrund der Energiekrise und der Inflation unentwegt steigen. Dennoch muss die Entwicklung der Digitalisierung vorangetrieben werden. Wie können die Unternehmen in diesem Spannungsfeld bestehen und sich langfristig gegenüber ihren Wettbewerbern behaupten? Saša Petrović, Director of Account Technology Strategist, DACH Industry bei der Cloud Software Group, erklärt, worauf es jetzt ankommt.

Die Stimmung in deutschen Unternehmen hat im September ein neues Jahrestief erreicht. Und auch die Erwartungen für die kommenden Monate versprechen keine Verbesserung. Besonders in der Fertigungsindustrie, in der das Geschäftsklima zwar leicht gestiegen, die geschäftlichen Erwartungen allerdings gesunken sind und die Befragten pessimistisch auf die Komplexität der Nachfrageprognosen schauen.

Dies sollte eigentlich niemanden verwundern, die multiplen Krisen der letzten Jahre haben dieser Branche stark zugesetzt und echte Erholung ist schlicht nicht in Sicht. Stattdessen kämpfen Fertigungsunternehmen mit Problemen wie:

  • unterbrochenen Lieferketten – Jahrelang konnten Unternehmen ihre Materialien ohne größere Verzögerungen aus der ganzen Welt beziehen. Doch insbesondere der Krieg in der Ukraine und die zunehmenden Handelsspannungen haben gezeigt, wie anfällig Lieferketten wirklich sind. Um Lieferausfälle zukünftig bestmöglich zu vermeiden, müssen Unternehmen alternative Strategien definieren, für den Fall, dass sich die politische Spannung weiterhin verschlechtert.
  • hohen Kosten – Infolge der Lieferschwierigkeiten, der Energiekrise und der weiterhin hohen Inflation sind die Kosten für Industrieunternehmen geradezu explodiert und eine deutliche Verbesserung ist unter anderem auch aufgrund der Erhöhung der CO2-Steuer Anfang 2024 nicht in Sicht.
  • dem Fachkräftemangel – In Deutschland fehlen Fachkräfte in nahezu jeder Branche, die Fertigungsindustrie ist dabei keine Ausnahme. So berichteten beispielsweise im Juni 2022 gut vier von fünf Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau von personellen Engpässen. Und der demografische Wandel wird die Situation in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen.
  • Cyberbedrohungen – Laut einer Studie des TÜV-Verbands schreiben im produzierenden Gewerbe nicht einmal drei von fünf Unternehmen ihrer Cybersecurity eine wichtige Rolle zu. Das kann sich jedoch schnell rächen, denn das macht Produktionsbetriebe zu einem attraktiven Ziel für Cyberkriminelle. Insgesamt war innerhalb eines Jahres jedes zehnte Unternehmen von einem IT-Sicherheitsfall betroffen.

Die Digitalisierung als Ausweg

Zu all diesen Herausforderungen – die jede für sich allein genommen schon komplex ist – kommt die Notwendigkeit zur digitalen Transformation hinzu. Aber gerade diese kann zumindest Teil der Lösung sein. Wichtig ist dabei, dass der Einsatz neuer Technologien nicht Selbstzweck sein sollte. Stattdessen müssen Führungskräfte überlegen, welche Probleme sie lösen wollen, wo es in ihren Prozessen und Systemen Schwachstellen gibt und welche Technologien tatsächlich Abhilfe schaffen.

Zwei Beispiele für den Einsatz von künstlicher Intelligenz

Generative KI ist derzeit sicherlich das Trendthema, aber andere intelligente Anwendungen finden in vielen Bereichen schon lange Anwendung und sind entsprechend ausgereift. Dazu zählt etwa KI-basierte Predictive Maintenance (PdM): Natürlich sind regelmäßige Wartungsarbeiten an Maschinen und Anlagen entscheidend, damit sie störungsfrei und durchgängig funktionieren. Sonst erhöht sich der Verschleiß und sie müssen früher für teures Geld ersetzt werden. Gleichzeitig sollten sie aber auch nicht zu oft gewartet werden, da dies unnötig Ressourcen bindet, die in Zeiten des Fachkräftemangels eh rar sind. Deshalb werden für PdM Maschinen-, Produktions- und Prozessdaten aus Sensoren gesammelt, mit historischen Daten kombiniert und in Echtzeit analysiert, um Prognosen zur bedarfsgerechten Wartung aufzustellen.

Produktionsunternehmen können zudem KI-Anwendungen nutzen, um die Resilienz ihrer Lieferketten zu erhöhen. So lässt sich anhand von historischen Daten zur Nachfrage und Produktion zusammen mit weiteren Faktoren – etwa Wetterdaten oder Informationen zu politischen und wirtschaftlichen Veränderungen – die künftige Nachfrage vorhersagen. Gleichzeitig können Unternehmen auch ihre bestehenden Lieferketten auf potenzielle Risiken und etwaige Alternativen hin analysieren. Dies ermöglicht es ihnen, im Falle von Störungen, wie etwa der Blockade des Suez Kanals, schnell und flexibel zu reagieren und den möglichen Schaden, der durch einen Stillstand der Maschinen verursacht wird, zu minimieren.

Künstliche Intelligenz ist nur ein Beispiel dafür, wie bestehende und neue Technologien – oft an mehreren Stellen – wirken können, um den aktuellen Herausforderungen der Industrie zu begegnen. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, mithilfe von digitalen Tools interne Prozesse zu optimieren und digitalisieren, um das vorhandene Personal effizienter einzusetzen, oder die IT-Security durch Ansätze wie Zero Trust zu erhöhen. Vor allem kommt es jetzt darauf an, dass Führungskräfte und IT-Entscheider die konkreten Problemstellungen in ihrem Unternehmen definieren und entsprechende Lösungen implementieren.

 


Ist künstliche Intelligenz und die Digitalisierung die Rettung für die Fertigungsindustrie?

Die Fertigungsindustrie steht vor großen Herausforderungen. Die globale Konkurrenz, der Klimawandel, die demografische Entwicklung und die steigenden Kundenanforderungen erfordern ständige Anpassungen und Innovationen. Wie kann die Fertigungsindustrie diese Herausforderungen meistern und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern? Eine mögliche Antwort lautet: künstliche Intelligenz (KI) und die Digitalisierung.

KI und die Digitalisierung bieten der Fertigungsindustrie zahlreiche Vorteile. Sie ermöglichen eine effizientere und flexiblere Produktion, eine bessere Qualität und Zuverlässigkeit der Produkte, eine höhere Kundenzufriedenheit und -bindung, eine optimierte Logistik und eine verbesserte Nachhaltigkeit. KI und die Digitalisierung können auch neue Geschäftsmodelle und Märkte erschließen, indem sie die Fertigungsindustrie mit anderen Branchen vernetzen und individualisierte Lösungen anbieten.

Um diese Vorteile zu nutzen, muss die Fertigungsindustrie jedoch einige Hürden überwinden. Dazu gehören der Mangel an qualifizierten Fachkräften, die hohen Investitionskosten, die rechtlichen und ethischen Fragen, die Sicherheit und der Datenschutz, die Akzeptanz und das Vertrauen der Mitarbeiter und Kunden sowie die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Bedingungen. Die Fertigungsindustrie muss daher eine klare Strategie entwickeln, wie sie KI und die Digitalisierung implementieren und nutzen will, welche Ziele sie verfolgt, welche Partner sie einbezieht und welche Kompetenzen sie aufbaut.

KI und die Digitalisierung sind kein Allheilmittel für die Fertigungsindustrie, aber sie können ein wichtiger Rettungsanker sein, wenn sie richtig eingesetzt werden. Die Fertigungsindustrie sollte daher diese Chance ergreifen und sich aktiv an der Gestaltung der digitalen Transformation beteiligen.

Einige Beispiele für den Einsatz von KI und Digitalisierung in der Fertigungsindustrie sind:

  • Die Verwendung von Sensoren, Kameras und Algorithmen zur Überwachung und Optimierung der Produktionsabläufe, z.B. zur Erkennung von Fehlern, zur Vorhersage von Wartungsbedarf oder zur Anpassung der Maschineneinstellungen.
  • Die Entwicklung von intelligenten Produkten, die mit dem Internet der Dinge (IoT) verbunden sind und Daten über ihren Zustand, ihre Nutzung und ihre Umgebung sammeln und analysieren, z.B. zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit, zur Erweiterung der Funktionalität oder zur Reduzierung des Energieverbrauchs.
  • Die Schaffung von digitalen Zwillingen, d.h. virtuellen Abbildern von physischen Objekten oder Systemen, die in Echtzeit aktualisiert werden und eine Simulation, Optimierung oder Fernsteuerung ermöglichen, z.B. zur Verbesserung des Designs, zur Reduzierung der Kosten oder zur Erhöhung der Sicherheit.
  • Die Anwendung von maschinellem Lernen, d.h. der Fähigkeit von Computern, aus Daten zu lernen und sich zu verbessern, um komplexe Probleme zu lösen oder neue Erkenntnisse zu gewinnen, z.B. zur Verbesserung der Produktqualität, zur Entwicklung neuer Materialien oder zur Erkennung neuer Marktchancen.

Diese Beispiele zeigen, wie KI und Digitalisierung der Fertigungsindustrie helfen können, die momentanen Schwierigkeiten zu überwinden und sich für die Zukunft zu rüsten. Allerdings erfordern diese Technologien auch eine Anpassung der Organisation, der Kompetenzen und der Kultur der Unternehmen sowie eine Berücksichtigung der ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte ihrer Anwendung.

Genki Absmeier