Der Stellenwert des Exit-Managements im IT-Sourcing – was ist von Beginn an zu beachten?

Partnerschaften mit IT-Providern: im Himmel geschlossen und auf Erden gelebt. So können im Laufe der Zeit Unternehmen (Auftraggeber) vor der Fragestellung stehen, ob nach der vereinbarten Vertragslaufzeit eine Verlängerung der Geschäftsbeziehung angestrebt oder beispielsweise die Vergabe an einen neuen Dienstleister vollzogen werden soll. Fällt die Entscheidung auf den Wechsel vom Bestandsdienstleister zu einem neuen Dienstleister, spielt die Planung des Exit-Managements eine tragende Rolle. Auch Unternehmen, die erstmalig IT-Services von externen Providern beziehen wollen (1st Generation Sourcing), sollten sich dieses Szenarios bereits bei Vertragsschluss bewusst sein, um möglichen unerwünschten Überraschungen am Ende der Geschäftsbeziehung aus dem Weg gehen zu können.

Übergreifend ist es sinnvoll, bereits zu Vertragsbeginn unter anderem die nachfolgenden Aspekte in einer Exit-Regelung zu vereinbaren, um mögliche Risiken des Auftraggebers zu minimieren:

Der Prozess des Exit-Managements. Für einen ungehinderten Übergang von einer bestehenden Geschäftsbeziehung mit einem Dienstleister auf einen neuen Dienstleister ist es von Bedeutung, dass der Beendigungsprozess dieser Geschäftsbeziehung und der Übergang zu einem neuen Vertragspartner klar geregelt ist. Dieser Prozess beginnt damit, dass der Auftraggeber die Kündigung beziehungsweise Absicht einer Neuausschreibung des Vertrags bei seinem Bestandsdienstleister ankündigt. Eine Kündigung sollte zunächst begründet sowie nachvollziehbar sein. Möglicherweise wird eine Ausschreibung durchgeführt, in welcher der aktuelle Dienstleister mit einbezogen wird – um Informationen zur aktuellen Leistungserbringung zur Verfügung zu stellen oder als Mitbewerber im Ausschreibungsverfahren. So wird diesem eine weitere Chance geboten, ein verbessertes Angebot abgeben zu können und das Konfliktpotenzial vorerst zu verringern, welches durch eine Kündigung entstehen kann. Wird im späteren Verlauf das Angebot eines Konkurrenten angenommen, so spielen in diesem Szenario auch menschliche Emotionen eine wichtige Rolle, da sich die Mitarbeiter des Bestandsdienstleisters möglicherweise für ihre Serviceleistungen nicht anerkannt fühlen. Da nach dem Aussprechen der Kündigung die Geschäftsbeziehung trotzdem für einen gewissen Zeitrahmen fortgesetzt wird, sollten bestimmte Punkte innerhalb des Prozesses definiert sein, um Emotionen einen möglichst geringen Spielraum zu bieten. Hierzu zählen unter anderem:

Festzulegen mit abgebendem Dienstleister (Bestandsdienstleister):

  • Benennung eines Exit-Managers
  • Benennung von technischen Ansprechpartnern
  • Erstellung eines Rückübertragungsplans
    (in Abstimmung mit dem Projektplan des aufnehmenden Dienstleisters)
  • Informationsbereitstellung sowie Zugang zu erforderlichem Know-how
  • Erstellung von zusätzlichen Exit-Dokumentationen, sofern notwendig

Festzulegen mit aufnehmendem Dienstleister (neuer Dienstleister):

  • Benennung eines Transition-Managers
  • Benennung von technischen Ansprechpartnern
  • Erstellung eines Projektplans (in Abstimmung mit dem Projektplan des abgebenden Dienstleisters)

Festzulegen durch den Auftraggeber:

  • Benennung und Bekanntmachung eines neuen Dienstleisters
  • Moderator und zentraler Ansprechpartner für abgebenden und aufnehmenden Dienstleister

Personal und Ressourcen. Um Ressourcenengpässe auf Seiten des Bestandsdienstleisters zu vermeiden, sollte vereinbart werden, Mitarbeiter und Ressourcen dediziert für das Übergangsprojekt zur Verfügung zu stellen. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Projektdurchführung innerhalb einer konstruktiven und aktiven Kooperation stattfinden kann, ohne auf das notwendige Know-how zu verzichten und ohne das parallel stattfindende Betriebsgeschäft zu gefährden. Die Mitarbeiter des Bestandsdienstleisters müssen innerhalb des Projekts mit dem Auftraggeber sowie dem neuen Dienstleister eng zusammenarbeiten, damit die Überführung der Services erfolgreich verläuft. Tatsächlich ist der Auftraggeber an vielen Stellen auf die Kooperation des abgebenden Dienstleisters angewiesen und sollte aus eigenem Interesse daran wirken, alle notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine kooperative Zusammenarbeit sicherzustellen beziehungsweise einzufordern.

Dazu gehört insbesondere die Definition von Schlüsselrollen (auf Seiten der involvierten Parteien), welche bestimmte Aufgaben im Rahmen des Übergangs zugewiesen bekommen. Hierzu zählt der Gesamtprojektleiter (Exit Manager), welcher die Gesamtverantwortung hat und innerhalb seiner Organisation die Koordination der Ressourcen übernimmt. Je nach Größe und Umfang des Projekts können zudem Teilprojektleiter (Exit Stream Leads) bestimmt werden. Für den reibungslosen Ablauf kann außerdem ein Projekt-Management-Office (PMO) ins Leben gerufen werden, damit die Kontrolle und das Reporting des Projektstatus sichergestellt werden können. Mehrere Rollen können auch von einer Person ausgefüllt werden, es muss nicht zwingend eine 1:1-Beziehung bestehen. Ergebniskontrolle und Qualitätsmanagement als Aufgabenpakete sind ebenfalls zu berücksichtigen.

Optional können zusätzliche Fachexperten und Solution Designer beziehungsweise Architekten hinzugezogen werden. Diese besitzen tiefgehendes Wissen über die Kernleistungen, die aktuellen Sachdokumentationen sowie über das gesamte Architekturdesign. 

Leistungen des Bestandsdienstleisters. Am Ende der Vertragslaufzeit kann womöglich auf Seiten des Auftraggebers eine Lücke des für den Übergang notwendigen Know-hows entstehen. Dadurch ist die Mitarbeit des Bestandsdienstleisters während des Übergangs unabdingbar, um die Betriebsstabilität gewährleisten zu können. Auftraggeber, die IT-Services einkaufen, haben beispielsweise notwendige Systemadministrationsrechte nicht. Es stellt sich die Frage, inwieweit man schon von vornherein festlegt, zu welchen Leistungen ein IT-Dienstleister verpflichtet werden kann.

Um dies zu kompensieren ist die Bedeutung von aktuellen und vollständigen Dokumentationen hervorzuheben. Darunter zählen Prozessdokumente und Betriebshandbücher. Diese müssen dem Auftraggeber und dem neuen Dienstleister spätestens zur Transition zur Verfügung stehen. Ebenso ist eine Aufstellung über alle Rückübertragungssysteme von Bedeutung. Dabei handelt es sich insbesondere um Übersichten über die zum aktuellen Zeitpunkt vom Bestandsdienstleister zur Erbringung der Leistungen benutzten Computer-, Server-, Netzwerk- und Telekommunikationssysteme. Sind allerdings bestimmte Dokumentationen innerhalb der Vertragslaufzeit nicht erstellt worden, muss der Know-how-Transfer trotzdem stattfinden. Deshalb sollten beim Bestandsdienstleister Schulungen oder direkte Know-how-Transfers (etwa mittels Shadowing, Train-the-Trainer etc.) für den neuen Dienstleister eingefordert werden, um mögliche Unklarheiten oder Dokumentationslücken auszugleichen. Dadurch können notwendige Kompetenzen für die Erbringung der Leistungen vermittelt werden.

Weiter gehören zu den zu übergebenden Dokumentationen die Daten der Asset-Management-Datenbank, sofern eine solche vorhanden ist. Andernfalls muss eine Auflistung der Assets über andere Wege bereitgestellt werden. Hierzu zählen eindeutige Produktbezeichnungen (etwa Seriennummern von IT-Endgeräten), Leasing- und Mietverträge, dedizierte Software oder Systemkonfigurationen. Ist eine Durchführung von Datenexporten notwendig, so sollte außerdem eine Netzwerkkopplung zwischen den Dienstleistern ermöglicht werden. Ebenso können Datenexporte anderweitig (über Fileserver) vollzogen werden. Es muss unterschieden und herausgearbeitet sein, welche Daten und Dokumente selbstverständlich beim Bestandsdienstleister vorliegen und welche explizit für den Übergang erstellt und aufbereitet werden müssen. Dies hat Konsequenzen sowohl auf die Zeit als auch auf die Kosten für den anstehenden Exit. 

Wie Konfuzius schon sagte: »Wer ständig glücklich sein möchte, muss sich oft verändern«. Unternehmen, die eine Veränderung ihrer IT-Organisation anstreben, sollten den Umgang mit einer so essenziellen Veränderung von Beginn an vertraglich eindeutig regeln. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Betriebsstabilität während des Übergangs nicht gefährdet wird und zugleich keine vorprogrammierten Verzögerungen entstehen. Das Exit-Management schafft klare Anforderungen und Bedingungen auf allen Seiten. Ist ein Exit-Prozess von Anfang an im Vertrag etabliert, erleichtert dieser die Überführung der Services vom Bestandsdienstleister auf den neuen Vertragspartner, da grundlegende Rahmenbedingungen vorgegeben sind.

 


Steffen Kuhn,
LEXTA – Part of Accenture

 

 

Illustration: ©  Lucky Team Studio /shutterstock.com

 

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