Digitale Gewebeuntersuchung – In fünf Minuten am Tisch zum Ergebnis

Steigende Tumorbefunde bei sinkendem Pathologenpool verlangsamen Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen. Der digitale Schnellschnitt ermöglicht schon nach fünf Minuten die histopathologische »Befundung« von frisch entnommenen flüssigen wie auch festen Gewebeproben. Ein Gespräch mit Giuseppe Solomita, Berater des Münchner Medizintechnikunternehmens VivaScope GmbH.


Welche Methoden sind zur Untersuchung von Tumorgewebe Standard?

Es gibt zwei analoge Standardmethoden bei festem Gewebe: der analoge Schnellschnitt und der Paraffinschnitt. Beim Schnellschnitt wird das entnommene Gewebe im Labor in kleinen Eisblöcken gefroren, in Scheibchen geschnitten, in Farbstoffe eingelegt und dann unter dem Mikroskop von einem Pathologen untersucht. Diese Methode – übrigens aus dem Jahr 1894 – dauert zwischen 15 und 45 Minuten. Beim Paraffinschnitt wird das Gewebe in Paraffin eingebettet, in Scheibchen geschnitten, in verschiedenen Farbstoffen eingelegt und dann im Labor untersucht. Das dauert minimal 24 Stunden, in der Realität sprechen wir von bis zu 10 Tagen. Bei flüssigen Entnahmen, beispielsweise bei Lungentumoren oder Bauchspeicheldrüsenkrebs streift man die Flüssigkeit auf ein Glasplättchen, um die Qualität der Entnahme zu prüfen. Die Probe selbst kann aber dann nicht mehr verwendet werden.

 

Giuseppe Solomita,
Berater der VivaScope GmbH

 


Und wie funktioniert die digitale Gewebsuntersuchung?

Mit der Ex Vivo konfokalen Laserscan­mikroskopie – so heißt das Verfahren – wird das Gewebe gleich nach der Entnahme gefärbt und sofort danach gescannt. Als Resultat erhalten wir sofort digitale Bilder in einer Färbung, die der Pathologe bereits gewohnt ist, das dauert maximal fünf Minuten. Ändern Sie nie die Welt eines Pathologen! Wir digitalisieren nur den ­Prozess, das Resultat ist dem des analogen Verfahrens ähnlich. Aber wir können sofort erkennen, ob die Entnahme qualitativ und quantitativ gut ist und können gegebenenfalls sofort eine zweite Probe nehmen. Es gibt auch die In Vivo-Anwendung, die in der Dermatologie zur Beurteilung von Hauttumoren eingesetzt wird. Doch das ist ein eigenes Thema.


Muss der Pathologe für die Beurteilung vor Ort sein?

Nein, das funktioniert auch über Telemedizin in Echtzeit.


Welche Vorteile hat der digitale Schnellschnitt bei Tumordiagnosen?

Vor allem natürlich die Zeit, aber auch die Kosten und die Genauigkeit: Zudem ist die Speicherung der Glasplättchen platzraubend und teuer. Beim analogen Schnellschnitt bekommen wir vermehrt Artefakte, weil sich durch das Einfrieren Kristalle bilden. Insgesamt gesehen, verschwenden wir mit den analogen Methoden wertvolle Ressourcen.

Von der Entnahme bis zur Molekularanalyse vergehen mindestens 30 Tage, digital könnte das Ergebnis an einem Tag erreicht werden. Außerdem kann ich das digitale Bild direkt einem KI-System ­zuführen, das wird kommen und den ­Pathologen entlasten. Ein weiteres Problem: um diese 30 Tage zu überbrücken, wird häufig eine generelle Therapie ­angefangen. Diese können wir nicht ­abrupt abbrechen, sondern müssen sie  bis zum Ende weiterführen. Dies kann dazu führen, dass wir erst nach 40 Tagen die eigentliche Therapie starten können. Das ist bei aggressiven Tumoren fatal.


Das bringt auch psychologisch viel Entlastung?

Ja, nehmen wir einmal das Beispiel ­Pankreas. Bauchspeicheldrüsenkrebs ist ein sehr aggressiver Tumor. Der Patient kommt zur Gewebeentnahme in die Klinik, das flüssige oder Micro Gewebe wird entnommen und muss mangels ­Alternativen an das Labor gesendet werden. Der Patient wird wieder nach Hause geschickt. Er wartet zwischen 10 und 20 Tagen auf das Ergebnis aus dem Labor. In 10 bis 15 Prozent der Fälle ist die Entnahme nicht verwertbar und es geht von vorne los. Man braucht einen neuen Termin.

Bei der digitalen Entnahme sehe ich sofort, ob ich ein brauchbares Ergebnis habe und kann umgehend eine zweite Probe entnehmen. Der Patient bekommt seine Diagnose gleich nach der Untersuchung. Das spart viel Zeit, Angst und Leid und ermöglicht ein effizienteres Patientenmanagement.


Und rettet Leben?

Ja, in der Tumortherapie ist die Zeit ja häufig ein Faktor, der über Leben oder Tod entscheidet. Jeder Tumor muss von einem Pathologen bestätigt werden. Derzeit sind für weltweit etwa 19 Millionen Tumorfälle nur 84 000 Pathologen verfügbar [1]. Die weiterwachsende Anzahl an Krebsfällen und die geringe Anzahl von Pathologen stellen ein enormes Problem dar. Die Wartezeiten auf eine Diagnose werden also länger oder der Patient stirbt, ohne zu wissen woran. Das ist die traurige Wahrheit.


Bei welchen Erkrankungen kommen Ihre Geräte zum Einsatz?

Das konfokale Laser-Scanning-Mikroskop kann im Ex-Vivo-Bereich sowohl zur Diagnose und Beurteilung einer Biopsie als auch intraoperativ beim Herausschneiden eines Tumors eingesetzt werden, um die Tumorränder zu beurteilen. Es wurde bei verschiedenen Tumorarten getestet: Prostata-, Lungen-, Brust- , Kolon- Bauchspeicheldrüsen- und Hautkrebs. Auch bei Organtransplantationen können wir innerhalb von Minuten die Qualität des Spenderorgans beurteilen.


Und wo sind sie schon im Einsatz?

Derzeit wenden in Europa 50 Kliniken unser Mikroskop in verschiedenen Bereichen an, von Dermatologie bis hin zur Pädiatrie. Bei Babys ist die OP-Verkürzung ein großer Vorteil, da die Anästhesie sehr belastend ist. Aber auch in München sind wir natürlich im Einsatz und haben sogar einen Preis gewonnen.


Was war das für ein Preis?

Das war der Medical Award 2021. Wir waren Industriepartner von PD Dr. Daniela Hartmann, der Leitenden Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie des LMU Klinikums München und der München Klinik. Da ging es um die Entfernung bösartiger Hauttumoren mittels konfokaler Laserscanmikroskopie und dem Einsatz eines KI-Systems. Das freut mich besonders, weil die Dermatologie unser erster Anwendungsbereich war und wir in München ansässig sind.

 


[1] Andrey Bychkov, Junya Fukuoka, Evaluation of the Global Supply of Pathologists. USCAP 111th annual meeting, march 2022

 

Illustration: © Jovan Vitanovski | Dreamstime.com

 

 

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