Im Zeitalter der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz vergisst man manchmal, dass ERP-Systeme immer noch eine zentrale Bedeutung haben und ohne sie nichts läuft. Umso wichtiger ist es, sich über die aktuellen Möglichkeiten dieser Programme zu informieren. Marco Volk, Head of Marketing International beim Karlsruher ERP-Anbieter Industrial Application Software GmbH (IAS), weiß Bescheid.
Herr Volk, digitale Transformation und künstliche Intelligenz sind zurzeit bestimmende Themen der IT. Hat das Einfluss auf die IAS-Software?
Nein, eigentlich nicht. Ein ERP-System soll immer die Unternehmenslogik abbilden. In ihm sollen alle unternehmensrelevanten Informationen gesammelt und verarbeitet werden, um einerseits dem Management eine Basis für alternative und optimale Entscheidungen zu bieten. Andererseits dienen die gesammelten Daten der optimalen Produktionsplanung und -steuerung. Das Erfassen, Analysieren und Aufbereiten der Daten erfolgt heute wegen der immensen Datenflut immer öfter in der Cloud, die ERP-Software nutzt dann die Ergebnisse für eine optimale Unternehmenssteuerung. KI-Technologien werden dabei immer wichtiger, weil sie etwa durch intelligente Funktionalitäten proaktive Planungen ermöglichen oder aktuelle Produktionsreihenfolgen ermitteln.
Haben Sie bereits KI-Technologien in ihr ERP-System integriert?
Unsere Schwerpunkte liegen momentan auf dem Machine learning, neuronalen Netzen und künstlicher Intelligenz. Als Basis zur künftigen Nutzung von Algorithmen – also KI – haben wir eine spezielle Datenbank für unser ERP-System caniasERP entwickelt, die durch In-Memory-Computing äußerst schnelle Prozesse zulässt. Damit lässt sich etwa die vorausschauende Wartung von Anlagen realisieren: Anhand von Vergangenheitswerten wird ermittelt, in welchem Zustand sich die Maschine gerade befindet. Algorithmen ermitteln den nächsten Wartungstermin, sodass sich ungeplante Standzeiten vermeiden lassen. Außerdem setzen wir Entwickler ein, die sich ausschließlich mit KI befassen, um rasch einwandfrei funktionierende Lösungen zu bieten. Darum suchen wir auch ständig nach passenden Mitarbeitern, vom klassischen Informatiker bis zum Mathematiker und Statistiker.
Gibt es schon Neuheiten für die Praxis?
In der Tat. Es gibt jetzt von IAS einen auf ARM-Prozessoren basierenden Mini-Server, der direkt an Maschinen oder Anlagen installiert wird. Er ist mit verschiedenen Sensoren bestückt und lässt sich direkt an ERP-Module wie Produktionsplanung oder Materialwirtschaft andocken. Man kann ihn auch mit unserem Modul »Maintenance« verknüpfen, das die Maschinenwartung zu festgelegten Zeiten oder als geplante Produktionszyklen abbildet. Künftig wird dies auch predictive auf Basis der gesammelten Maschinendaten möglich sein.
Durch die Potenzierung der Datenmengen infolge Digitalisierung und KI kommt der Cloud immer größere Bedeutung zu. Spüren Sie das auch?
Bei uns gibt es eigentlich keine Nachfragen nach Cloud-Lösungen. Da spielt zum einen immer noch der vermeintliche Sicherheitsaspekt eine Rolle. Zum anderen sind die Infrastrukturen hierzulande nach wie vor vielerorts gar nicht leistungsfähig genug, um reibungslose Cloud-ERP-Prozesse zu gewährleisten, insbesondere in infrastrukturarmen, eher ländlichen Umgebungen. Aber wenn überhaupt, raten wir unseren Kunden sowieso zum Betrieb einer Private Cloud, da sich individuelle, firmenspezifische Prozesse in einer Public-Cloud-ERP-Lösung, die ja für sehr viele Unternehmen passen soll, ohnehin nicht abbilden lassen. Sobald ein Kunde an nur einer Stelle individuelle Anpassungen vornehmen möchte, ist ausschließlich der Eigenbetrieb des ERP-Systems in einer On-Premises- oder Private-Cloud-Umgebung sinnvoll.
Insbesondere mittelständische Unternehmen besitzen solche individuellen Prozesse. Einfach ein Standard-ERP-System über diese kundenspezifischen Prozesse zu stülpen, wäre aus unserer Sicht der falsche Weg. Wir wollen den Kunden stets die Möglichkeit geben, das ERP-System ohne große Schwierigkeiten dynamisch und flexibel an die eigenen Abläufe anpassen zu können. Wir erleben tagtäglich, wie sich Märkte und Anforderungen ändern. Hier sind Agilität und Flexibilität gefragt und die bieten wir.
Wie funktioniert das?
Neben einem breiten Spektrum an Standardmodulen ermöglichen wir den Anwendern, Prozesse individuell anzupassen, ohne beim nächsten Release-Wechsel nochmals alles neu entwickeln zu müssen. Das funktioniert mit unterschiedlichen Softwareschichten. Es gibt eine Standardschicht, in der wir unsere eigenen Entwicklungen vornehmen und in der die Kunden nichts ändern können und dürfen. In einer weiteren Schicht können sie aber mit relativ wenigen IT-Kenntnissen eigene Programmierungen durchführen. Die Entwicklungsumgebung mit unserer eigenen Programmiersprache TROIA ist leicht zu lernen und führt rasch zu ersten Ergebnissen. Anschließend kopiert man die Funktionen aus der Standardschicht hierher und gibt sie für die Veränderungen frei.
Und wie entwickeln Sie Ihre ERP-Funktionen weiter?
Wir stehen mit den meisten Kunden in enger Verbindung und erfahren, wie sie caniasERP einsetzen und anpassen. Brauchbare und zweckmäßige Funktionen übernehmen wir in den Standard. Offene Schnittstellen sorgen dann dafür, dass die Kunden rasch auf die neu entwickelten Funktionen umsteigen können. Außerdem erhält jeder Kunde die gesamte Datenstruktur und den Quellcode des ERP-Systems, sodass er in der Lage ist, eigenständige Anpassungen vorzunehmen, mit TROIA ist das wirklich kein großes Problem.
Binden Sie auch externe Programme wie zum Beispiel CRM- oder DMS-Systeme an?
Vielen Kunden reichen unsere Standardfunktionalitäten aus. Aber natürlich gibt es welche, die etwa CRM-Systeme wie Salesforce anbinden, wobei sie selbst die Integrationstiefe der Drittsysteme bestimmen. Das funktioniert vom On-Premises-ERP ins Cloud-CRM und umgekehrt. Wird etwa im Cloud-CRM ein neuer Auftrag hinterlegt, kommen die Informationen automatisch in die Materialwirtschaft, den Einkauf oder die Produktionsplanung. Für die Einrichtung hybrider Systeme sind also alle Möglichkeiten gegeben.
Für welche Branchen eignet sich Ihre Software besonders?
caniasERP ist branchenunabhängig. Letztlich gestalten sich viele Arbeitsschritte ähnlich und es spielt beispielsweise keine Rolle, ob Stoffbahnen in der Textilindustrie oder Stahlcoils in der Stahlbranche aufgerollt werden. Auch Qualitätsmerkmale und Rückverfolgbarkeit müssen fast überall gewährleistet sein. Und die Flexibilität und Offenheit unseres Systems ermöglicht ja auf komfortable Weise eine Individualisierung. Unser Fokus richtet sich allerdings vor allem auf Industriekunden.
Wie modern oder aktuell sind die ERP-Systeme in den deutschen Unternehmen? Ist der Markt nicht schon gesättigt?
Nein. Es gibt tatsächlich noch Firmen, die betriebswirtschaftliche Prozesse mit Excel-Dateien organisieren. Andere nutzen Legacy-Systeme, die schon jetzt oder demnächst nicht mehr vom Hersteller unterstützt werden oder bei denen sich ein Versionswechsel nicht lohnt, weil der Aufwand einer Neuimplementierung gleichkäme. Unsere Bestandskunden sind in der Regel in Sachen ERP gut aufgestellt, da sie selbst unser System komplett anpassen oder sogar neugestalten und zahlreiche Funktionen integrieren können. Bei Firmenübernahmen bietet sich caniasERP mit einer speziellen Beratung und entsprechenden Migrationstools zudem als Konsolidierungsplattform an.
Gesättigt ist der ERP-Markt noch lange nicht. Allerdings werden die Anforderungen immer komplexer. ERP-Standards sollen heute erheblich mehr Prozesse abdecken, als vor zehn Jahren. Nicht alle Funktionen gehören jedoch unbedingt in ein ERP-System, da es oft hoch spezialisierte Subsysteme gibt, die sich einfach andocken lassen. International gibt es aktuell viele Anfragen aus Asien. Ein Grund für uns, vor kurzem einen Standort in Südkorea zu eröffnen. Aber auch Südamerika und der arabische Raum treten stärker in Erscheinung.
Es gibt ERP-Systeme, die national sowie international stark vertreten sind, etwa SAP. Wie setzen Sie sich gegen diese starke Konkurrenz durch?
Wenn wir zur Präsentation eingeladen werden, ist SAP meist schon aus dem Rennen, weil deren Prozesse zu starr, zu unflexibel sind. Und viel Customizing kann bei ERP-Projekten schnell für längere Implementierungszeiten und erheblich höhere Kosten sorgen. Häufig treffen wir auf Abas oder Asseco als Mitbewerber und hin und wieder auf Microsoft Dynamics AX oder NAV. Letztere wandern aber künftig komplett in die Cloud, sodass sie bei Unternehmen mit starkem On-Premises-Bezug direkt durchs Raster fallen.
Heute finden vor allem individuell gestaltbare ERP-Programme Beachtung. Ihre Flexibilität behindert keine bestehenden Prozesse und sie können eher mit steigenden Ansprüchen mitwachsen und neue Anforderungen integrieren. Zudem ermöglichen sie, sich durch stärkere Individualität von Mitbewerbern zu unterscheiden. Und da ist caniasERP nun einmal erste Wahl.
Worauf sollte man bei einer ERP-Einführung besonders achten?
ERP-Einführungen sollte man stets höchst strukturiert durchführen und ausreichend Zeit einplanen. Bereits im Vorfeld sollte man sich mit dem einzuführenden System intensiv beschäftigen und vor dem Produktivstart umfangreiche Testszenarien durchführen. Vor allem muss man bei der Einführung die Mitarbeiter mitnehmen, denn die müssen später mit dem System arbeiten. Die Geschäftsleitung muss ausdrücklich und klar hinter dem Projekt stehen und ihren Mitarbeitern vermitteln, welche Ziele man mit dem neuen System erreichen will.
Auch wenn traditionelle Prozesse nicht immer von vorne herein schlecht sind, sollte man eine ERP-Einführung als Chance sehen, diese Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und etwas Neues auszuprobieren. Das bedeutet nicht, sich der neuen Software anzupassen, sondern vielmehr eine Analyse und eventuelle Neustrukturierung und vor allem Optimierung der eigenen Abläufe. So kann eine ERP-Neueinführung eine echte Erfolgsgeschichte werden.
Herr Volk, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Volker Vorburg
Bilder: © IAS
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