Führen in Zeiten der Ungewissheit

Illustration: Geralt Absmeier

Wir leben in einer Welt voller Ungewissheit: politisch, technologisch, wirtschaftlich. Wir erleben ein enormes Auseinanderdriften der Gesellschaften und ein Zunehmen des Rechtspopulismus. In Europa wächst die Angst, bei der Digitalisierung, insbesondere bei der künstlichen Intelligenz (KI) im Wettbewerb mit den USA und China abgehängt zu werden. Die Digitalisierung bringt neue und überraschende Geschäftsmodelle hervor.

 

Als Folge davon erodieren Branchengrenzen, und Algorithmen drohen die Kontrolle über unsere Wirtschaft und Gesellschaft zu übernehmen. Viele repetitive Arbeiten werden in Zukunft durch sogenannte Softwareroboter erledigt. Cyberattacken sind keine Science-Fiction mehr, sondern bittere Realität. Die sozialen Medien kristallisieren sich immer mehr als Brandbeschleuniger für soziale und wirtschaftliche Probleme heraus. Gleichzeitig liegt die Zahl der benötigten Fachkräfte deutlich über den Ausbildungszahlen.

 

Ungewissheit ist der tägliche Begleiter

Topmanager aller Branchen stehen vor einer gigantischen Herausforderung. Und die Frage lautet: Wie kann diese Herausforderung gemeistert werden? Für einen Großteil der Topmanager ist die Ungewissheit ein täglicher Begleiter. Die Datengläubigen unter den Topmanagern wollen die Ungewissheit dadurch beseitigen, dass sie strategisches Denken durch immer komplexere Algorithmen ersetzen – Big Data statt Big Strategy.

Die Flexibilisierungsgläubigen setzen dagegen auf Agilität oder den sogenannten leichten Fußabdruck (»light footprint«): tagesaktuelle Geschmeidigkeit statt echter Committments. Risiken lassen sich zwar berechnen und Unsicherheiten kann man vorhersehen. Aber für die Beseitigung der Ungewissheit gibt es noch keinen Denkansatz. Die Datenapostel werden daran scheitern, dass Ungewissheit doch ungewiss bleibt. Nur agil sein, ist auch keine Lösung. Bei unternehmerischen Entscheidungen geht es auch darum, Ressourcen zu binden. Das schränkt Agilität zwangsläufig ein.

 

Auf die wesentlichen Merkmale guter Strategie besinnen

Fakt ist: Führung und Strategie müssen wieder synchronisiert werden. Führung ohne Strategie ist blind, Strategie ohne Führung ziellos. Manager müssen sich wieder auf die wesentlichen Merkmale guter Strategie besinnen. Gründliche Analysen helfen, auch schwache Signale, die auf neue Zusammenhänge deuten, rechtzeitig zu erkennen. Strategien werden durch Szenarien bestimmt. Je größer die Ungewissheit, desto wichtiger sind persönliche Überzeugungen und die Meinung loyaler Experten und Spezialisten aus dem eigenen Hause. Weil Geschäfte sich schnell ändern, muss Führung visionärer werden. Wichtiger als Branchen-Know-how wird der Blick über den Tellerrand. Und bei Entscheidungen muss zunehmend auch das Bauchgefühl berücksichtigt werden.

 

Werte im Alltag leben

An der Spitze der Unternehmen brauchen wir künftig Menschen, die glaubwürdig sind und durch Verantwortung, Vorbildlichkeit und Pflichterfüllung überzeugen. Vorbild für andere zu sein heißt, mit den Menschen so umzugehen, sie so zu behandeln, dass auch bei berechtigter Kritik nichts Persönliches zurückbleibt. Sie verinnerlichen die Sensibilität für menschliche Empfindungen und Reaktionen. Für sie zählen nicht nur Zahlen und Effizienz, sondern auch das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter. Sie leben im täglichen Alltag (walk the talk) Werte wie Kundenorientierung, Integrität, Exzellenz, Fairness, Bescheidenheit und Sinnvermittlung. Denn je stabiler das Wertesystem ist, desto weniger Compliance braucht es.

 

Integrität und Loyalität sind wichtiger als Talent

Top-Manager müssen sich bewusst sein, dass sie in der aktuellen Zeit voller Ungewissheit, in der sich das Kerngeschäft vieler Unternehmen rasanter verändert denn je, längst nicht mehr alles wissen können. Sie sollten akzeptieren, dass Andere im Unternehmen meist über viel mehr Know-how verfügen und daher offen sein für deren Rat, Meinung, Feedback. Allerdings werden sie sich nur von den Mitarbeitern/Spezialisten Rat einholen, denen sie vertrauen. Integrität und Loyalität werden in diesem Zusammenhang wichtiger als Talent.

Warren Buffet bringt es treffend auf den Punkt: »In looking for people to hire, you look for three qualities: integrity, intelligence and energy. And if they don’t have the first, the other two will kill you.«

 

Charisma entspringt Kompetenz und Empathie

Die nach ethischen Werten handelnden Topmanager treten in guten Zeiten bescheiden auf und sind in schlechten Zeiten mutig. Sie verlassen ausgetretene Pfade und machen sich auf zu neuen Ufern. Sie sind in der Lage, Menschen zu integrieren, die anders sind. Sie können mit intellektueller Einsamkeit umgehen und Ungewissheit aushalten. Sie schaffen Arbeitsplätze mit klaren und konstanten Rahmenbedingungen. Sie reduzieren damit krankmachende Doppelbotschaften (Double Binds) und schaffen Nischen für mehr Individualität und für unangepasste Typen mit Inselbegabung. Ihr Charisma speist sich aus der richtigen Mischung aus Kompetenz und Empathie.

 

Coaching-Ansatz neu definieren

Die Anforderungen an die Führungskräfte der Zukunft sind enorm und der Bedarf an professioneller Hilfe durch gut ausgebildete Coaches wächst vor diesem Hintergrund. Herkömmliche Coaching-Ansätze müssen neu definiert und ausgestaltet werden. Der Erfolg eines Coaches hängt dabei weniger von spezifischen Themen ab, sondern von der Qualität der Arbeit. Die Beratung muss strategischer ausgerichtet sein. Die künftige Rolle eines Coaches wird die eines Impulsgebers sein. Er muss sich vom Umsetzungsbegleiter zum kreativen Sparringspartner entwickeln. Gefragt sind erfahrene Partner mit mehr Tiefe und mehr Interdisziplinarität.

 

Breites Repertoire an psychologischen Methoden gefragt

Der Coach von morgen muss den kognitiven Coaching-Prozess verstehen und über ein breites Repertoire an Interventions-, Analyse- und Fragetechniken verfügen. Neben der mehrjährigen, praktischen Berufserfahrung gehört auch eine mindestens dreijährige Zusatzausbildung in einer der Methoden der humanistischen Psychologie wie etwa Gestalttherapie, Psychodrama, Bioenergetik, Hypnotherapie und Systemischer Therapie als Mindestanforderung zum Kompetenzprofil.

 

Nur wer sich selbst kennt, ist nachhaltig erfolgreich

Die Basis für die Elastizität menschlichen Verhaltens bildet die Self-Awareness, unsere Selbstwahrnehmung. Nur wer sich selbst erkennt, kann sich dem Wandel der Zeit anpassen, ist nachhaltig erfolgreich. Dies hat Abraham Maslow bereits 1943 erkannt: »What is necessary to change a person is to change his awareness of himself.«

Nur durch den Einsatz psychologischer Methoden versetzt der Coach letztendlich die Führungskraft in die Lage:

  • Mitarbeiter zu ihren Problemen zu führen und gemeinsam Lösungen zu suchen
  • die eigene Wahrnehmungsposition immer wieder kritisch zu hinterfragen
  • Wertschätzung und Anerkennung zu zeigen
  • aus Vergangenem zu lernen und auf zukünftige Möglichkeiten zu fokussieren
  • die Gesprächsführung flexibel und lösungsorientiert zu gestalten
  • aktiv zuzuhören
  • das Verhalten und die Situation des Mitarbeiters zu spiegeln
  • das Ziel seines Coaching-Gesprächs mit den Mitarbeitern im Auge zu behalten

 

 

Personalorientiertes Coaching – ein richtungsweisender Ansatz

Mit dem Führungskräfte-Coaching alter Prägung ist es längst nicht mehr getan. Das Wissen um diese Faktoren und deren Einbeziehung in einen völlig neuen Ansatz ist ganz entscheidend für den Erfolg eines zukunftsweisenden Coachings. Ein richtungsweisender Ansatz ist das potenzialorientierte Coaching. Bei diesem geht es darum, Menschen darin zu fördern, verdeckte oder blockierte Möglichkeiten und Fähigkeiten zu nutzen und die Elastizität ihres Handelns zu erweitern. Ziel des potenzialorientierten Coachings ist es somit, die Führungskraft beziehungsweise den Mitarbeiter zu unterstützen und ihm seine individuellen Möglichkeiten bewusster zu machen und sie zu nutzen. Potenzialorientiertes Coaching ist dazu geeignet, Führungskräften und Mitarbeitern zu helfen, sich von früh erworbenen Selbstbehinderungen zu lösen und schicksalhafte Begrenzungen zu akzeptieren. Denn nichts ist hilfreicher, als sich immer mal wieder der Struktur seines Selbst bewusst zu werden.

 

Aber jeglicher Erkenntnisgewinn verpufft, wenn Ziele und Ergebnisse des Coachings in der Praxis nicht konsequent umgesetzt werden. Dies zu gewährleisten, ist auch eine ganz entscheidende Aufgabe eines Coaches von morgen.

Reinhard F. Leiter, Executive Coach bei der SELECTEAM Deutschland GmbH, München

 

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