Digitalisierung im Gesundheitswesen dringend notwendig – 20 Jahre Rückstand in sechs Jahren aufholen

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland leidet unter Arbeitskräftemangel, veralteten IT-Systemen und ist zu teuer. Bei diesem Befund sind sich alle einig, für die Therapie gibt es verschiedene Ansätze. Einer davon ist Standardisierung, vereinfachte Prozesse, Digitalisierung … die große Transformation. Ein Gastbeitrag von Stefanie Kemp, Vorstand der Sana Kliniken AG, Chief Transformation Officer (CTO).

Wir haben uns eine einfache Maxime gegeben: Wir wollen den Menschen keine Lebenszeit wegnehmen. Das bedeutet natürlich einerseits medizinische und pflegerische Exzellenz, so dass die Patienten möglichst schnell gesunden. Das bedeutet auch: Wir wollen niemanden mit Doppeluntersuchungen belasten, niemanden den Aufnahmebogen zum x-ten Mal ausfüllen lassen und auch niemanden lange auf Termine oder Untersuchungen warten lassen.

Das zu gewährleisten verlangt, die Prozesse im Griff zu haben – in den Krankenhäusern (wir bei Sana haben über 40) und genauso in den weiteren Sektoren: In der Prävention, über die ambulante Versorgung beim niedergelassenen Arzt, etwa in unseren über 50 medizinischen Versorgungszentren, bis hin zu einem effizienten Entlassmanagement aus dem Krankenhaus sowie bei der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln. Das spiegelt sich auch in der Strategie von Sana wider – und letztlich in unseren Aktivitäten. Wir sind längst nicht mehr nur ein Klinikkonzern, sondern einer der größten Anbieter ambulanter Versorgung in Deutschland. Und die Palette reicht noch weit darüber hinaus – von Einkauf und Logistik bis zu Managementleistungen für Dritte, um nur einige zu nennen.

Wir müssen die Prozesse auch deshalb optimieren, weil wir effizienter werden müssen. Dafür gibt es zwei einfache Gründe: Deutschland hat eines der teuersten Gesundheitswesen weltweit. Verglichen mit den entwickelten Ländern liefert es aber nur mittelmäßige Ergebnisse. Ein einfaches »Weiter so« werden wir uns nicht mehr leisten können. Gleichzeitig stehen wir aber vor dramatischen demografischen Veränderungen. Das führt zu weniger Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften bei einer gleichzeitig alternden und krankheitsanfälligeren Gesellschaft. Generell werden wir bei heutigen Strukturen und Arbeitsabläufen zu wenig Arbeitskräfte haben. Und das kommt nochmals verschärft in ländlichen Regionen zum Tragen.

Was also tun? Es gibt viele Ansätze

Zwei greife ich heraus. Erstens: Der bürokratische Aufwand muss deutlich reduziert werden. Rund ein Drittel der Arbeitszeit verbringt das medizinische und pflegerische Personal derzeit mit Administrations- und Bürokratietätigkeiten. Zweitens: Es braucht andere Prozesse, die durch digitale Lösungen unterstützt werden. Den Bürokratieabbau haben wir nicht selbst in der Hand, bei der Digitalisierung können wir jedoch viel bewegen. Aber das muss schnell kommen, bis Ende dieses Jahrzehnts, und das sind nur noch sechs Jahre, ansonsten überrollt uns der demografische Wandel. Dabei gilt es, 20 Jahre Rückstand aufzuholen, den die Gesundheitsbranche verglichen mit weiteren Teilen der Industrie zurückliegt. Auch im internationalen Vergleich mit anderen Industrienationen liegt Deutschland hinten.

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz, dem Digital-Gesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz hat der Gesetzgeber hier in den vergangenen Jahren einige grundlegende Weichen richtig gestellt. Ob diese Rahmenbedingungen früher hätten geschaffen werden müssen, bleibt eine müßige Diskussion. Wir sind als Versorger aufgerufen, die Digitalisierung konkret mit Leben zu erfüllen. Von elementarer Bedeutung wird dabei sein, die zentralen Systeme im ambulanten und stationären Bereich in die Cloud zu transferieren.

Die intersektorale Vernetzung, insbesondere zwischen ambulant und stationär, wird durch die Cloud erst ermöglicht. Das wird aber nur funktionieren, wenn wir unsere Kernsysteme, also die Krankenhausinfomations-, die Klinischen Arbeitsplatz- und die Praxiswaltungssysteme, darauf ausrichten. Wir arbeiten intensiv daran, eine neue Plattform zu etablieren, an die wir unterschiedliche Systeme andocken können. Dabei handelt sich unter anderem um bestehende Abrechnungssysteme, Anwendungen für Terminvereinbarungen und fürs Entlassmanagement. Wir wollen eine Software, die State of the Art ist, ohne Altlasten, mit offenen Schnittstellen. Und letztlich geht es bei einem Konzern mit mehr als 40 Krankenhäusern und einer Vielzahl medizinischer Versorgungszentren auch um Skalierbarkeit. Momentan erproben wir die neue Plattform bei drei unserer Krankenhäuser.

Ich werde nicht müde, immer wieder zu betonen: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Deshalb geht es im ersten Schritt nicht um Technik. Es geht darum zu verstehen, wie die Arbeit sinnvoll organisiert wird. Wir schauen uns die Prozesse an. Erst dann erfolgt die Frage nach der dazu passenden Technik. Viel zu lange sind die Prozesse nach der vorhandenen Technik modelliert worden.

Mit moderner Technik und standardisierten Prozessen werden wir auch in der Lage sein, die potentiell aufschlussreichen Daten als Ressource nutzbar zu machen – vor allem in Sinne einer besseren Patienten-Versorgung. Damit dies gelingen kann, braucht es auch eine richtige Architektur und ein Datenökosystem. Die Vision ist: All diejenigen, die Entscheidungen treffen, haben Zugriff auf die Daten in der richtigen Form, zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Qualität.

Dabei haben wir im Blick: Es gibt kaum etwas Sensibleres als Gesundheitsdaten. Diese vor Missbrauch zu schützen ist oberste Maxime. Auch hier kommt der richtigen Architektur eine tragende Rolle zu – auch mit Blick auf den Datenschutz. Wird dieser nämlich von Anfang an mitgedacht und nicht erst am Ende, wird er zum Gestalter.

Meine Vision ist: Alle Akteure eint das Verständnis, der Mensch steht im Mittelpunkt. Alle begreifen Gesundheit als umfassenden Prozess – mit Prävention, Hausärztinnen und – ärzten, Krankenhäusern –, in dem es möglich ist, einfach von Einem zum Nächsten zu wechseln. Die Fesseln für Innovationen sollten fallen – es gibt so viele tolle Ideen und Produkte, um unsere Gesundheit zu stärken, aber leider noch viel zu viele Barrieren. Wir brauchen ein barrierefreies Gesundheitssystem.

 


Illustration: © Healthcare_medicalstock /shutterstock.com

 

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