Die Hersteller von modernen Automobilen müssen die IT-Sicherheit ganzheitlich angehen und alle Security-Maßnahmen für sämtliche Bereiche des digitalen Fahrzeugs und des Backends umsetzen und diese verknüpfen.
Zum sensiblen Thema der IT-Sicherheit vernetzter Fahrzeuge ein Interview mit René Bader, Lead Consultant Secure Business Applications EMEA bei NTT Ltd.’s Security Division.
Vernetzte Fahrzeuge werden mehr und mehr zum Spielball von Cyberkriminellen. Warum sind sie so interessant für Hacker?
Das Auto ist längst zum fahrenden Computer geworden – und genauso wie ein Computer lässt es sich hacken, kann Opfer von Viren, Trojanern und Spam werden. Die Ziele der Hacker reichen vom Sammeln von Daten wie der Fahrzeugposition und Bewegungsprofilen über die Manipulation von Fahrerassistenzsystemen bis hin zu Lösegeldforderungen, wenn ganze Flotten lahmgelegt werden. Ein modernes Fahrzeug verfügt schon heute über rund 130 Millionen Zeilen Programmiercode und während früher die Karosserie die natürliche Grenze des Traffics war, kommunizieren Autos heute immer stärker mit der Außenwelt. Mit den Rechenzentren von Automobilherstellern und Zulieferern werden beispielsweise Verkehrs- und Zustandsdaten ausgetauscht oder Software-Updates sowie vernetzte Dienste bezogen. Kern eines modernen Fahrzeugs ist sein Bordnetz, an dem alle elektronischen Komponenten und mehr als 100 Steuergeräte hängen. Dabei kann jede einzelne Schnittstelle – ob nun physikalisch wie OBD-Port, CD-Laufwerk oder USB, via Funk, also WLAN, Bluetooth und Mobilfunk, oder über Software wie Apps, Firmware und Updates – zum Einfallstor für Angreifer werden.
Wie oft werden vernetzte Fahrzeuge inzwischen angegriffen, was ist der Stand der Dinge?
Upstream Security, ein israelischer Spezialist für Cyber-Security, hat allein 2019 über 100 gelungene Hackerangriffe im Automobilbereich gezählt. Für seinen Report hat das Unternehmen untersucht, wie die Hacker dabei vorgehen. Für den Untersuchungszeitraum von 2010 bis 2018 zeigt sich, dass gut 21 Prozent der Angriffe im Serverumfeld erfolgt sind. Im Backend der Autohersteller liegt die Datenbasis für Apps und Services, die im Fahrzeug zur Verfügung gestellt werden. Zudem wird dort die digitale Identität des Fahrzeugs – bestehend aus der Fahrzeug-Identifikationsnummer, den IDs aller Bauteile, Zertifikaten und Informationen zu den Softwareversionen – gespeichert. Im Upstream-Ranking der Angriffsziele folgen auf Platz zwei mit fast 19 Prozent Keyless-Systeme und auf Platz drei OBD-Ports mit über zehn Prozent. Der Rest verteilt sich unter anderem auf Apps, Infotainment-Systeme, USB, Bluetooth oder Kommunikationsnetze. Die Angriffe auf die Backend-Infrastruktur werden weiter zunehmen, immerhin können Hacker auf ihre Erfahrungen bei klassischen IT-Infrastrukturen zurückgreifen.
Wie können sich die Automobilhersteller gegen Cyberangriffe wehren?
Automobilkonzerne müssen das Thema IT-Sicherheit ganzheitlich angehen und alle Security-Maßnahmen für alle Bereiche des digitalen Fahrzeugs umsetzen und diese verknüpfen. Das umfasst das Fahrzeug selbst, dessen Funkverbindungen und das Backend im Rechenzentrum bis hin zu den Zulieferern. Ganzheitlich bedeutet auch, dass jede Datenübertragung im, vom und zum Fahrzeug überwacht wird. Entdeckt ein System im Bordnetz eine Nachricht, die von der Norm abweicht, und treten gleichzeitig im Backbone Anomalien auf, müssen die Alarmglocken läuten. Um solche Bezüge herzustellen, sind Big-Data-Analysetools notwendig. Zudem muss das Thema Sicherheit für vernetzte Fahrzeuge den gesamten Produktlebenszyklus abdecken – also auch Gebrauchtwagen, den Umbau von Teilen sowie die Verschrottung.
Spielt das Thema »Security by Design« eine Rolle?
»Security by Design« muss Grundsatz in der Fahrzeugentwicklung sein, das bezieht auch alle Hardware- und Softwarelieferanten, mit denen Daten ausgetauscht werden, ein. Bislang fehlten klare Vorgaben für die Sicherheit von Fahrzeugen, mit der ISO/SAE 21434 »Road vehicles – Cybersecurity engineering« wird allerdings gerade ein neuer Standard entwickelt, dessen Veröffentlichung für November 2020 geplant ist. Die Normung steht in Zusammenhang mit einer derzeit erarbeiteten EU-Regelung, die eine Zertifizierung für Cyber-Security-Management-Systeme, kurz CSMS, als verpflichtend für die Typzulassung von Fahrzeugen vorsieht. Das CSMS soll sicherstellen, dass Cyber-Security bereits in der Fahrzeugentwicklung berücksichtigt wird. Die massive Generierung von Daten im Fahrzeug betrifft natürlich auch das Thema Datenschutz. Der Gesetzgeber ist hier relativ restriktiv: Alles, was im Auto an Daten generiert wird, gehört dem Fahrzeugbesitzer, weil es sich normalerweise um personenbezogene Daten handelt. Entsprechend braucht es klare Regelungen, wie die Hersteller und die Zulieferer damit umgehen dürfen. Gerade die Zuliefererindustrie will direkten Zugriff haben, um etwa Predictive-Maintenance-Maßnahmen durchzuführen.
Warum ist in der Konsequenz ein SOC sinnvoll? Und wohin geht der Weg?
Ein großer Bestandteil der neuen ISO-Zertifizierung ist, dass die Automobilhersteller ein CSMS einführen müssen. Das heißt, sie müssen erkennen, an welchen Stellen Angriffe erfolgen, und müssen darauf mit entsprechenden Incident- und Response-Aktivitäten reagieren. Das heißt, sie müssen Sicherheit in den Fahrzeugen einführen, sie müssen Managementprozesse etablieren und auch für die angeschlossenen Systeme und Anwendungen müssen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Mit einem Security Operations Center, kurz SOC, steht eine zentrale Stelle bereit, in der alle sicherheitskritischen Vorfälle erkannt und koordiniert bearbeitet werden. Relevante Daten aus dem Fahrzeugumfeld – wie Informationen von Sensoren und Bauteilen, aber auch der angeschlossenen Backend-Systeme der Fahrzeughersteller – werden zentral gesammelt und mittels Threat Intelligence um Daten angereichert. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Angriffserkennung, potenzielle Cyberattacken werden direkt im Fahrzeug ausgemacht und an das SOC anonymisiert übermittelt. Machine Learning und vordefinierte Szenarien helfen, Anomalien zu erkennen und konkrete Handlungsempfehlungen auszusprechen. In puncto Incident- und Response-Prozesse muss künftig geklärt werden, wer welche Prozesse durchführen darf. Also wer kappt bei einem Angriff die Internetverbindung, wer setzt das Fahrzeug in seinen ursprünglichen Ausbauzustand zurück, wer kümmert sich um das Patchen. Stand heute dürfen beispielsweise Service Provider nicht auf das Fahrzeug zugreifen. Zudem kann ich aus technischer Sicht die Flut an Daten, die heute generiert wird, gar nicht übertragen und beispielsweise in der Cloud-Umgebung auswerten. Ich brauche also im Fahrzeug direkt entsprechende Komponenten, die dann relevante Ereignisse zur weiteren Analyse in ein SOC liefern.
Illustration: © kaptn /shutterstock.com
271 Artikel zu „vernetzte Fahrzeuge“
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