KI in der Medizin: Mit Ursache und Wirkung rechnen

foto freepik midjourney

Maschinen können mit neuen Verfahren lernen, nicht nur Vorhersagen zu treffen, sondern auch mit kausalen Zusammenhängen umzugehen – Das könnte helfen, Therapien effizienter, sicherer und individueller zu machen, prognostiziert eine internationale Forschungsgruppe – Das Team um LMU-Forscher Stefan Feuerriegel will mit seinen Arbeiten „die Methoden einen Schritt näher an die Praxis bringen“

 

Künstliche Intelligenz macht auch in der Medizin ihren Weg: Bei bildgebenden Verfahren oder dem Berechnen von Krankheitsrisiken sind KI-Verfahren zuhauf in der Entwicklung und Erprobung. Überall da, wo es darum geht, Muster in großen Datenmengen zu erkennen, kann die Maschine, so die Hoffnung, dem Menschen gute Dienste leisten. Sie vergleicht klassischerweise mit gelernten Beispielen, zieht daraus ihre Schlüsse und leitet Vorhersagen ab.

 

Jetzt lotet ein internationales Team um Professor Stefan Feuerriegel (https://www.som.lmu.de/ai/en/institute/contact-page/stefan-feuerrieg el-840c1071.html ) , Leiter des Instituts für AI in Management an der LMU, das Potenzial eines vergleichsweise neuen Zweigs von KI für Diagnostik und Therapie aus. Lassen sich mit sogenanntem Kausalen Maschinellen Lernen (ML) Behandlungsergebnisse abschätzen – besser als mit bisher gängigen Machine-Learning-Verfahren? Ja, heißt es in einer programmatischen Arbeit der Gruppe im angesehenen Fachblatt Nature Medicine, es werde Wirksamkeit und Sicherheit von Behandlungen verbessern können.

 

Insbesondere biete die neue Machine-Learning-Variante „eine Fülle von Möglichkeiten, Behandlungsstrategien zu personalisieren und damit die Gesundheit der Patienten individuell zu verbessern“, schreiben die Forscherinnen und Forscher aus München, Cambridge (Großbritannien) und Boston (USA), zu denen auch Stefan Bauer und Niki Kilbertus, Informatikprofessoren an der Technischen Universität München (TUM) und Arbeitsgruppenleiter bei Helmholtz AI, gehören.

 

Was die maschinelle Assistenz bei Therapieentscheidungen angeht, erwarten die Autoren einen entscheidenden Qualitätssprung. Klassisches Maschinenlernen erkennt Muster und entdeckt Korrelationen, argumentieren sie. Das kausale Prinzip von Ursache und Wirkung aber bleibt den Maschinen in aller Regel verschlossen, die Frage nach dem Warum können sie nicht angehen. Doch viele Fragen, die sich bei Therapieentscheidungen stellen, bergen kausale Probleme. Die Autoren führen dafür das Beispiel Diabetes an: Klassisches ML würde darauf abzielen vorherzusagen, wie wahrscheinlich eine Erkrankung ist, wenn der Patient eine Reihe von Risikofaktoren mitbringt. Mit Kausalem ML könnte man im Idealfall beantworten, wie sich das Risiko verändert, wenn der Patient ein Anti-Diabetes-Mittel bekommt, eine Ursache (Medikamentengabe) also eine Wirkung hat. Es wäre auch möglich abzuschätzen, ob ein anderer Behandlungsplan besser wäre als etwa das häufig verabreichte Medikament Metformin.

 

Doch um etwa den Effekt einer – hypothetischen – Behandlung abschätzen zu können, „müssen die KI-Modelle lernen, Fragen nach dem Muster ,Was wäre, wenn‘ zu beantworten“, sagt Jonas Schweisthal, Doktorand in Feuerriegels Team. „Wir geben der Maschine Regeln dafür mit, die kausale Struktur zu erkennen und das Problem richtig zu formalisieren“, sagt Feuerriegel. Sie müsse lernen, die Auswirkungen von Eingriffen zu erkennen und gleichsam zu verstehen, wie sich Folgen in der Realität in dem Datenfutter der Rechner widerspiegeln.

 

„Die Software, die wir für kausale ML-Methoden in der Medizin brauchen, gibt es nicht out of the box“, dafür sei eine „komplexe Modellierung“ der jeweiligen Problemstellung nötig, „bei der KI-Experten und Mediziner eng zusammenarbeiten“, sagt Feuerriegel, der wie seine TUM-Kollegen Stefan Bauer und Niki Kilbertus auch im Munich Center for Machine Learning (MCML) und der Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI unter anderem zu Fragen von KI in der Medizin und „Decision Making“ forscht. In anderen Anwendungsgebieten, etwa dem Marketing, sagt Feuerriegel, sei das Arbeiten mit Kausalem ML schon seit ein paar Jahren in der Erprobungsphase. „Unser Ziel ist es, die Methoden auch einen Schritt näher an die Praxis zu bringen. Das Paper beschreibt die Richtung, in die es in den kommenden Jahren gehen könnte.“

 

Publikation
Stefan Feuerriegel, Dennis Frauen, Valentyn Melnychuk, Jonas Schweisthal, Konstantin Hess, Alicia Curth, Stefan Bauer, Niki Kilbertus, Isaac S. Kohane und Mihaela van der Schaar: Causal machine learning for predicting treatment outcomes. Nature Medicine, 2024

 

439 Artikel zu „KI Arzt“

So können Unternehmen generative KI mit gutem Gewissen einsetzen

Generative KI bietet enorme Möglichkeiten, kommt aber nicht ohne Risiken ins Haus. Bei einem unbedarften Einsatz drohen Datenschutzverstöße und der Verlust von geistigem Eigentum. Experten zeigen auf, wie Unternehmen ChatGPT und Co. in vier Schritten unter Kontrolle bekommen.   Im Handumdrehen Content erstellen, Tabellenkalkulationen erzeugen und sogar Programmcode schreiben: Generative KI bietet immense Möglichkeiten beim…

Fünf zentrale KI-Trends für 2024

Die Landschaft der künstlichen Intelligenz (KI) entwickelt sich weiterhin in einem beispiellosen Tempo weiter und verändert Industrien, Gesellschaften und die Struktur des täglichen Lebens. Das Jahr 2024 verspricht nach Meinung von Pure Storage ein entscheidender Moment auf dem Weg zur KI zu werden, geprägt von transformativen Fortschritten, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen werden. Jeder dieser…

KI-Hardware, Cloud, IoT & Co: Sechs IT-Trends des Jahres 2024

Der Megatrend des Jahres 2023 wird sich 2024 immer öfter und konkreter auswirken – KI bleibt damit auch in diesem Jahr prägend. Doch auch jenseits davon wird es mit Änderungen bei der Cloud-Nutzung und dem Zuwachs von Szenarien rund um das Internet der Dinge (IoT) prägende technische Entwicklungen geben.   Da Technologie immer nur Mittel…

Doktor KI – wie kann künstliche Intelligenz in der Medizin wirken?

ChatGPT hat einen wahren KI-Hype ausgelöst. Unternehmen aller Branchen suchen inzwischen nach Möglichkeiten, künstliche Intelligenz einzusetzen, um Prozesse effizienter zu gestalten, Mitarbeiter zu entlasten oder neue Angebote für Kunden zu schaffen. Auch im Gesundheitswesen kann KI einen deutlichen Mehrwert bringen und dazu beitragen, dass wir uns ganz auf die Patienten konzentrieren können. Wie genau, erklärt…

Jobkiller KI? Berufsbilder werden sich wandeln

Gute KI, schlechte KI – die Verunsicherung über die Auswirkungen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz auf unsere Jobs und den Arbeitsmarkt, egal in welcher Branche, ist groß. Doch wie berechtigt ist die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz wirklich? Die aktuelle Studie der IAO (Internationale Arbeitsorganisation der UN) hat die potenziellen Auswirkungen von KI auf…

Wie wird KI das Denken der Menschen verändern?

Künstliche Intelligenz (KI) ist eine der wichtigsten technologischen Entwicklungen unserer Zeit. Sie hat das Potenzial, viele Bereiche unseres Lebens zu verbessern, von der Medizin über die Bildung bis hin zur Unterhaltung. Aber wie wird KI das Denken der Menschen verändern? Wird sie uns klüger, kreativer oder ethischer machen? Oder wird sie uns abhängiger, passiver oder…

Liebe KI: Wo siehst Du dich in fünf Jahren?

Energiesparen in der Produktion, automatisierte Investitionen bei Banken, schnellere Antragsbearbeitung durch Behörden: Welche Rolle wird künstliche Intelligenz künftig in verschiedenen Branchen spielen? Auch wenn man momentan einen anderen Eindruck bekommt: Die Zukunft der künstlichen Intelligenz gehört nicht nur ChatGPT. Es wird sich noch zeigen, in welchen Bereichen und Anwendungsszenarien das derzeit gehypte System bei Unternehmen…

Gesundheit ganzheitlich überwachen: Monitoring als Assistenzarzt

  Das Gesundheitswesen ist für einen großen Anteil der weltweit erhobenen Daten verantwortlich, und die Zahlen steigen weiter an. Monitoring, bis der Arzt kommt – das ist bei der Erhebung von Gesundheitsdaten wortwörtlich zu nehmen. Denn verschlechtern sich die Werte von Patienten drastisch oder treten andere Komplikationen auf, können Geräte des Internet of Medical Things…

Mit KI gegensteuern: Durch Innovation die Krisen bewältigen

Wie Unternehmen mit künstlicher Intelligenz gegensteuern können.   Auch 2023 stehen die Unternehmen vor vielen Herausforderungen. Zahlreiche Krisen und Preistreiber beeinflussen die Wirtschaft derzeit negativ. Neben den anhaltenden Problemen mit der Lieferkette, die nach einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags die Unternehmen zu 88 % mit höheren Einkaufspreisen, zu 73 % mit längeren Wartezeiten,…

Studie bestätigt: Künstliche Intelligenz (KI) ist ein wesentlicher Treiber der Energiewende

KI birgt ein enormes Potenzial als Treiber und Unterstützer der globalen Energiewende. KI kann in zahlreichen Anwendungen als intelligente Schicht dienen, damit Muster erkannt, die Systemleistung verbessert sowie die Ergebnisse komplexer Situationen vorhergesehen werden können. Energie- und Technologieexperten zufolge gibt es jedoch einige bedeutende Hindernisse, die einer raschen globalen Akzeptanz von KI im Wege stehen.…

Berufe: Ärzte am meisten angesehen, Social-Media-Influencer am wenigsten

Eine neue internationale YouGov-Studie in 16 Märkten zeigt die am meisten und am wenigsten angesehenen Berufe weltweit [1]. Was wird aus meinem Kind einmal werden? 84 Prozent der Deutschen geben an, damit einverstanden zu sein, wenn eines ihrer Kinder den Beruf des Arztes ausüben würde. Damit ist der Arzt-Beruf im internationalen Vergleich in Deutschland am…

Trends im Business Messaging: Kommunikationshub, KI und smarte Devices

Die Zukunft der mobilen Kommunikation. Mailen Sie noch oder chatten Sie schon? Messenger-Dienste sind aus der privaten Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Auch im beruflichen Bereich gewinnen sie zunehmend an Relevanz. Dabei ist das Thema gar nicht so neu, wie man vermuten mag. Bereits 2001 nennt Gartner den Begriff »Enterprise Instant-Messaging« erstmals in seinem Hype Cycle.…

Hybride Automatisierungstechnologien erfordern neue Skillsets

Die Zunahme der Rechenleistung, die Explosion der verfügbaren Datenquellen und die Senkung der Kosten für Software-Tools haben der Einführung neuer, innovativer Technologien zur Automatisierung von Geschäftsprozessen einen unglaublichen Schub verpasst. Seitdem Robotic Process Automation (RPA) 2017 die Automatisierungsbühne betreten hat, nimmt die Automatisierungswelle immer mehr Fahrt auf. War gestern noch RPA in aller Munde, geht…

RPA, KI, iBPMS, DCM und digitale Prozessautomatisierung – Die strategische Werkzeugbank

Geschäfts- und IT-Abläufe durch intelligente Geschäfts­prozess­automatisierung perfekt aufeinander abstimmen, ohne Programmier­aufwand. Wie das funktioniert erklärt Dirk Pohla, Managing Director Deutschland, Österreich & Schweiz, Appian Software Germany GmbH im Interview. Die Covid-19-Pandemie hält die Welt weiterhin in Atem und stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Was ist für Sie die wichtigste Lektion, die Unternehmen im Rahmen…

Smarte Helfer im Geschäftsalltag: KI-Gehirn für die Automatisierungs-Zombies

Anwendungen für die Automatisierung von geschäftlichen Vorgängen und Abläufen sind für Unternehmen von unschätzbarem Wert, weil sie Mitarbeiter entlasten. Doch vieles, was als »Smart Robot« bezeichnet wird, schöpft das Potenzial nicht aus – und ist eher ein Automatisierungs-Zombie. Wie können Unternehmen diese intelligenter und damit zu innovativen Helfern im Business-Alltag machen?   Mit automatisierten Abläufen…