Faktor Mensch – Speed-Dating im Sourcing

Meist geben bei Sourcing-Entscheidungen technische und monetäre Komponenten den Ausschlag. Dennoch sollte der menschliche, subjektive Aspekt beim Sourcing nicht unterschätzt werden.

In der Vorbereitung von Sourcing-Entscheidungen für einen Dienstleister oder ein Produkt wird in der Regel jede Anstrengung unternommen, um die Entscheidungsfindung zu rationalisieren, etwa mit detaillierten Lastenheften, Nutzwertanalysen, Business Cases sowie Punktwert-Matrizen, in denen viele wichtige Punkte bewertet und gewichtet werden. Dies ist richtig, wichtig und führt zu rationalen Entscheidungen, sei es durch Preissieger, Qualitätssieger oder Preis-Leistungs-Sieger. Oftmals werden durch die Vorgehensweise auch bewusst subjektive Kriterien objektiviert, indem nicht eine Einzelstimme über Vertrag oder Ausscheiden den Ausschlag gibt, sondern sich auch die bewusst nicht auf stereotype Antworten standardisierbaren Fragestellungen über mehrere Entscheidungsträger ausbreiten und beantwortet werden müssen.

Bauchgefühl. Außer Acht gelassen werden sollte auf keinen Fall, dass sich das Sourcing-Geschäft auch heutzutage noch auf menschliche Beziehungen stützt. Die handelnden Menschen auf beiden Seiten müssen »miteinander können«. Sie verbringen oft viele Stunden miteinander und sind deshalb direkt am Erfolg beziehungsweise Misserfolg eines Sourcing-Projekts beteiligt. Dies ist insbesondere im »traditionellen« Sourcing der Fall – also nicht für das Bestellen eines Cloud Service über ein Online-Portal, bei dem der eine Chatbot genauso sympathisch sein dürfte wie der andere, so sie denn für den eigenen Kulturkreis programmiert und angepasst worden sind (der Misserfolg von Karl Klammer lässt grüßen). Die Frage ist deshalb nicht, ob das Bauchgefühl für die Sourcing-Entscheidung eine Rolle spielen sollte, sondern wie und wann dies geschehen sollte. Unbestritten – die endgültige Entscheidung sollte immer auf harten Fakten wie Preis und Qualität fußen. Aber diese Entscheidung kann durchaus aus einer mit einer Mischung von Kopf und Bauch ausgewählten Grundgesamtheit (vulgo Longlist) erfolgen. 

Partnerschaft. Ein Mittel zum Zusammenstellen der Longlist ist die Verwendung einer Methodik, die sonst für das Knüpfen von sozialen Kontakten verwendet wird: das Speed-Dating. Was für heiratswillige Singles in Großstädten Mittel der Wahl ist, funktioniert auch im Sourcing-Geschäft erstaunlich gut: Auch im Sourcing soll eine Partnerschaft eingegangen werden. Sei es für ein langes Geschäftsleben oder auch nur für einen bestimmten Zeitraum. Dieses Speed-Dating kann relativ zeitsparend im Rahmen einer Sourcing-Konferenz durchgeführt werden, auf der die potenziellen Partner zunächst über das eigene Sourcing-Vorhaben informiert werden und danach zu kurzen Einzelgesprächen, gegebenenfalls auch in parallelen Terminen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Teilnehmern, gebeten werden. Diese müssen je Gespräch nicht länger als 15 Minuten dauern, denn hier geht es bewusst um das Bauchgefühl und das sympathische Kennenlernen – und nicht zuletzt um eine eigene, subjektive Reihenfolge, mit welchem der Anbieter man sich vorstellen könnte, später zusammenzuarbeiten. Dies spielt insbesondere für diejenigen Anbieter eine Rolle, zu denen man bisher weder eine Geschäftsbeziehung hatte noch irgendwelchen anderen Kontakt über ein, zwei Telefonate vorab. 

Ratio. Bei so viel Emotio benötigt es aber in der Vorbereitung doch an Ratio: Alle verfügbaren Anbieter am Markt können schwerlich an einem Tag angeschaut werden. Insofern ist eine sorgfältige Vorauswahl notwendig, die sich auf eigene Erfahrungen, Marktanalysen und Empfehlungen aus dem Netzwerk oder von Beratern stützen kann. Während die Top-Anbieter je Service bekannt sein sollten, gibt es wie in jedem Umfeld auch versteckte Diamanten, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Dazu soll das Speed-Dating insbesondere eine Chance geben. Je nach zur Verfügung stehender Zeit könnten so zu der Sourcing-Konferenz zwischen 10 und 25 Dienstleister eingeladen werden, damit sich beide Parteien beschnuppern können. Die Ergebnisse solcher Konferenzen sprechen für sich. Es kommt nicht vor, dass alle eingeladenen Anbieter gleichsam einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Entweder passen die handelnden Protagonisten nicht zueinander, nicht zum Unternehmen des Auftraggebers. Häufig genug patzen auch Dienstleister in der Kür. 

Andersherum: Ein »Exit Poll« nach einem Speed-Dating führt sehr häufig zu einer (fast) gleichen Liste an präferierten Dienstleistern wie die Durchführung eines RfIs – und dies bei einem wesentlich niedrigeren Aufwand. Auf diese Weise kann zunächst einmal das Bauchgefühl im Management bedient werden. 

Sachverstand. Auch an einer weiteren Stelle im Sourcing-Prozess kann ein Speed-Dating wieder gut eingesetzt werden. Das Papier von Angeboten und Angebotspräsentationen ist geduldig. Auf PowerPoint-Präsentationen wird mit Superlativen und Können nicht gespart. Auch geben Angebotspräsentationen mit ihrem beschränkten Zeitfenster kaum eine vertiefte technische Diskussion der Lösungen her, wenn es sich nicht um eine rein technische Ausschreibung handeln sollte. Hier gibt es die Möglichkeit, neben den obligatorischen Referenzbesuchen ebenfalls ein Speed-Dating, nunmehr aber nicht mehr auf der Managementebene, sondern auf der Expertenebene, durchzuführen, bei dem die Experten sich zwanglos zum Kaffee treffen, um die eine oder andere latente Problemstellung miteinander zu diskutieren und bei dem dem technischen Sachverstand beim Anbieter auf den Zahn gefühlt werden kann. Das Ergebnis dieser Gespräche geht dann ebenso wie die Bewertung »nach Aktenlage« in die Gesamtbeurteilung der Anbieter mit ein und verschafft so auf breiterer Ebene das Gefühl, den richtigen Anbieter aus der Longlist auszuwählen. 

Fazit. Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein bewertetes Speed-Dating im Sourcing die menschliche, subjektive Komponente mit in die Sourcing-Entscheidung einbezieht als einen weiteren Faktor neben eher technokratischen oder budgetgetriebenen Faktoren und somit die Akzeptanz von Sourcing-Entscheidungen bei den Beteiligten erhöht.



Christoph Lüder,
LEXTA CONSULTANTS GROUP,
Berlin
www.lexta.com/de

 

Illustration: © Huza Studio/shutterstock.com

 

20 Artikel zu „Sourcing Lexta“

Audits im Outsourcing – »Vertraue, aber prüfe nach«

Im Rahmen einer Outsourcing-Beziehung ist gegenseitiges Vertrauen unabdingbar. Gleichzeitig haben mehrere Beispiele in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass »blindes« Vertrauen in die Lieferantenbeziehung auch auf die Auftraggeber zurückfällt: beispielhaft seien die Kontroversen um das besondere elektronische Anwaltspostfach bei der Bundesrechtsanwaltskammer oder aber auch der Einsturz einer Textilfabrik in Sabhar 2013 mit anschließenden massiven Reputationsschäden für die Textilkonzerne genannt.

IT-Sourcing erfolgreich gestalten: Teil 2 – IT-Sourcing & Psychologie: Gruppenverhalten

Sourcing-Projekte gehen immer mit Veränderung einher. Innerhalb von Veränderungsprozessen wirken zwei gegenteilige Bewegungen, eine begünstigende und eine hemmende. Eine Möglichkeit, begünstigende Kräfte zu stärken und hemmende abzuschwächen, wurde im ersten Teil dieser Serie erläutert: Kommunikation. Darüber hinaus gibt es noch weitere Möglichkeiten aus dem Bereich der Psychologie, die helfen können, ein IT-Sourcing erfolgreich zu gestalten. Welche dies sind und wie Sie diese für sich nutzen können, erfahren Sie in diesem Artikel.

Komplexität der Enterprise Cloud erschwert IT-Management

Die Anforderungen durch die digitale Transformation, die Migration in die Enterprise Cloud und die wachsenden Kundenansprüche sind für Technologieleiter ohne künstliche Intelligenz (KI) kaum mehr zu bewältigen.   Die Ergebnisse einer unabhängigen Umfrage unter 800 CIOs weltweit zeigen, dass durch die digitale Transformation, die Migration in die Enterprise Cloud sowie steigende Kundenanforderungen die IT noch…

Beitrag zur Wahrung des Vertragsfriedens: Benchmarking-Klauseln – Wettbewerbsfähigkeit langfristig absichern

In Verträgen sind immer häufiger Benchmarking-Klauseln verankert, die einen gegenseitigen Vertrauensvorschuss in eine gute Zusammenarbeit der Vertragspartner darstellen sollen. Sie eröffnen den Vertragspartnern die Möglichkeit, Anpassungen an technische Entwicklungen, marktübliche Leistungsumfänge und Preisentwicklungen vornehmen zu können.

ERP-Migration: Mit der richtigen Strategie schneller am Ziel

»Never change a running system«, heißt es. Dennoch: Irgendwann steht in jedem Unternehmen die Modernisierung des ERP-Systems an. Diese Migration lässt sich auf verschiedene Weisen angehen Wer eine so kritische Anwendung wie ein ERP-System modernisiert, betritt immer auch Neuland. Wie bei einer Reise, kann dies viele neue Erkenntnisse und wertvolle Erfahrungen mit sich bringen. Schlecht…

Datenmanagement in Multi-Cloud-Umgebungen: Unternehmensdaten unter Kontrolle

Der Schutz und die Integrität seiner Daten hat für ein Unternehmen höchste Priorität. Das gilt auch dann, wenn solche Informationen auf mehreren Public-Cloud-Plattformen gespeichert werden. Wer die volle Kontrolle über solche Daten behalten möchte, benötigt eine Lösung, die Multi-Cloud-Services mit einem effektiven Datenmanagement verbindet. Cloud Computing – ja gerne. Aber geschäftskritische Daten sollten dennoch unter…

Videos, Webinare und Whitepaper: DE-CIX Academy gibt wertvolle Informationen  für die Peering-Praxis

DE-CIX, Betreiber des weltgrößten Internetknotens in Frankfurt am Main, hat für seine Kunden und andere Interessierte mit der DE-CIX Academy ein spezielles Schulungsprogramm aufgelegt. Dieses erfolgt weitgehend in Form von White Paper und Webinaren, an denen Zuschauer live teilnehmen oder sich die Aufnahmen im Nachgang ansehen können. Zusätzlich dazu werden Handout-Unterlagen zum Download bereitgestellt. Wolfgang…

In 5 Schritten zum Open Source Software Defined Storage

Die Anforderungen für Speichersysteme sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen, Agilität, Flexibilität und die schnelle Bereitstellung von Ressourcen sind in einer bi-modalen IT die großen Herausforderungen. Wir haben heute mit mobilen und IoT-Geräten weitaus mehr Endpunkte, an denen Daten generiert werden, als noch vor einigen Jahren denkbar gewesen wäre. Besonders Videoinhalte verbreiten sich…

Anforderungen der ISO 27001 mit der Realität im Unternehmen abgleichen

Unbemerkte Sicherheitslücken können Zertifizierung vereiteln. Getroffene Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Hause auf Konformität mit Norm überprüfen. Die Einführung eines Informationssicherheits-Managementsystems (ISMS) nach ISO 27001 ermöglicht es Informationssicherheit im Unternehmen dauerhaft zu steuern und zu verbessern. Die Norm stellt verschiedene Anforderungen an Design und Dokumentation von Prozessen und Verantwortlichkeiten, die es gilt, möglichst lückenlos zu erfüllen. »Die…