Deutschlands Wissenschaftler*innen gründen zu wenig: Erste Studienergebnisse zu den Ursachen

Illustration: Absmeier

Deutschland ist weltweit einer der Topstandorte für Spitzenforschung, im globalen Wettbewerbsbericht 2018 des Weltwirtschaftsforums belegt Deutschland bei der Innovationsfähigkeit Platz 1. Gleichzeitig sind Ausgründungen aus der Wissenschaft selten – während in Estland beispielsweise die sogenannte TEA-Rate (Total Early-Stage Entrepreneurial Activity) bei 19 Prozent liegt, gründen hierzulande gerade einmal fünf Prozent. Warum sind gerade in Deutschland Ausgründungen aus der Wissenschaft so selten? Das von der Joachim Herz Stiftung geförderte Forschungsprojekt am Entrepreneurship Research Institute der Technischen Universität München beschäftigt sich erstmals mit der Frage nach den psychologischen Faktoren und Rahmenbedingungen von Gründer*innen in der Wissenschaft. Die ersten Zwischenergebnisse zeigen, dass Teamgeist, Pragmatismus und Soft Skills wesentliche Faktoren für den Erfolg sind – und daran scheitert es oftmals.

Das Forschungsteam des Entrepreneurship Research Institutes der Technischen Universität München (TUM ERI) hat im Auftrag der Joachim Herz Stiftung mehr als 100 unternehmerische Teams, in denen Experten aus Hochschule und Unternehmen zusammenarbeiten, viele davon an der Einrichtung für Unternehmensausgründungen der Technischen Universität München, über mehrere Monate hinweg begleitet. Die Studienteilnehmenden wurden mit Hilfe von wöchentlichen Online-Fragebogen und Interviews befragt, um herauszufinden, mit welchen Herausforderungen Wissenschaftler*innen bei der Ausgründung ihrer Idee konfrontiert werden.

 

Herausforderung Nr. 1: Ohne Teamarbeit kein Erfolg

Grundlegend gilt, eine innovative Technologie allein reicht nicht aus, um erfolgreich ein Unternehmen zu gründen. Wissenschaftler*innen fehlt in der Regel die Marktkenntnis, um beurteilen zu können, welche Idee das Potenzial für eine Kommerzialisierung hat. Deshalb sollten sie so früh wie möglich Mitstreiter mit Industrie- und Gründungserfahrung ins Team nehmen, sodass von Beginn an Perspektiven und Bedarfe aus Wirtschaft und Industrie berücksichtigt werden.

Mangelnde Kenntnisse über Marktmechanismen sind dabei allerdings nur ein Punkt, die Dynamik innerhalb der Gruppe spielt ebenso eine große Rolle, wie das Forschungsteam der TUM ERI festgestellt hat: Vielen Gründungsteams fällt es schwer, einen gemeinschaftlichen und geradlinigen Weg zu finden. Dies bezieht sich sowohl auf die Entscheidung, was das Produkt können soll, sowie auf die Frage, wie diese Vision am besten umzusetzen ist. »Die Gründungsteams beginnen dann, immer mehr Varianten zu diskutieren, ohne sich auf eine Linie festlegen zu können und scheitern letztendlich«, erläutert Nicola Breugst, Professorin für Entrepreneurial Behavior am TUM Entrepreneurship Research Institute. »In der Konsequenz dürfen sich universitäre und andere Einrichtungen der Gründungsförderung nicht nur auf die Vermittlung von Technologie- und Marktkenntnissen konzentrieren, sondern sollten auch Soft-Skill-Kurse etwa rund um teamorientiertes Coaching als wichtige Komponente für eine effektive Gründungsförderung anbieten.«

 

Herausforderung Nr. 2: Mehr Pragmatismus, weniger Perfektionismus

Gleichzeitig zeigt die Studie, dass sich potenzielle Gründende aus der Wissenschaft von ihren hohen Ansprüchen verabschieden müssen: Nach der Devise »fail fast and early« werden Gründungsteams dazu angehalten, schon frühzeitig die Marktfähigkeit ihrer Lösungen zu validieren, indem sie mögliche Kunden mit nicht vollständig ausgereiften Prototypen konfrontieren. Das Testen und Einholen von Feedback in einem sehr frühen Stadium steht allerdings im Widerspruch zum wissenschaftlichen Mindset, bei dem unausgereiftes Wissen keine Basis für Entscheidungen und die Kommunikation mit Anderen darstellt. Diese unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen erschweren auch die Feedbackkultur in den für den unternehmerischen Erfolg so wichtigen interdisziplinären Teams: Nicht immer entspricht der »wissenschaftliche Perfektionismus« auch dem »unternehmerischen Pragmatismus«.

 

»Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen, dass selbst interdisziplinäre akademische Gründungsteams mit ähnlichen Ausgangssituationen und Herausforderungen höchst unterschiedliche Entwicklungswege einschlagen. Teams, die weniger auf die Expertentipps aus unserem Inkubator gehört haben und sich in ihren Entscheidungsprozessen quasi verloren haben, waren in der Regel nicht erfolgreich«, erklärt Prof. Dr. Dr. Holger Patzelt, Professor für Entrepreneurship, TUM Entrepreneurship Research Institute. »Wissenschaftler*innen sollten zudem vom Pragmatismus in Gründungsunternehmen lernen, indem sie sich trauen, auch mit unfertigen Prototypen mögliche Zielgruppen und wichtige Stakeholder zu konsultieren. Gemeinsam haben sie auf jeden Fall die Charaktereigenschaften Neugier, Risikobereitschaft und Offenheit gegenüber Neuem – immerhin müssen sich Wissenschaftler*innen auf Forschungsprojekte einlassen, die schlimmstenfalls keine Ergebnisse liefern –, was eine wichtige Voraussetzung für eine Ausgründung ist.«

Das insgesamt dreijährige Forschungsprojekt hat das Ziel, grundlegende relevante, aber oftmals vernachlässigte, psychologische Prozesse in akademischen Ausgründungen zu verstehen. Dazu untersucht das Team, wie Wissenschaftler*innen zu Gründer*innen werden und welche Einflüsse diesen Prozess unterstützen oder hemmen. Gleichzeitig geht es um das Verständnis, wie interdisziplinäre Gründungsteams erfolgreich zusammenarbeiten, Kompromisse finden und gemeinsame Firmenwerte entwickeln. Ein weiteres Ziel ist es herauszufinden, warum manche Lehrstühle mehr Gründungen hervorbringen als andere. »Wir haben in Deutschland ein exzellentes Bildungssystem und Fördermöglichkeiten für Gründer*innen. Dennoch gründen in Deutschland noch immer wenige Menschen oder aber sie geben zu früh auf. Woran liegt das? Am Mindset? Mangelnder Risikobereitschaft? Oder der Angst vor dem Scheitern? Wie können wir Wissenschaftler*innen Mut machen, mehr zu experimentieren? Entsprechend gespannt bin ich auf die Abschlussergebnisse dieser Untersuchung,« sagt Dr. Nina Lemmens, Vorstand der Joachim Herz Stiftung. Anfang 2021 werden die finalen Ergebnisse in Berlin präsentiert.

 

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