Die Digitalisierung und die Vernetzung logistischer Prozesse sind längst keine neuen Themen mehr. Und die Entwicklung geht unaufhörlich weiter: Kognitive Systeme besitzen die Fähigkeit, zu lernen, Muster zu erkennen und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Aufgrund dessen sind sie in der Lage, die Mitarbeiter im Lager bei Entscheidungen zu unterstützen oder sie bereits im Vorfeld auf wahrscheinlich eintretende Ereignisse hinzuweisen. Fähigkeiten, von denen künftig insbesondere die Logistikbranche profitieren kann. Bis der Einsatz selbstlernender Systeme in den Lägern Realität wird, ist es jedoch noch ein langer Weg. Zwar haben viele Unternehmen die Notwendigkeit erkannt, Prozesse und Technologien miteinander zu verbinden, um zukunfts- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Umsetzung geht aber nur schleppend voran.
Die bestellte Ware wird nicht spätestens am nächsten Tag geliefert. Der gewünschte Artikel ist nicht auf Lager. Und die Sendungsverfolgung ist nicht verfügbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde unzufrieden ist, ist in diesen Fällen sehr groß. Im Zuge der Digitalisierung hat sich auch das Konsumentenverhalten gewandelt. Insbesondere im E-Commerce wachsen die Erwartungen: Same Day oder Next Day Delivery, eine hundertprozentige Warenverfügbarkeit und fortlaufende Status-Updates setzen Kunden als selbstverständlich voraus. Und diese Ansprüche beschränken sich längst nicht mehr nur auf den privaten Bereich. Auch im B2B-Bereich fordern Kunden solche Leistungen ein.
Hochperformante IT ist die Basis
Um die kontinuierlich steigenden Anforderungen zu erfüllen, müssen Unternehmen auf die Vernetzung aller Systeme entlang der Supply Chain setzen. Dafür brauchen sie ein leistungsfähiges System, das nicht nur die Vernetzung der einzelnen Teilnehmer, sondern auch deren Steuerung übernimmt. Ein modernes Supply Chain Execution System (SES) stellt als intelligente Steuerungszentrale beispielsweise alle relevanten Daten der gesamten Lieferkette transparent zur Verfügung und verbindet diese miteinander. Nur wenn es gelingt, die unterschiedlichen Daten sichtbar und transparent zu machen, ist eine gesamtheitliche Betrachtung und effizientere Gestaltung der dahinterstehenden originären Prozesse auch tatsächlich möglich. Auf diese Weise entwickelt sich die Wertschöpfungs- und Lieferkette zu einem Wertschöpfungs- und Liefernetzwerk. Schon heute dienen Supply Chain Execution Systems als Werkzeuge zur Produktivitätssteigerung und zur Fehlervermeidung. Damit ist das Potenzial aber noch nicht ausgeschöpft. Vielmehr dient ein SES als Plattform für die nächste Entwicklungsstufe der Logistik: die der Kognition.
Aus Internet of Things wird Logistics of Things
In der Logistikbranche hat analog zum Begriff des Internet of Things die Bezeichnung »Logistics of Things« Einzug gehalten. Früher wurde eine überschaubare Anzahl von Hardwarekomponenten im Lager verwendet. Inzwischen hat eine Fülle von digitalen Gadgets die Lagerhallen erobert. Der Einsatz von Tablets, Smartphones, Scannern, Pick-by-Voice und -Vision und sogar Kommissionieroboter ist heute keine Seltenheit mehr. Mit der steigenden Zahl an Technologien nimmt allerdings auch die Datenmenge zu. Die Herausforderung besteht darin, aus dieser einen effektiven Nutzen zu ziehen. Welche Möglichkeiten gibt es also, aus der Flut von Angaben diejenigen Informationen herauszufiltern, die relevant sind?
Qualität statt Quantität
Bisher basierten Prozessoptimierungen auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit. In der Ära der kognitiven Logistik ändert sich der Blickwinkel. Im Fokus steht die Frage »Was wird passieren und sind wir darauf vorbereitet?«. Die Antwort darauf gibt die vorausschauende Analyse, die aus Big Data Smart Data macht. Nicht mehr die Menge an Daten, sondern deren Qualität ist ausschlaggebend. Anhand der gefilterten, klassifizierten Daten und zusätzlichem externen Material, wie Wetter- oder Verkehrsinformationen, sind Vorhersagen über wahrscheinlich eintretende Situationen möglich. Mit Predictive Analytics erhöht sich die Planungssicherheit, da die Methode wiederkehrende Muster aufdeckt. Das versetzt Unternehmen in die Lage, sich frühzeitig auf wahrscheinliche Szenarien einzustellen. Erkennt das System beispielsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt Trendartikel, ist es sinnvoll, die Produktbelegung im Lager darauf auszurichten und dadurch die Kommissionierung zu beschleunigen. Auch anstehende Wartungen oder Verbesserungspotenziale im Materialfluss lassen sich auf diese Weise identifizieren. Dies stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung kognitiver Logistik dar.
Kognitive Logistik: Trend oder Traum?
Für die Zukunft ist es denkbar, dass intelligente Systeme Entscheidungen auf der Grundlage von Predictive Analytics vollkommen ohne menschliches Eingreifen treffen. Ein ausgereiftes kognitives, sprich lernendes System kann mit dem Menschen in natürlicher Sprache interagieren, wodurch es zu einem smarten »Kollegen« wird. Darüber hinaus ist es in der Lage, mitzudenken, die Mitarbeiter bei Entscheidungen zu unterstützen, vor Lieferengpässen zu warnen sowie Ratschläge zu erteilen. Diese künstliche Intelligenz verleiht dem System die Methode des Deep Learning, bei der künstliche neuronale Netzwerke Maschinen das Denken lehren. Die dafür nötige Rechenleistung stellt eine neue Generation von Computern und Algorithmen bereit. Trotzdem steckt die kognitive Logistik noch in den Kinderschuhen. Viele Unternehmen haben die Phase der Digitalisierung und Vernetzung entweder noch nicht abgeschlossen oder mit der Umsetzung gar nicht erst begonnen. Diese Stufe müssen Unternehmen jedoch zwingend erklimmen, um die Weichen für die kognitive Logistik zu stellen – und somit nicht den Anschluss an die Zukunft zu verlieren.
Jens Heinrich, Chief Technology Officer bei E+P, Boppard
Innovationen in der Voice-Logistik: Das Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft
Mobile Telematik per App – Vernetzte Logistik per Smartphone
Trends in der Transportlogistik: Digitale Plattformen optimieren die Kommunikation
Logistik 4.0 im Lager: Hohe Investitionsbereitschaft bei unklarem wirtschaftlichen Nutzen