KI im Gender-Data-Gap – Mit KI differenzierte Daten schaffen

Neue KI-Tools können helfen, das Gender-Data-Leck zu schrumpfen. Ein Gespräch mit Antonella Lorenz, Geschäftsführerin des Startups Aiuno.


Was bietet die Firma Aiuno im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Medizin?

Ich bin zunächst eine Andockstelle für alle, die sich mit dem Thema geschlechtssensible Medizin beschäftigen. Ich nehme Themen auf, mit denen die Kliniken kommen, aber unterstütze auch Startups und Mittelstand, nicht zuletzt beim Stellen von Fördermittelanträgen. Für eine Förderung braucht man immer eine Firma plus die Wissenschaft. Das ist nicht immer so leicht. 

 

Antonella Lorenz,
Geschäftsführerin
von Aiuno

 

Der Healthcare-Markt ist an sich schon ein eher verschlossener Markt, sehr proprietär und hierarchisch und niemand lässt sich gerne in die Karten schauen.

Unsere aiuno-Lösung bietet einen äußerst eleganten Ansatz für ein enormes Problem im Gesundheitswesen. Dort liegen Millionen von Daten ungenutzt brach – unstrukturiert, verstreut und oft übersehen. Scans, handschriftliche Notizen, Word-Dateien, PDFs. Diese Daten enthalten eine Unmenge medizinisch relevanten Wissens, das im Alltag untergeht und für digitale Prozesse bis dato nicht nutzbar ist. Genau diese Datenräume erschließt unsere Firma aiuno. Mit KI, die versteht, was zwischen den Zeilen steht – auch auf Seite 321 und höher –, wo Ärztinnen und Ärzte niemals lesend ankommen, weil die Zeit dafür fehlt oder die Daten nicht auffindbar sind. Wir machen diese Daten extrem einfach zugänglich, genau dort, wo es zählt: Im Klinik- oder Praxisalltag. Das ist einerseits ein unglaublicher Effizienzgewinn für Kliniken, andererseits aber auch ein wichtiges Werkzeug, um in diesen Daten das aufzuspüren, was für die geschlechtsspezifische Medizin wichtig ist.


Und geschlechtsspezifische Medizin ist ja auch nicht gerade das Rennpferd im Healthcare-Stall?

Im Gegenteil, das liegt ja ganz weit hinten. Noch immer tun viele Menschen geschlechtsspezifische Medizin als »feministischen Quatsch« ab. Dabei geht es ja nur darum, dass Frauen in der medizinischen Forschung aufgrund ihrer hormonellen Zyklen und potenziell möglichen Schwangerschaften unterrepräsentiert sind. Das Wort »Gendermedizin« verbinden viele Menschen fälschlicherweise mit »Geschlechtsumwandlung«. Im Englischen gibt es die Begriffe sex und gender. Dabei bezeichnet »sex« das biologische Geschlecht und »gender« das soziale. In der Gendermedizin geht es tatsächlich um biologische Aspekte. Frauenkörper bauen sich mehrmals im Leben um, bei der Pubertät, der Schwangerschaft und der Menopause.


Gendermedizin ist aber kein reines Frauenthema? 

Nein. Auch Männer profitieren davon, zum Beispiel weil auch Männer an Osteoporose oder an Brustkrebs erkranken können und das zu wenig gesehen wird.

Ein gutes Beispiel ist Covid-19: Obwohl klar nachweisbar war, dass Männer häufiger schwere Verläufe hatten und Frauen im Schnitt stärkere Impfreaktionen zeigten, wurden die Daten nicht systematisch geschlechtersensibel erhoben. Es fehlte an standardisierter Trennung, Analyse und Interpretation nach biologischem Geschlecht – und das bei einer globalen Pandemie im 21. Jahrhundert. Das zeigt sehr deutlich, wie tief der Gender Data Gap strukturell verankert ist. 

Doch der Gender Data Gap geht tiefer: KI-Systeme weisen laut einer Untersuchung der University of Berkeley in 44 Prozent der Fälle Gender-Bias auf, und in 25 Prozent sogar kombinierte Gender- und Racial-Bias. Diese Systeme basieren auf Trainingsdaten, die geschlechtlich unausgewogen sind – etwa bei Chatbots oder medizinischer Bildauswertung. 

Es geht hier eher darum, »blinde Flecken« in der medizinischen Forschung aufzuarbeiten. Auch Jugendliche von der Pubertät bis zum Erwachsenenalter sind unterrepräsentiert. Es gibt zwar spezielle Studien mit Jugendlichen, aber in vielen Untersuchungen – gerade was Medikamente betrifft – werden sie aus ethischen Gründen ausgeschlossen.


Das gilt auch für Frauen, Stichwort Gender Gap. Wir waren in der medizinischen Forschung bis vor wenigen Jahren unbeliebte Probandinnen. Was gibt es da IT-technisch zu ändern oder zu retten?

Der Datenschutz ist ein riesiges Thema, weil Patientendaten ja den höchsten Datenschutz genießen. Letztes Jahr entschied die EU, die Richtlinien etwas zu lockern, damit die wissenschaftlichen Auswertungen einfacher werden.


Aber die »alten« Daten bilden ja noch immer die Grundlage für die aktuelle Situation?

Ja. Das Hauptproblem ist, dass die Daten früher nicht geschlechtsspezifisch erfasst wurden. Und selbst wenn sie erfasst wurden, wurden sie kaum getrennt voneinander ausgewertet. Es gibt in den Datenbanken der Länder Registerbanken mit strukturierten Daten, aber an diese ist schwer heranzukommen. Und selbst wenn man das schafft, sind die Daten häufig »unbalanced«, also meist sind zu wenig weibliche Daten vorhanden.


Wie kommen Sie dann an brauchbare Datensätze?

Unser Ansatz ist folgender: Wir nutzen nicht die strukturierten Datenbanken, sondern die Informationen, die in den Anamnesebögen und Arztbriefen stehen. An diese Daten hat man sich bisher nicht so herangetraut, weil sie so unstrukturiert sind. Sie liegen im PDF-Format oder handschriftlich vor. Da wollen wir dem Arzt helfen, schneller an die Informationen heranzukommen. 

Ein Onkologe beispielsweise erzählte mir, er mache für jeden Patienten einzelne Karten, dafür braucht er zwei bis drei Stunden pro Patient. Unsere KI-Komponente analysiert unstrukturierte Daten und bereitet sie zur Weiterverwendung auf.


Sie digitalisieren also diese Papierberge?

Ja. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen falsche Therapien bekommen oder sogar sterben, weil ihre Daten nicht korrekt weitertransportiert wurden. Irgendwo verschwinden Werte in dem Wust von Papier. Wir wollen an diese Daten in anonymisierter Form herankommen, die die Klinik dann wieder entschlüsseln muss. Dann können die Daten nicht mehr verlorengehen. Da sind wir gerade in der Designphase. 


Wie bekommen Sie alle diese Daten auf eine gemeinsame Plattform?

Da haben wir tatsächlich einige Probleme, aber wir arbeiten daran. Die KIS-Systeme der Verwaltung bieten meist keine offene Schnittstelle an. Gemeinsam mit der IT-Abteilung einer Universitätsmedizin entwickeln wir da eine Struktur. Wir müssen die medizinischen Daten von EKGs, Bildgebung und so weiter mit den Verwaltungsdaten des KIS-Systems und anderen herumschwirrenden Daten als Dokumentation zusammenführen.


Das klingt nach viel Arbeit. Und welches Ziel lockt am Ende?

Das Ziel ist einerseits, aus so einem System elektronische Arztbriefe zu generieren. Darüber hinaus könnte die Dokumentation, die die Ärzte machen sollen und die sehr zeitaufwändig ist, auch über dieses System laufen. Gleichzeitig wollen wir uns auch um die Ist-Werte in der Anamnese kümmern. Das geht nur im Verbund, das kann man nicht isoliert machen. Schon für die Anonymisierung der Daten braucht man eine externe, unabhängige Stelle. 

Deshalb engagiere ich mich auch im Vorstand des G3 – Verein für geschlechtersensible Gesundheitsversorgung. Dort bringen wir Menschen aus IT, Medizin, Forschung und Politik an einen Tisch, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, statt weiter in Einzeldisziplinen zu denken. Außerdem bin ich Initiatorin des Netzwerks #EqualHealthCare. #EqualHealthCare steht für eine gerechte und inklusive Gesundheitsversorgung im digitalen Zeitalter. 

Unsere Vision: Daten und digitale Innovationen sollen den Menschen dienen – damit alle die medizinische Versorgung bekommen, die ihnen wirklich hilft. Wer sich einbringen oder vernetzen möchte, ist herzlich eingeladen!

 


Das Interview führte Valerie Neher

 

Illustration: © Natalia Dobrovolska, GenAI | Dreamstime.com

 

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