Digitalagenda für die Umwelt: ein wichtiger erster Schritt, aber noch kein Durchbruch

Illustration: Absmeier, Egorshitikov

 

►       Umweltpolitische Digitalagenda des Bundesumweltministeriums (BMU) präsentiert umfassende Strategie, um Digitalisierung zu einer Triebkraft für Nachhaltigkeitstransformationen zu machen.

►       Breiter Maßnahmenkatalog – vor allem aber viele »weiche« Maßnahmen, die durch ordnungsrechtliche oder ökonomische Maßnahmen ergänzt werden müssen.

►       Der steigende Stromverbrauch der Digitalisierung und Rebound-Effekte werden nicht ausreichend adressiert; hierzu braucht es neben der Effizienzförderung auch ökonomische Anreize, Ökosteuern und andere ökonomische Instrumente, die in der Agenda nicht in Betracht gezogen werden.

►       Die Digitalagenda führt nicht aus, wie die Politikkohärenz der Bundesregierung erhöht werden kann, um nicht-nachhaltige Entwicklungen der Digitalisierung zu verhindern.

 

 

Wissenschaftler vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) würdigen die von Bundesumweltministerin Svenja Schulze Anfang März 2020 vorgestellte Umweltpolitische Digitalagenda. Die Agenda stelle einen wichtigen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Gestaltung eines der bedeutendsten Innovationsfelder der heutigen Zeit dar:

»Die Digitalisierung und die Dekarbonisierung werden zwei der wichtigsten Megatrends des 21. Jahrhunderts sein. Das Umweltministerium hat die Notwendigkeit erkannt, diese Trends zusammen zu denken und integriert zu gestalten. Mit der Umweltpolitischen Digitalagenda legt das Bundesumweltministerium eine umfassende Strategie vor, um dieses Ziel zu erreichen«, so Prof. Dr. Tilman Santarius, Digitalisierungs-Experte am IÖW und am Einstein Center Digital Future der Technischen Universität Berlin.

Dr. Florian Kern, IÖW-Experte für Umweltpolitik betont: »Die Digitalagenda des BMU ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Digitalisierung als Treiber einer dringend erforderlichen sozial-ökologischen Transformation zu gestalten«. Vor allem begrüßen die Forscher, dass der Fokus nicht ausschließlich auf den technischen Möglichkeiten liegt, sondern auch die Förderung von sozialen Innovationen und eine digitale Plattform für sozial-ökologische Innovationen vorgesehen sind.

 

Ein umfassender Politik-Mix ist nötig, nicht hauptsächlich »weiche« Instrumente

Landwirtschaft, Mobilität, Industrie – die Digitalagenda will Maßnahmen in allen zentralen Bereichen umsetzen. Die IÖW-Forscher sehen weiteren Handlungsbedarf: »Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen beruhen auf ›weichen‹ Instrumenten, während die Ziele durch verbindliche Regulierung wesentlich effektiver erreicht werden könnten. Statt in der europäischen CSR-Richtlinie ein Reporting zu Umweltschäden bei Rohstoffgewinnung zu fordern, sollten besser gleich verpflichtende menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards angestrebt werden«, so Santarius. Damit Hardware länger hält, strebt das BMU nur eine »Garantieaussagepflicht« der Hersteller an. Zielführender wäre, die Garantiedauer für Verbraucher/innen zu verlängern und Garantieansprüche zu verbessern.

Ordnungspolitische Instrumente adressiert die Agenda noch zu vage oder verspricht nur, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für entsprechende Regelungen einsetzen möchte, wie etwa bei der EU Ökodesign-Richtlinie. Florian Kern hebt hervor, dass ein breiter Politikmix mit ordnungsrechtlichen und ökonomischen Instrumenten für die sozial-ökologische Transformation zentral ist. »Es bleibt abzuwarten, was die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft und darüber hinaus auf europäischer Ebene mit ihren ambitionierten Zielen tatsächlich erreichen wird.« Ferner müsste der Politik-Mix auch über klassische umweltpolitische Maßnahmen hinausgehen: »Um die negativen sozialen und ökologischen Effekte und Risiken der zunehmenden Digitalisierung einzuhegen und die Potenziale zu fördern, reichen die klassischen Instrumente der Umweltpolitik nicht aus, sondern müssen durch innovationspolitische, industriepolitische wie auch wirtschaftspolitische Maßnahmen effektiv ergänzt werden«, so Kern.

 

Energieverbrauch von Streaming und Rechenzentren: Nachbesserungsbedarf in der Digitalagenda

Streaming ist die umweltintensivste digitale Dienstleistung im Endkundenbereich. Die Agenda kündigt an, »mit großen Anbietern ins Gespräch zu kommen« und eine »Prüfung verpflichtender Vorgaben« vorzunehmen. Für die großen Stromfresser Rechenzentren möchte sich das BMU nur für eine »einheitliche statistische Erfassung« einsetzen, anstatt verpflichtende Energieeffizienz- und absolute Verbrauchsstandards für Rechenzentren zu entwickeln.

»Hier sollte im Laufe des Prozesses nachgebessert werden. Sonst könnte etlichen der vorgeschlagenen Maßnahmen am Ende die Verbindlichkeit und Wirkungstiefe fehlen, um tatsächlich die Weichen für eine umweltgerechte Digitalisierung zu stellen«, sagt Santarius.

 

Steigender Stromverbrach und Rebound-Effekte werden zu wenig adressiert

Während die Umweltpolitische Digitalagenda eine Reihe von vielversprechenden Maßnahmen wie langlebigere Geräte oder besseres Recycling vorsieht, um ökologische Auswirkungen auf (knappe) Ressourcen zu verringern, wird der wachsende Stromverbrauch der Digitalisierung nicht ausreichend adressiert.

Santarius sagt: »Die meisten wissenschaftlichen Szenarien gehen von moderat bis stark anwachsenden Stromverbräuchen aller digitalen Geräte und Anwendungen aus. Um die Energiewende hin zu 100 % Erneuerbare Energien zu schaffen, muss der gesamte Stromverbrauch sinken. Die Digitalagenda liefert zu wenig Ansatzpunkte, wie wachsende Stromverbräuche abgemildert werden könnten. Es fehlen etwa strikte Verbrauchsstandards für Rechenzentren, verbindliche Anforderungen, dass deren Abwärme sinnvoll für die Wärmeversorgung genutzt wird, oder die Forderung, dass neue Rechenzentren mit 100 % Ökostrom betrieben werden müssen.«

Rebound-Effekte können das Einsparpotenzial von digitalen Anwendungen schmälern. Kern macht deutlich: »Die umweltpolitische Digitalagenda erkennt an, dass Digitalisierung auch zu Rebound-Effekten führen kann und das BMU solche Effekte minimieren möchte. Wie genau Rebound-Effekte reduziert werden sollen, bleibt jedoch unklar. Die Agenda verweist sehr unkonkret auf die Notwendigkeit eines politischen Ordnungsrahmens und als einzig konkretes Instrument auf ein »kommunales Netzwerk für nachhaltige digitale Verkehrswende«. Aus Sicht des IÖW ist es nötig, die Förderung von Energie- und Ressourceneffizienz mit stärkeren ökonomischen Anreizen für eine absolute Reduktion des Verbrauchs und Suffizienz-Strategien zu kombinieren. Die Umweltpolitische Agenda macht keine Vorschläge für Ökosteuern oder andere Instrumente.«

 

Zukunftsfähige Digitalisierung erfordert Abstimmung aller Ressorts

Ein solcher Politik-Mix geht aber weit über den Geschäftsbereich des BMU hinaus. Kern betont: »Es ist begrüßenswert, dass das Umweltministerium die fortschreitende Digitalisierung so gestalten möchte, dass sie die Energie-, Mobilitäts- und Agrarwende und den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft unterstützt und beschleunigt«. Eine solche Ankündigung sollte sich aber nicht nur auf Programme des BMU oder die Forschungsförderung der sozial-ökologischen Forschung des Bundesforschungsministeriums beziehen, sondern auch für die Förderung des Wirtschafts- oder Verkehrsministeriums gelten. Beispielsweise machen die vom BMU geförderten »Leuchtturmprojekte für Künstliche Intelligenz« (KI), die Umwelt- und Klimaschutz dienen sollen, weniger als zehn Prozent der bundesweiten Fördermittel für KI im Jahr 2019 aus; zahlreiche von anderen Ministerien geförderte Projekte verfolgen keine Nachhaltigkeitsziele oder sind sogar kontraproduktiv. Kern fordert: »Um tatsächlich eine nachhaltige Digitalisierung zu erzielen, ist es dringend erforderlich, dass alle Ressorts der Bundesregierung sich die Zielsetzung der Digitalagenda zu eigen machen. Dies erfordert eine enge Abstimmung der Ressorts und eine kohärente Politik.«

 

Weitere Informationen:

 

 

134 Artikel zu „Nachhaltigkeit Öko digital“

Wie gehen Unternehmen das Thema digitale Transformation an?

Fortschritte von Unternehmen bei Cloud, Cybersicherheit und IT-Governance.   Digitale Transformation ist nicht nur ein Trend, es ist und bleibt auch 2020 für die Mehrheit der Unternehmen oberste Priorität. Das verdeutlicht der aktuelle Report (2020 Digital Transformation Planning Report) von Flexera. Die Umfrage unter CIOs und leitenden IT-Verantwortlichen wirft einen Blick auf die aktuellen Ansätze…

Organisationen, die sozial und ökologisch handeln, sind attraktiver

Unternehmen mit umweltbewusster Ausrichtung haben zufriedenere Nachwuchskräfte Die einstige Generation Praktikum wird auch auf dem Arbeitsmarkt zur Generation Greta. Das ist eines der Ergebnisse des aktuellen »Future Talents Report« der Unternehmensberatung Clevis. Für die Studie wurden 4.624 Nachwuchskräfte befragt, die im letzten Jahr Berufserfahrungen in einem Praktikum gesammelt haben. Gemäß der deutschlandweit größten Studie dieser…

Digitaltrends für 2020

2020 steht vor der Tür und gibt einen willkommenen Orientierungspunkt dafür, welche Trends und Entwicklungen das kommende Jahr entscheidend mitbestimmen werden. Technologien wie künstliche Intelligenz und die Cloud entwickeln sich rasant weiter und werden auch in 2020 zu den dominierenden Themen der Digitalisierung gehören. Doch die Hürden auf dem Weg zur erfolgreichen Implementierung werden dank…

2020: Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind Treiber im Markt für Business-Software

Fünf Haupttrends prägen die IT-Branche und den Markt für Business-Software laut der d.velop Herbstprognose 2020 in besonderem Maße. Seit fast einem Jahrzehnt wertet d.velop jedes Jahr die Daten und Informationen aus Kundenbefragungen, von Partnern und Mitarbeitern für eine interne Prognose aus. 2019 werden die Ergebnisse erstmals in Form der nun vorliegenden Herbstprognose mit fünf Haupttrends…

5 Technologietrends 2020 und ihre Auswirkung auf digitale Infrastrukturen

Die hybride Multi-Cloud, künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Datenregulierung und Nachhaltigkeit 2020 sind Schlüsselfaktoren für die digitale Transformation in Unternehmen. Equinix hat seine Prognose der fünf wichtigsten Technologietrends veröffentlicht, die im Jahr 2020 die digitale Transformation von Unternehmen bestimmen werden. Equinix baut bei der Analyse aktueller Trends auf seine weltweite Präsenz in mehr als 50 Märkten sowie…

Dell definiert Nachhaltigkeits- und CSR-Ziele bis 2030

Dell Technologies hat sich in seinem Programm Progress Made Real ehrgeizige Ziele für mehr Nachhaltigkeit, Inklusion und unternehmerische Verantwortung gesetzt, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. Im Nachfolger von »Legacy of Good« formuliert das Unternehmen seine Visionen für die nächsten zehn Jahre und definiert ein Maßnahmenpaket zur konkreten Umsetzung seines Programms. Die Grundlage…

Siemens präsentiert Ansatz für ein intelligentes und nachhaltiges Energieökosystem

Siemens Smart Infrastructure zeigt auf der diesjährigen European Utility Week (EUW) in Paris, wie das Unternehmen Energieintelligenz auf der Angebots- und Nachfrageseite vorantreibt. Indem Siemens das Energieökosystems über Gebäude, Industrie und Netze hinweg mitgestaltet, unterstützt es Regierungen, Städte und Unternehmen bei ihren Nachhaltigkeitszielen. Dabei konzentriert sich Siemens auf vier Themen, die auf die Energiewende einzahlen:…

Grüne Energiebilanz: Mit neuem Datenmanagement zu mehr Nachhaltigkeit

Die Liberalisierung des Strommarktes bereitete das Feld für LichtBlick SE, 1998 als Ökostrompionier durchzustarten und die Energiewende voranzutreiben. Mittlerweile gilt das Unternehmen als Marktführer für Ökostrom, der 600.000 Haushalte (über eine Million Verbraucher) versorgt. Mehr als 500 Mitarbeiter sorgen dafür, dass E-Mobilität, intelligente Energieprodukte und vernetzte, digitale Lösungen Synergien und Mehrwert schaffen und grüne Energie…

Fehlende strategische Verantwortung hemmt digitale Transformationspläne

Mangelnde oder gar nicht existente Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen C-Suite, IT-Teams und anderen Geschäftsbereichen behindern digitale Transformation.   Obwohl fast drei Viertel aller Unternehmen mit der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen begonnen haben, sind nur 11 % der Unternehmen sehr zufrieden mit den Verantwortlichen für die digitale Transformation. Dies zeigt der »Digital Means Business Report 2019« von…

Produkttransparenz fördert Nachhaltigkeit

71 Prozent der deutschen Verbraucher bevorzugen nachhaltige Produkte, wenn Händler für vollständige Transparenz sorgen. 49 Prozent wären bereit, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen. inRiver hat 1.506 deutsche Verbraucher im Alter von 16 bis 44 Jahren zum Thema »Nachhaltige Produkte« befragt [1]. Dabei kam heraus, dass das Thema für viele Befragte eine wichtige Rolle spielt:…

Ökobewegung: Umweltverbände haben mehr Mitglieder als die Parteien

Die Jugend demonstriert bei Fridays for Future, Aktivisten besetzen den Hambacher Forst und den Tagebau Garzweiler – in Deutschland formiert sich eine neue Ökobewegung. Das zeigt sich auch an den Zahlen der Umweltverbände. Der BUND veröffentlichte am Dienstag seinen Jahresbericht, die Mitgliederzahl steigt demnach kontinuierlich – im vergangenen Jahr auf knapp 441.000. Greenpeace und NABU…

Wie die digitale Transformation die Kundenerfahrung neu definiert

Egal in welchem Geschäftsbereich man tätig ist, die Technologie beeinflusst immer mehr die Art und Weise, in der Produkte entwickelt und Dienstleistungen erbracht werden. Deshalb ist jedes Unternehmen von der digitalen Transformation betroffen und dieser Einfluss wird sich vielleicht nirgendwo stärker bemerkbar machen, als in der Gestaltung der Kundenerfahrung. Die digitale Transformation ist ein Prozess,…

Change Management und digitales Mindset: Digitale Transformation – einfach machen

In der digitalisierten Welt gilt: Effizient und schnell muss es sein. Obwohl viel darüber diskutiert wird, mit welchen Technologien Unternehmen ihre Ziele erreichen können, wird eines oft vergessen: Die digitale Transformation ist wesentlich mehr als ein isoliertes Hard- und Softwareprojekt der IT. Vielmehr muss der Faktor Mensch bei jedem Schritt mitberücksichtigt werden, damit die Technologie richtig »wirkt«. Change Management und eine hervorragende Mitarbeiter-Experience unterstützen bei der Umsetzung der Digitalisierungsprojekte.

Transformation Guide unterstützt Unternehmen beim digitalen Wandel zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit

Digitale Transformation, Smart Factory, IoT oder Industrie 4.0 – zahlreiche Trends rund um die Digitalisierung beschäftigen den Mittelstand. Zu Recht, denn der digitale Wandel fordert auch bewährte  Geschäftsmodelle heraus. Ob Großkonzern, kleines oder mittleres Unternehmen: Strategien, Produkte und Prozesse müssen hinterfragt und dem digitalen Zeitalter angepasst werden.

Digitalisierung der Wirtschaft kommt (schleppend) voran

Die Digitalisierung kommt in aller Breite in der Wirtschaft an. Deutlich mehr Unternehmen stellen einen steigenden Wettbewerbsdruck durch die Digitalisierung fest und passen Produkte und Dienstleistungen an. So sagen zwei Drittel (65 Prozent) der Unternehmen ab 20 Mitarbeiter aus allen Branchen, dass IT- und Internet-Unternehmen in ihren Markt drängen, im vergangenen Jahr waren es erst…

20 Jahre Ökosteuer: finanz- und sozialpolitisch top, umweltpolitisch ein Flop

Die zum 1. April 1999 eingeführte ökologische Steuerreform sorgt bis heute für niedrigere Rentenbeiträge und höhere Rentenbezüge. Umweltpolitisch war sie hingegen kein Erfolg, die beabsichtigte Lenkungswirkung ist ausgeblieben. Notwendig ist eine Reform, die CO2 angemessen bepreist und einkommensschwache Haushalte entlastet.   Die vor 20 Jahren in Kraft getretene ökologische Steuerreform hat ihre Ziele – die…

Aufforstungsprojekt: Kooperation von ELO Digital Office mit Fairventures Worldwide gGmbH

Um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung im Rahmen eines fairen und nachhaltigen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen der Welt gerecht zu werden, engagiert sich die ELO Digital Office GmbH künftig als Sponsor bei der Fairventures Worldwide gGmbH. Diese pflanzt gemeinsam mit ihren lokalen Partnern im Herzen Borneos Mischwälder, um den Kleinbauernfamilien eine ökonomische Alternative zur Abholzung und…