Data Scientists statt Marketingfachleute

Zalando will mehr Data Scientists für datenbasiertes Marketing einsetzen und Werbefachleute entlassen. Die künstliche Intelligenz (KI) soll das Feld übernehmen und das am besten schon morgen. Warum dieser Plan recht riskant sein dürfte, erklärt Philippe Take in diesem Artikel.

 

Einer der größten Online-Modehändler möchte seinen Kleiderschrank ausmisten. Der Stoff der Zukunft sind Daten. Und genau die sollen künftig die Marketing-Regale von Zalando in neuem Glanz erstrahlen lassen. Zalando möchte in Zukunft mehr auf Algorithmen setzen, die das Kaufverhalten von Kunden analysieren und für deren Ausarbeitung einen Pool an Entwicklern und Datenspezialisten einstellen. Soweit so gut. Daten sind wertvoll und können bei richtiger Handhabung Gold wert sein.

 

Warum auf datenbasiertes Marketing fokussieren?

Datenbasiertes Marketing wird für jedes Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, um größere Mengen an Informationen in kürzerer Zeit zu verarbeiten. Bisher wird vielerorts noch mit der Schrotflinte gefeuert, statt scharf zu schießen. Marketingmaßnahmen sind größtenteils regelbasiert, Angebote werden nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet und laufen damit oft ins Leere. Datenbasiertes Marketing oder Machine Learning könnte in dieses System große Effizienz bringen, und ermöglichen, Kunden gezielter und individueller anzusprechen. Das wiederum spart vor allem Geld.

 

Das Schwierige ist die Umsetzung

Zalando gibt Vollgas und bremst sich am Ende vielleicht selbst aus. Weil künftig Algorithmen oder KI in diversen Bereichen schneller und effektiver arbeiten können als Menschen, werden Stellen gestrichen. Tatsächlich will Zalando bis zu 250 Werbefachleute entlassen. Dieser »Tausch« könnte jedoch problematisch werden. Denn es braucht immer noch Menschen, die Marken schaffen, die begeistern und in größtmöglicher Weise die Customer Experience befriedigen. Dazu gehört, wie Rob Norman von GroupM schreibt, viel Emotion, Fantasie und Vorstellungsvermögen.

Außerdem: Wie oben gesagt, datenbasiertes Marketing ist die Zukunft, aber wie realistisch ist die Umsetzung quasi von heute auf morgen? Data Scientists können mit ihren Algorithmen nicht einfach Werbe- oder Marketing-Fachleute ersetzen. Denn sie müssen schließlich wissen, wozu ein Algorithmus gebraucht wird, was die Unternehmensziele sind, wie Statistiken ausgewertet werden, was eine Customer Journey ist und wie Touchpoints optimiert werden. Klingt nach viel Arbeit – ist es auch. [Wer sich für Zalandos Job-Anforderungen interessiert, schaut mal hier: Senior Data Scientist – Pricing and Forecasting]

 

Make or buy – das ist hier die Frage

Zalando hat möglicherweise die monetären Mittel, genügend Data-Scientists zu finden, die sowohl im Programmieren als auch in Marketing-Fragen fit sind. Die Komplexität der Themenfelder, die ein KI-Talent abdecken muss, ist jedoch tatsächlich so groß, dass die Großen wie Google, Apple, Microsoft oder Ebay teilweise sogar ganze Unternehmen einkaufen müssen, die über das nötige Know-how verfügen.

 

Ein langwieriger Prozess

Hinzu kommt, dass in jedem Unternehmen zwar eine Unmenge von Daten vorhanden sind. Selbst, wenn die Daten-Genies gefunden sind, müssen aber erst einmal die Ressourcen für die Nutzung dieser Daten geschaffen werden. Das heißt, um die Hauptaufgabe zu lösen, muss der Spezialist zunächst den Tech Stack aufbauen, also die Grundlage, den Rahmen, die Sprache, auf der eine kompetente und gewinnbringende Marketing-Software aufbaut. Und das kostet Unmengen von Zeit. Das Customer Touchpoint (TP) Management ist ein zentraler Punkt für den Unternehmenserfolg. In der Customer Journey gibt es nach einer Gemeinschaftsstudie von absatzwirtschaft und Esch. The Brand Consultants (»Customer Experience in Zeiten digitaler Transformation«) rund 300 Stück. TP sind jene Berührungs- beziehungsweise Kontaktpunkte des Unternehmens mit dem Kunden, wo er die Möglichkeit hat, zu interagieren.

Die Studie besagt ebenfalls, dass es mitunter Jahre dauern kann bis ein einziger TP, wie zum Beispiel der Schriftverkehr, optimiert ist. Was ist mit den anderen 299? Selbst wenn schließlich eine geeignete Software steht, wird es schwierig, diese dauerhaft zu warten und zu supporten. Auch wenn dies erreicht würde, stellt deren kontinuierliche Weiterentwicklung ein Problem dar. Oft ist es so, dass sich die neuen Anforderungen an die Software schneller entwickeln als das eigene Entwickler-Team darauf reagieren kann. Alltag ist, dass die Software-Entwicklung in Unternehmen gar nicht die höchste Priorität hat, da die Data Scientists eben nicht nur diese eine Aufgabe haben. Tatsächlich sind diese dadurch oft überfordert oder frustriert, wie Data Scientist Jonny Brooks-Bartlett in seinem Blog-Beitrag schreibt.

 

Auf bewährte Lösungen setzen, statt von Null anfangen

Der große Fehler liegt bei vielen Unternehmen schlicht darin, zu versuchen, das Rad neu zu erfinden. Das ist überhaupt nicht nötig. Es gibt bereits sehr effektive und ausgereifte Tools und Lösungen, die jedes Unternehmen sofort einsetzen kann. KI-out-of-the-box quasi, die in Unternehmen direkt funktioniert, ohne Anpassungen. Dabei handelt es sich um Software, die keine manuelle Entwicklung erfordert und auch von Marketern leicht zu bedienen ist.

Unternehmen sollten den Fokus darauf setzen, die Customer Experience entlang der Customer Journey zu verbessern. Mit spezieller Software und mithilfe integrierter Modelle können die genannten TP für jeden Kunden individuell optimiert und die gewinnmaximale Aktion ermittelt werden — und das innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums. Das ist übrigens nicht nur effizient — die betreffenden Kunden werden sich vielleicht das erste Mal wirklich wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen.

Unterstützt durch die richtigen Tools können produktive Ergebnisse im datengetriebenen Marketing binnen Tagen anstatt von Monaten realisiert werden. Der Anspruch an die KI-Tools von heute solle sein, dass diese jeder bedienen kann. Data Scientists könnten dann daran arbeiten, wofür sie eigentlich eingestellt wurden und woran sie Spaß haben. Durch explorative Data Science den Fachbereichen, wie dem Marketing, Empfehlungen abgeben zu können, was als nächstes aus Datensicht zu tun ist.

 

Fazit

Ob Zalando mit seiner Strategie Erfolg hat, wird sich in naher Zukunft zeigen. Kleineren Unternehmen ist dringend davon abzuraten, ihre Werbe- und Marketingfachleute gegen Data Scientists einzutauschen. Das Risiko zu scheitern ist hoch. Die Aufgaben sind komplex und dauern lange. Große Unternehmen mit genügend Kapital können es sich ggf. leisten, diese Weg zu gehen. Meine Empfehlung für alle anderen Unternehmen ist, auf das Know-how und die Transferleistung von Werbe- und Marketing-Fachleuten zu vertrauen, die mit Hilfe von KI-Tools bessere Entscheidungen treffen können. Und überhaupt: Wo sollen die ganzen Data Scientists eigentlich herkommen?

 

Philippe Take ist Co-Founder von Gpredictive

https://www.gpredictive.de


 

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